
K’naan: Wavin Flag
Wenn ich das Lied Wavin Flag von K’naan höre, denke ich unweigerlich an die Fußballweltmeisterschaft. Wavin Flag wurde als Single aus dem Album Troubadour zu einem der bekanntesten Fußball WM Lieder der vergangenen Jahre. Ich erinnere mich an die heißen Sommertage, die Spannung, welche in der Luft lag und auch die Wuwuzeelas, diese lauten Plastiktröten, welche erstmals 2010 bei der WM in Südafrika genauso wie das Lied von K’naan die Spiele begleiteten.
Wavin Flag ist ein Hoffnungslied. Anklänge von Pop, Hip-Hop und Reggae machen den Rhythmus und die Melodieführung eingänglich. Wer sich dem Text zuwendet, muss sich jedoch entscheiden. K’naan hat für die WM 2010 eigene Strophen geschrieben. Da ist von der Vielfalt der Nationen die Rede, welche sich auf dem Spielfeld messen und dabei die Schönheit des Fußballs hervorheben.
Im Jahr 2009, als K´naan den Song auf dem Album Troubadour erstmals veröffentlichte, sind die Strophen allerdings andere.
Geboren auf einem Thron, der stärker ist als Rom – aber mit einem Hang zu Gewalt. Ein Ort für arme Menschen. Aber es ist mein Zuhause, alles, was ich kenne. Wo ich aufgewachsen bin, in den Straßen, durch die wir zogen. Aus der Dunkelheit kam ich am weitesten. Überleben ist hart. Die Lektionen, die die Straße lehrt, können trostlos sein. Akzeptierte keine Niederlage, keine Kapitulation und keinen Rückzug.
K’naan spricht von Mogadischu, der Stadt in Somalia, in der er bis zu seinem 13 Lebensjahr wohnt. Durch den Bürgerkrieg muss er fliehen. Zunächst nach Amerika, dann bald nach Kanada, wo er heute noch lebt. Für ihn ist das Leben in Somalia die Schule, die ihn und viele andere Menschen stark gemacht hat für die Zukunft. Fast 20 Jahre später wird sein Lied Wavin Flag dem bekanntesten Song der WM in Südafrika. Einige Menschen werden nicht nur den neuen Text des Liedes kennen, sondern auch den ursprünglichen. Denn der Kampf um Freiheit, Gleichheit und Anerkennung der Menschen ist keine Frage, die sich in Afrika nur auf Somalia beschränkt. In Südafrika ist die Zeit der Apartheid, also die strikte Trennung der Lebensräume von schwarzen und weißen Menschen, noch stark im gemeinsamen Gedächtnis verankert. Viele soziale Verschiebungen sind bis heute noch spürbar und die Freiheit der People of Colour nur weitestgehend erreicht. Wenn K’naan auch seit seiner Flucht nicht mehr nach Somalia zurückkehren konnte, so gab er doch zumindest seinem Heimatkontinent ein Lied, welches Hoffnung auf Wandel macht.
Also kämpfen wir, kämpfen für Essen, fragen uns, wann werden wir frei sein? Also warten wir geduldig auf diesen schicksalshaften Tag - er ist nicht mehr fern.
Diese Zeilen bekommen gerade durch die Tatsache, dass sie bei der WM 2010 nicht gesungen wurden, ein besonderes Gewicht. Zwar hat K’naan einmal gesagt, dass der Sport Menschen zusammenführen kann. Die Leidenschaft für den Fußball kann es schaffen, dass Menschen verschiedener Nationalitäten aufeinander zugehen und gegenseitig kennen und schätzen lernen. Ich finde es zu einfach und vielleicht sogar gefährlich, bei solchen Sportveranstaltungen nur auf die Freude am Spiel zu schauen! Gerade im Fußball wurde uns in den vergangenen Jahren deutlich, dass die Medaille definitiv zwei Seiten hat. Ob bei der WM in Russland, im vergangenen Dezember in Katar oder der Klub-WM in diesem Winter in Saudi-Arabien: Immer wieder werden diese Projekte auf dem Rücken von Arbeitern realisiert, die eben keine Freiheit, gerechte Bezahlung oder faire Behandlung erwarten dürfen. Eine möglichst große und prunkvolle Inszenierung soll dabei dann über die Missstände in diesen Ländern hinwegtäuschen, welche auch über das Event hinaus bestehen bleibt. Immer noch wird in vielen Ländern die Freiheit des Einzelnen oder die von Minderheiten nicht beachtet und grausam unterdrückt.
Millionen Fans jubeln in den Stadien. Währenddessen ist es Menschen außerhalb verboten, ihre politische Position oder Religion offenzulegen, weil es dem jeweiligen Regime nicht passt. Die einen feiern ausgelassen im Stadion, den anderen droht derweil die Todesstrafe. Während in den Fußballstadien der Kampf um Pokale beklatscht wird, kämpfen Menschen um Anerkennung ihres Leides oder der Ungerechtigkeit. Wo diese Missstände dann sichtbar werden, kann vielleicht etwas geschehen.
