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Wahrheit hat Macht
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Wahrheit hat Macht

André Lemmer
Ein Beitrag von André Lemmer, Katholischer Pfarrer in der Pfarrei Sankt Elisabeth in Kassel
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"Das war ich nicht, das war schon so!" Also ich habe diesen Satz schon als Kind gesagt und auch schon von Kindern gehört. Mir scheint, diese kleine Notlüge nach einem Missgeschick hat schon etwas von einem Generationenvertrag. Jeder kennt ihn und die meisten Menschen haben ihn schon so oder so ähnlich ausgesprochen oder tun es manchmal immer noch.

Den eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen

Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, muss ich sagen, dass ich schon als Kind hätte wissen können, dass der Satz nicht funktioniert. Da ist es im Wohnzimmer verdächtig still und meine Mutter kommt, um nachzusehen. Dort sitzt ein kleiner Junge scheinbar brav spielend. Am anderen Ende des Raumes hat ein kreativer Geist mit Blumenerde ein "Kunstwerk" auf die Anrichte gezaubert. Es muss ein Geist gewesen sein, denn ich – der kleine Junge – war es nicht. Das war schon so. Unnötig zu erwähnen, dass meine Mutter die Wahrheit schnell herausgefunden hat.

Auch wenn man diese Geschichte schnell mit einem Lächeln abtun kann oder sich auf den Generationenvertrag berufen kann, lohnt es sich darauf zu schauen. Ich denke, wir lernen in solchen Situationen schon früh, dass manche Flunkereien nicht durchgehen. Manchmal jedoch funktionieren sie. Wenn ich mich nur geschickt genug anstelle – einen Versuch ist es doch wert!

Mich mit Flunkereien oder Notlügen aus der Affäre zu ziehen, scheint manchmal angebracht, weil ich damit vermeide, vor anderen meine Fehler einzugestehen. Und doch hat die Sache einen Haken. Menschen spüren in der Regel, wenn ich sie anflunkere. Sie sagen es nur nicht. Sie lassen mich einfach nur in dem Glauben, ich hätte es geschafft.

Die Wahrheit kann wehtun, aber sie zeigt meinem Gegenüber, wie wertvoll er mir ist

Dabei geht etwas kaputt. Vertrauen und Wertschätzung auf beiden Seiten. Die Wahrheit hat die Macht, das Gegenteil zu bewirken. Ich zeige dem anderen, dass ich ihn für so wertvoll halte und ihm so vertraue, dass ich meine Fehler zugeben kann und wir es zusammen hinbekommen, eine Lösung für das Problem zu finden.
Die Wahrheit hat Macht, die Liebe zu einem Menschen zu zeigen. Deshalb ist auch für Jesus immer wieder die Wahrheit so wichtig. Für ihn als Mensch und Gott war klar: Wenn ich ehrlich zu dir bin, zeige ich dir, wie wichtig du mir bist. Wenn ich ehrlich bin, wirst du für mich gleichberechtigt und wertvoll. Ich zeige dir, dass ich dir vertraue, dass du es gut mit mir meinst. Das ist doch Liebe, oder? Das ist die Macht der Wahrheit.

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