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Wozu fasten Menschen?
Bild: Emeka_Udemba_Miserior_Fastenaktion2023

Wozu fasten Menschen?

Anna Maria Niem
Ein Beitrag von Anna Maria Niem, Mentorin für geistliche Ausbildung an der katholischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt
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Im christlichen Kirchenjahr hat wieder die Fastenzeit begonnen. Traditionell wird im kirchlich-katholischen Umfeld in der Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern auf Fleisch verzichtet. In den orthodoxen Kirchen ist das Fasten noch viel strenger, auch kein Käse, keine Eier, kein Öl. Da wird Fasten richtig spürbar. Auch viele Menschen, die sich selbst nicht als kirchlich bezeichnen würden, fasten. Sie verzichten auf Süßigkeiten, Zigaretten oder Alkohol. Manche üben sich im Autofasten oder Medienverzicht.

Als Kind schon „Süßigkeiten gefastet“

Ich habe es mir als Kind schon von meiner Mutter abgeschaut, ganz gewissenhaft auf Süßigkeiten zu verzichten. Einmal habe ich an einem Fastensonntag beim Bäcker einen Lutscher geschenkt bekommen. Den habe ich den ganzen Rückweg über vor mir hergetragen. Und nur zwischendurch einmal mit der Zunge probiert, wie er schmeckt.

Nach so einem Fastentag genieße ich neu

Was ich als Kind konnte, fiel mir später viel schwerer, und ich habe es gelassen. Bis ich dann viele Jahre später katholisch geworden bin. Wenn man irgendwo neu ist, und das aus freier Entscheidung, identifiziert man sich oft erstmal 150%ig. Das hieß für mich als frisch gebackene Katholikin: kein Fleisch, keine Süßigkeiten, keinen Alkohol in der Fastenzeit. Dann habe ich zusätzlich damit begonnen, mittwochs einen Obsttag einzulegen und freitags überhaupt nichts zu essen. Ich war ganz stolz, dass ich das durchhalten konnte. Es wurde wie ein Sport für mich, mit viel Ehrgeiz verbunden. Ein positiver Nebeneffekt war, dass ich nach so einem Fastentag auch Kleinigkeiten, wie etwa eine trockene Scheibe Brot, ganz anders und neu genießen konnte. Bissen für Bissen.

Das zu strenge Programm schadete mir

Doch am Ende dieser Zeit habe ich gespürt: Ich habe mir selbst geschadet mit diesem strengen Programm. Und war am Osterfest, auf das diese Zeit doch eigentlich vorbereiten soll, ziemlich geschwächt.

Was ist der eigentliche, tiefere Sinn des Fastens?

Und so habe ich angefangen, tiefer nachzudenken: Wozu fasten Menschen eigentlich? Mir war schnell klar: Zwei Dinge wollte ich nicht mehr. Es sollte kein Hochleistungsprogramm mehr werden, das mir schadet. Und ich wollte es auch nicht aus blindem Gehorsam gegenüber kirchlichen Regeln tun, die ich noch nicht verstanden hatte. Ich war auf der Suche nach Inhalt, nach einem tieferen Sinn.

Was hält mich in meinem Alltag gefangen?

Ich habe bald verstanden: Viel wichtiger als der Verzicht ist das, was er bewirken kann. Es kann mir manchmal helfen, auf etwas zu verzichten. Und so habe ich angefangen, mich jedes Jahr ehrlich zu fragen: Was hält mich in meinem Alltag eigentlich gefangen? Was nimmt viel zu viel Zeit und Energie in Anspruch, dass es mich von anderem abhält? Ich merke z. B., wie mich der ständige Blick auf mein Handy manchmal regelrecht aufsaugt. Und so habe ich mir für dieses Jahr vorgenommen: Ich schaffe mir feste Zeiten dafür und andere Zeiten, die frei davon sind.