Wenn ich älter bin, werde ich stärker sein. Sie werden mich Freiheit nennen und ich werde wie eine wehende Flagge sein. Und dann fangen wir von vorne an.
Ein Blick auf die deutsche und auch afrikanische Geschichte zeigt: Wahre Freiheit ist nicht einfach da. Freiheit ist ein Prozess, sie muss wachsen und sicher kann nicht jedes Problem von heute auf morgen gelöst werden. Aber existierende Freiheit muss ein Hinweis sein. Wie eine wehende Fahne müssen die Menschen, die schon in Freiheit leben, auf die Unfreiheit der anderen Menschen hinweisen. Ich kann, wo ich in Freiheit lebe, durch meine Stimme und mein Verhalten etwas ändern. Und ich muss genau hinsehen. Denn die Menschen, die in Unfreiheit leben, machen auf sich aufmerksam. Sie leiden nicht still und nehmen alles hin. So sehr ich Fußball mag und mir die Spiele bei den Weltmeisterschaften gerne anschaue, muss ich meinen Blick weiten, damit ich die Menschen sehe, die vielleicht leiden.
Das soll mir nicht die Lust am Fußball nehmen, es soll mich sensibler machen und mich ermutigen, nicht alles so hinzunehmen, wie es mir manche Veranstalter zusammen mit Regierungen gerne glauben machen wollen. Den Blick weiten bedeutet, mich bereit zu machen für eine Veränderung an mir selbst. Dann kaufe ich vielleicht doch nicht das billige Trikot aus dem Onlineshop, sondern schaue genau hin, wo es produziert wurde. Vielleicht ist es mir dann auch nicht so wichtig, noch eines der Tickets zu ergattern, um bei den Spielen dabei zu sein. Und ganz sicher verstehe ich Menschen besser, warum sie ihr Land und ihre Heimat verlassen, wie auch K´naan, um woanders Freiheit zu erleben.
So viele Kriege, um Rechnungen zu begleichen. Versprechungen, die uns arm zurücklassen. „Die Antwort heißt Liebe“, sagen sie.
Doch schau wie sie uns behandeln, sie machen uns zu Gläubigen.
Wir kämpfen ihre Schlachten, dann hintergehen sie uns.
Sie versuchen uns zu kontrollieren. Aber sie können uns nicht aufhalten.
Denn wir kommen voran wie die Buffalosoldiers.
Doch wir ringen, kämpfen um essen und
wir fragen uns, wann wir frei sein werden.
Also müssen wir geduldig warten, auf den schicksalhaften Tag
Er ist nicht mehr fern, aber bis dahin heißt es:
Wenn ich älter bin, werde ich stärker sein. Sie werden mich Freiheit nennen und ich werde wie eine wehende Flagge sein. Und dann fangen wir von vorne an.
Der Name K´naan bedeutet auf Somalisch „Reisender“. Mich als Christ erinnert K´naan unweigerlich an Kanaan, das gelobte Land. Gott hat es Abraham versprochen, und doch sind die Israeliten erst Jahrhunderte später aus der Unfreiheit in Ägypten in das gelobte Land gekommen. Erst nach einem langen Weg, der nicht einfach war und oft auch zu scheitern drohte, konnten die Israeliten in Freiheit leben. Dabei mussten die Israeliten immer wieder darum ringen, aufeinander verwiesen zu bleiben und ihr Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Der Kampf aus Unfreiheit in die Freiheit ist kein leichter und kein schneller Weg. Oft genug sind auch schon Bewegungen für Freiheit gescheitert. Aber immer wieder müssen die Menschen, muss auch ich ganz persönlich einen neuen Anlauf wagen. Meine Freiheit hier ist dabei wie eine Verpflichtung. Denn auch in der Geschichte Deutschlands gibt es viele Zeiten von Unfreiheit und Unterdrückung, die nur überwunden werden konnten, weil die Menschen immer wieder aufgestanden sind und versucht haben, etwas zu verändern. Viele dieser Menschen haben die Freiheit nicht erlebt, für die sie gekämpft haben. Ich kann nur in Freiheit leben, weil sie dafür gekämpft haben.
Meine Freiheit ist also nicht einfach da und wird somit zur Aufforderung, auch etwas für eine Freiheit zu tun, die ich selbst vielleicht gar nicht erleben werde.
Der Künstler K´naan hat seit seiner Flucht aus Somalia dort nie ein Konzert gegeben. Doch selbst wünscht er sich, irgendwann zurückzukehren, wie er in einem Interview mit dem Funkhaus Europa im Dezember 2010 sagte. In einigen Liedern beschreibt er die Lage in seinem Heimatland und in noch mehr Liedern macht er auf Menschen aufmerksam, die in Unfreiheit und Unterdrückung leben. K´naan wird durch seine Lieder zur wehenden Fahne für diese Menschen, die ich dann nicht mehr übersehen kann.
Ich kann dann mehr als nur Mitleid oder Sympathie für diese Menschen entwickeln. Durch mein Handeln und meine Haltung im Kleinen kann ich etwas dazu beitragen, dass sich langsam, aber sicher etwas für diese Menschen ändert. Ich kann mit meinem Tun dann auch zu einer wehenden Fahne werden.