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Eine Hand voll Sand
GettyImages/Angela Kotsell

Eine Hand voll Sand

Jelena Wegner
Ein Beitrag von Jelena Wegner, Evangelische Pfarrerin, Siegbach
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Mein Neffe ist 15 Monate alt. Er liebt es, mit Sand und Erde zu spielen. Beherzt greift er mit der Hand zu. Die winzigen Finger umschließen eine kleine Menge Sand. Mit Schwung wirft er den Sand in den Eimer. Dass die Hälfte daneben fliegt, stört ihn nicht. Schon steckt er seine Hand erneut in den Sand.

Sand - ein Symbol für das Verinnen der Zeit

Ich mache mit. Ich greife in den Sand und spüre die kleinen kratzigen Körner auf der Haut. Ich halte meine Hand über den Eimer und öffne sie ein wenig. Langsam rieselt der Sand in den Eimer. Auf meiner Handinnenfläche bleibt ein dünner Sandfilm zurück. Sand ist ein Symbol dafür, wie die Zeit verrinnt.

Das Leben ist endlich

Ich schaue auf meine Hand und denke unwillkürlich an die Erde, die ich bei der letzten Trauerfeier ins Grab geworfen habe. Als Pfarrerin sage ich dabei: Erde zu Erde. Asche zu Asche. Staub zu Staub. Diese letzte Geste, Erde ins Grab zu schütten, lässt mich spüren: Das Leben ist endlich. Unsere Zeit rieselt durch die Finger wie Erde oder Sand.

Auch bei der Bestattung blieb ein wenig Erde an meiner Hand haften. Ich wollte sie nicht gleich abwischen. Ich war dabei ein Leben zu verabschieden. Das braucht Zeit. Da darf die Erde ruhig länger an der Hand haften.

Im Leben beherzt zugreifen

Für mich bedeutet Leben: Ich greife beherzt zu, wie mein kleiner Neffe in den Sand. Mal geht was daneben. Mal ist die Hand leer, das letzte Körnchen aus der Hand gerieselt. Aber solange ich kann, strecke ich meine Hand neu aus.

Eine Hand voll Sand. Eine Hand voll Erde. Die Erde verbindet mich mit Gott, der Himmel und Erde gemacht hat. Dieser Gott hat auch mich gemacht. Ich habe einen Anfang. Und irgendwann hat mein Leben ein Ende. Ich kehre zu Gott zurück.

Ich spüre den Sandfilm auf der Innenfläche meiner Hand und schaue meinen Neffen an. Er hat die Hand voll Sand und betrachtet mit großen Augen, wie die Sandkörner herausrieseln. Jeden Tag begreift er ein Stück mehr. Ich nehme eine Handvoll Sand und gemeinsam füllen wir den Eimer.

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