Verzicht schafft Platz für anderes

In der Bibel wird das Fasten in einem Atemzug genannt mit Almosengeben und Beten. Ich verstehe das so: Wenn ich mich frei mache von etwas, das viel zu viel Raum einnimmt in meinem Alltag, dann wird Platz für anderes. Dann gewinne ich mehr Energie, mich um andere Menschen zu kümmern. Und um Gott.

Das Hungertuch richtet den Blick auf die Probleme unseres Planeten

Das katholische Hilfswerk Misereor organisiert jedes Jahr eine Fastenaktion. Sie richtet den Blick auf soziale Probleme der Menschen anderer Länder und speziell in diesem Jahr auch auf den Zustand unseres Planeten. Denn ein Teil dieser Aktionen ist ein sogenanntes „Hungertuch“, das alle zwei Jahre neu von einem Künstler entworfen wird. Heute wird die diesjährige Aktion eröffnet und das neue Hungertuch vorgestellt.

Unsere Weltkugel übersät von Pflastern

Es wurde geschaffen von dem nigerianischen Künstler Emeka Udemba. Es zeigt die Weltkugel vor einem roten, mit Pflastern übersäten Hintergrund. Auch die Erde selbst ist voll von solchen Pflastern. Hinter diesen Pflastern verbergen sich viele große und kleine Wunden. Sie sind durch Krieg, Klimawandel und die vielfältig vernetzten Krisen unserer Zeit verursacht. Für den Klimawandel und die ständig fortschreitende Erderwärmung steht auch das Rot des Hintergrundes.

Zwei Hände greifen nach der Welt und drohen sie zu verlieren

Die Hände von zwei Personen aus unterschiedlichen Regionen der Welt sind an der Erdkugel sichtbar. Es geht mehreres gleichzeitig von diesen Händen aus: Sie greifen nach der Erdkugel. Sie halten sie. Sie berühren sie und drohen sie zu verlieren. Werden sie es schaffen, die Erde zu erhalten, oder wird sie in den roten pflasterübersäten Hintergrund versinken?

Entstanden aus vielen Nachrichtenschnipseln

Das Bild ist entstanden aus Tageszeitungen mit ihren vielen positiven wie negativen Nachrichten, teils übermalt, teils zerschnipselt. Sie erscheinen in neuem Licht. Einzelne Wörter sind noch lesbar. Wörter wie „Anfang“ und „Neubeginn“ fallen mir ins Auge.

Das Hungertuch wirbt um Aufmerksamkeit für unseren Planeten

Auch die Fastenzeit will eine Zeit des Neubeginns sein. Kirchlich gesprochen: der Umkehr zu mir, zu Gott und den Menschen. Das neue Hungertuch wirbt um meine Aufmerksamkeit für unseren Planeten. Wenn wir nicht einen neuen Anfang wagen, wird er versinken im drohenden Rot der Zerstörung. Die vielen Pflaster auf dem Bild wirken wie ein Ruf nach Heilung. Wir können unseren Planeten nur gemeinsam retten. Nur, wenn alle Länder der Erde zusammenwirken. Und gleichzeitig beeinflusst ihn jede einzelne Hand in ihrem Tun und Lassen.

Was ist uns wirklich, wirklich wichtig?

Der Titel des Bildes ist die Frage: „Was ist uns heilig?“ Will heißen, was ist uns wirklich, wirklich wichtig? Etwas, das wir niemals antasten würden. Das eine Art von Tabu für uns bildet. Das ist eine Frage, die wir uns als Gemeinschaft der Menschen stellen müssen. Ob es noch Tabus gibt? Oder ob alle Mittel erlaubt sind für augenblicklichen Komfort…

Fasten kann helfen, ein neues Gleichgewicht zu finden

Ich kann mir diese Frage aber auch ganz persönlich stellen. Was ist mir wirklich heilig? Wofür lohnt sich ein wenig Anstrengung in meinem Leben? Das Fasten kann mir helfen, ein neues Gleichgewicht zu finden. Zwischen den Dingen, die sich in meinem Alltag verselbständigt haben, und denen, die ich wieder neu als wichtig erkannt habe. Auch mit Blick auf unseren Planeten. Umweltschutz fängt ja bei mir an, nicht erst auf irgendwelchen politischen Ebenen.

