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Frühling! Wo wächst bei mir Neues?
pixabay / Christelle

Frühling! Wo wächst bei mir Neues?

Dr. Annegreth Schilling
Ein Beitrag von Dr. Annegreth Schilling, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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Morgen ist kalendarischer Frühlingsanfang. Ich habe Lust, endlich den Balkon flott zu machen. Für mich ist das jedes Jahr wie ein Ritual: reinigend und heilsam. Ich nehme mir den Balkonkasten vor, rupfe die vertrockneten Zweige heraus und schneide den Lavendel zurück. Ein Blumenstock sieht ziemlich mickrig aus. Ob der es in diesem Frühling nochmal macht? Ich habe leider vergessen, ihn im Winter regelmäßig zu gießen. Dann zumindest jetzt! Ich greife zur Gießkanne und wässere ihn. Ich hoffe, er verzeiht mir und treibt wieder aus.

Samen in den Topf und abwarten ...

In einen anderen Blumenkasten fülle ich neue Erde und pflanze Samen ein. Bunte Blütenmischung, steht auf der Packung. Ich decke die Samen mit Erde zu und gieße sie an. Es wird eine Weile dauern, bis hier die ersten Spitzen zu sehen sind. Aber ich kenne mich: Ab jetzt werde ich jeden Tag nachschauen, ob sich schon was getan hat. Meine Art Frühlingsschau. Und wenn der erste Halm seinen Kopf durch die Erde steckt, dann merke ich: Jetzt ist der Frühling richtig da. Der Winter und die kalten Tage sind vorbei. Jetzt beginnt das Leben wieder zu wachsen und zu blühen. Was für ein Segen!

Ein Segen, wenn alles wieder wächst

Ja, ein Segen, wenn die Samen in meinem Blumenkasten aufgehen. Wenn mein vertrockneter Blumenstock es nochmal schafft. Ein Segen, wenn es genug Sonne und genug Regen gibt, damit die Pflanzen bekommen, was sie brauchen.

Was wächst gerade in meinem Leben?

Nicht nur die Natur, das Leben generell blüht auf. Zum Frühlingsanfang denke ich darüber nach: Was wächst in meinem Leben gerade? Gibt es da was, bei dem ich spüre: Da bahnt sich gerade ein grüner Halm den Weg durch die Erde, da beginnt etwas Neues?

Musik

Frühlingsschau auf dem Balkon

Ich mache Frühlingsschau auf dem Balkon. Alles, was vertrocknet ist, schneide ich zurück und mache Platz für das, was wachsen und blühen will. So eine Frühlingsschau tut mir auch selbst gut. Ich schaue hin, wo in meinem Leben grüne Zweige sprießen. Wo wächst Mut, wo wächst Hoffnung, wo zeigt sich Neues?

Endlich wieder mit anderen singen

Frühlingsstimmung erlebe ich gerade in meiner Frankfurter Kirchengemeinde, in der ich Pfarrerin bin. Wegen der Pandemie mussten wir in den letzten Jahren größere Veranstaltungen und Gottesdienste absagen. Vor ein paar Wochen haben wir zum ersten Mal seit drei Jahren wieder ein großes Konzert veranstaltet. 100 Leute sind gekommen, um gemeinsam zu singen und Musik zu machen. Ich habe im Chor mitgesungen. Das war ein wundervolles Gefühl: mit anderen singen und zu einem großen Klang zusammenwachsen. Gänsehaut-Feeling!

Segen ist, wenn Menschen merken: Sie sind miteinander und mit Gott verbunden

Die Bibel beschreibt solche besonderen Erfahrungen als Segen. Segen ist, wenn Menschen merken: Sie sind miteinander und mit Gott verbunden. Sie wachsen über sich selbst hinaus. Sie fühlen sich von Gott gesegnet, also mit göttlicher Kraft beschenkt. Und das strahlt auch nach außen. Sie bekommen Segen und können ein Segen für andere sein.

"Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein."

