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Ein Buch, das den Kopf freimacht
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Ein Buch, das den Kopf freimacht

Christoph Schäfer
Ein Beitrag von Christoph Schäfer, Katholischer Religionslehrer, Rüsselsheim
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Ich hätte nicht gedacht, dass eine geometrische Figur ein spannender Romanheld sein kann. Aber in dem Buch „Flatland“ von Edwin Abbot bin ich jetzt genau so einer Figur begegnet. Genauer gesagt: einem Quadrat. Mit ihm bin ich auf eine faszinierende Lesereise gegangen: in eine nur von geometrischen Gebilden bevölkerte Welt. In der aber die Bewohner zwei sehr menschliche Eigenschaften haben. Diese werden genüsslich entlarvt: Engstirnigkeit und Besserwisserei.

Eine Welt in zwei Dimensionen

Beides fand der Autor Abbot unerträglich: In seinem 1884 erschienenen Buch nimmt er mit bissigem Humor Dünkel und Denkfaulheit im viktorianischen England aufs Korn. Im Roman geht es darum: Zweidimensionale Figuren wie Fünfecke und Quadrate haben sich behaglich in ihrer plattgedrückten Welt „Flatland“ (zu deutsch: Flachland) eingerichtet. Es gibt Häuser und Bäume, Wissenschaft und Militär. Aber alles existiert bloß zweidimensional. Was die Flachländer nicht davon abhält, viele absurde Konventionen zu pflegen. Sie haben ein völlig verkrustetes Gesellschaftssystem.

Reise in eine neue Welt

Eines Tages passiert etwas Erstaunliches: Der quadratische Hauptheld erhält Besuch von einer Kugel. Er wird daher mit einer neuen Welt konfrontiert, die er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte: der räumlichen Dimension. Nach einem drolligen verbalen Schlagabtausch bricht das Quadrat mit der Kugel in die dreidimensionale Welt auf. Eine inspirierende Erfahrung. Das Quadrat gerät ins Nachdenken. Als es schließlich über die Existenz einer weiteren Dimension spekuliert, wird das der im Grunde ziemlich beschränkten Kugel zu viel. Wütend stößt sie das Quadrat in seine alte Welt zurück. Dort berichtet es von seinen Erlebnissen. Und erntet, wie man sich denken kann, nicht gerade Begeisterung.

Mit Humor gegen Scheuklappen

Ich hab mich beim Lesen über die Borniertheit der Figuren amüsiert. Aber mir auch gedanklich an die eigene Nase gefasst. Denn mir ist mal wieder besonders bewusst geworden: Es ist alles bruchstückhaft, was ich als Mensch von der Welt mitbe-komme. Die Wirklichkeit ist unbegreiflich und staunenswert. Das Buch hat mir daher gleich doppelt den Kopf frei gemacht: Denn ich will im Alltag erstens auf Scheuklappen anderer mit mehr Humor reagieren. Und mir zweitens so oft wie möglich bewusst sein: Ich hab ja selbst welche.

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