Meine Umwelt braucht meine Hilfe

Das Hungertuch erinnert mich daran: Meine Umwelt braucht meine Hilfe. Wenn ich in dieser Fastenzeit immer wieder auf mein Handy verzichte, kann ich die neu gewonnene Zeit nutzen. Mich mehr der Natur zuwenden. Mehr mit dem Fahrrad als mit dem Auto fahren, mal ganz ohne Handy in Ruhe spazieren gehen. Und damit der Erde Pflaster aufkleben, unter denen sie heilen darf.

So viele Wunden, die auf ein Pflaster warten

Ein Problem bei der Sache ist: Ich möchte oft viel mehr tun, als ich kann. Ich könnte wahnsinnig viel tun: Auf Plastik verzichten. Lebensmittel vor dem Wegwerfen retten. Verwaiste und gequälte Tiere bei mir aufnehmen. Mich notleidenden Menschen zuwenden. Mich in verschiedensten Organisationen engagieren. Tatsächlich auch auf Fleisch verzichten, der Umwelt zuliebe. Wenn ich mir das alles vor Augen halte, wird mir manchmal schwindlig. So viele Wunden, die auf ein Pflaster warten.

Beten hilft mir, dass ich mich nicht verzettele

Doch die Bibel erinnert mich daran, dass das Fasten auch für das Gebet und für Gott öffnen will. Ich glaube: Er ist es, der all mein unvollkommenes Tun da ankommen lässt, wo es am meisten gebraucht wird. Und der mir überhaupt erst die richtigen Ideen eingibt. Wenn ich mir stille Zeiten für das Gebet nehme, ordnen sich die vielen Ideen in meinem Kopf. Dann verzettele ich mich nicht so zwischen den vielen Möglichkeiten. Dann spüre ich, worauf es sich ganz zu konzentrieren lohnt.

Ich allein kann nicht die Welt retten

Schließlich erinnert mich das Hungertuch daran, dass es nicht meine Aufgabe ist, die Welt zu retten. Ich soll und darf tun, was ich kann, muss mich damit aber nicht heillos überfordern. Genau wie beim Fasten.

Das Hungertuch lenkt meinen Blick auf das Kreuz

Das Hungertuch lenkt meinen Blick auf das Kreuz. Ab Beginn oder Mitte der Fastenzeit werden in den Kirchen mit so einem Tuch die Kreuze verhüllt. Was ich eine Zeitlang nicht sehe, kann ich neu in seiner Bedeutung für mich erkennen.

Hinter dem Kreuz kommt Ostern

Das Kreuz hält mir die wohl größte Wunde unseres Lebens vor Augen: den Tod. Doch als Christ schaue ich auf das Kreuz, weil ich weiß: Dahinter kommt Ostern. Der Tod hat nicht das letzte Wort. Wir müssen da durch, aber Gott hat es uns vorgemacht: Der Weg durch den Tod führt ins Leben.

Vor dem Kreuz beten, dass Gott hilft die Wunden zu heilen

So möchte ich in dieser Fastenzeit sinnvoll fasten. Ich weiß, ich kann nicht alle Wunden dieser Welt selber heilen, einzelne vielleicht. Aber ich will mich immer einmal wieder vor das Kreuz setzen und darum beten, dass alle Wunden heilen. Dass Gott immer zur richtigen Zeit den richtigen Menschen vorbeischickt, der heilen helfen kann. Auch mich selbst. Ich glaube: Gott möchte, dass wir mit ihm durch diese Wunden hindurchgehen, auch durch unsere eigenen, persönlichen. Auf der anderen Seite wartet das Leben. Und das ist dann jedes Mal ein neues Osterfest, mitten in unserem Alltag.

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