In der Bibel sagt Gott: "Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein." Der Satz stammt aus der Geschichte von Abraham und Sara. Ein Paar, ohne Kinder. Sie sind schon alt, viel zu alt, um noch Kinder zu bekommen. Eines Nachts ruft Gott Abraham. Die Stimme Gottes führt Abraham nach draußen, und er schaut in den Sternenhimmel. Da sagt Gott zu Abraham: "Zähle die Sterne; kannst du sie zählen? So zahlreich sollen deine Nachkommen sein!" (1. Mose 15,6) Und Abraham vertraut darauf, was Gott ihm verspricht: "Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein." (1. Mose 12,3)

Ich stelle mir vor: Diese Gottesbegegnung unter dem Sternenhimmel war für Abraham Gänsehaut pur. Er hat gespürt: Mit mir und meiner Frau geschieht etwas Großes. Gott legt seinen Segen auf uns und gibt uns Kraft für unser Leben. Gleichzeitig hat dieses Erlebnis bei Abraham sicherlich auch viele Fragezeichen ausgelöst: Wie sollen Sara und er denn auf ihre alten Tage noch Kinder bekommen? Ist das wirklich ein Segen – oder eher eine Zumutung?

Kinder sind Segen und Zumutung zugleich

Ich habe selbst drei Kinder und weiß: Kinder können beides sein. Segen und Zumutung. Unsere Nachbarin freut sich sehr an ihnen und sagt mir oft: "Ihre drei Schätze sind so ein Segen!" Ich verstehe das so: Ich bin als Mutter gesegnet, überhaupt Kinder haben zu dürfen. Das ist für mich ein Gottesgeschenk. Und nicht nur für mich. Auch meine Nachbarin fühlt sich durch meine Kinder gesegnet, also beglückt. Das Kinderlachen und sogar das Geschrei im Treppenhaus bedeuten für sie: Da ist Leben im Haus.

Der Nachbar unter uns sieht das ein bisschen anders: Denn wenn eines von unseren Drei mal wieder einen Wutanfall hat und trotzig im Kinderzimmer auf den Boden stampft, ist das für ihn eine Zumutung. Dann hängt der Haussegen schief. Ich frage mich: Muss das so bleiben oder kann da Vertrauen wachsen, zwischen meiner Familie und unserem Nachbarn? Kann da Frühling einziehen zwischen uns? Wie können wir füreinander zum Segen werden?

Musik

Abraham und Sara - ein Segen für ihre Familie

In der Bibel spricht Gott zu Abraham: "Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein." Gott gießt den Segen über Abraham und seine ganze Familie. Daraus entsteht Neues: Abraham und Sara werden im hohen Alter noch Eltern. Sie sind beschenkt von Gott. Und das strahlt auch nach außen. Abraham und Sara werden zum Segen für die Menschen, die mit ihnen leben. Für die Leute, die für sie arbeiten, für ihre Verwandtschaft, ihre Kinder und Enkel.

Zum Segen für andere werden

Ich wünsche mir, dass ich auch in so eine Haltung hineinwachsen kann: Spüren, ich bin von Gott gesegnet, und dann zum Segen für andere werden. Das liegt allerdings nicht nur in meiner Hand. Bei meiner kinderbegeisterten Nachbarin hat das schon mal geklappt, ohne großes Zutun. Es ist für sie ein Segen, wenn ihr mein Sohn seinen neuesten Witz erzählt. Sie lacht – und das ist im ganzen Hausflur zu hören. Das steckt andere an.

Mit unserem anderen Nachbarn ist das nicht so leicht. Er erlebt unsere Kinder weniger als Segen, eher als Zumutung, wenn sie Krach machen. Natürlich versuche ich, meinen Kindern Rücksicht beizubringen. Aber Kinder sind Kinder. Ich frage mich: Wie können wir als Familie trotzdem so etwas wie ein Segen für unseren Nachbarn sein?

Ein Blumengruß für den Nachbarn

Da kommt mir eine Idee: Ich gehe zum Balkon und hole einen kleinen Blumentopf. Meine Tochter hat sofort Lust, ihn anzumalen. Dann füllen wir den Topf mit frischer Erde und pflanzen Blumensamen hinein. Wir träufeln Wasser darauf, und dann heißt es: abwarten.

Der bemalte Blumentopf soll ein kleiner Frühlingsgruß für unseren Nachbarn werden. Ich glaube, es ist jetzt noch zu früh, ihm den erdigen Blumentopf vor die Tür zu stellen. Ich möchte warten, bis ein paar grüne Spitzen zu sehen sind.Und dann können wir bei unserem Nachbarn klingeln.

Im Frühling neu anfangen, schauen, was wächst, und hoffen, dass es zum Segen wird

Ich weiß nicht, ob diese Geste wirklich etwas an unserem Verhältnis ändert und ob er unsere Familie dann weniger als Zumutung erlebt. Aber ich will es probieren. Jetzt im Frühling ist dafür ein guter Zeitpunkt. Neu anfangen, schauen, was wächst, und hoffen, dass es zum Segen wird.

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