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Worte sind mehr als Schall und Rauch
Bild: unsplash / Brett Jordan

Worte sind mehr als Schall und Rauch

Kathrin Mantey
Ein Beitrag von Kathrin Mantey, Evangelische Pfarrerin, Marburg
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Worte können das Leben verändern. Im Guten wie im Schlechten. Manche Worte hat man sein Leben lang im Ohr. Wie zum Beispiel bei Carlotta: Nie wird sie diese Worte ihres Vaters vergessen: „Das schaffst du nie.“ 

Carlotta fehlt Unterstützung

Den Satz sagt er, als sie gerade mit der Schule fertig ist. Gleich danach hat sie sich für eine Ausbildung als Physiotherapeutin beworben. Sie träumt davon, auszuziehen, berufstätig zu sein und ihr eigenes Leben zu leben. Wie erhofft erhält sie eine Einladung zum Vorstellungsgespräch – allerdings nicht, wie ihr Vater es möchte. Leider nicht in einer Praxis vor Ort, sondern in einer Klinik weit entfernt in Südhessen. Da ist sie noch nie gewesen. Sie kennt sich nicht aus mit Bussen und Bahnen in der Großstadt und fragt sich: „Wie soll ich denn da hinkommen?“ Jetzt bräuchte sie die Unterstützung von Erwachsenen, die ihr beim nächsten Schritt in die Selbstständigkeit helfen. Doch die erste Reaktion ihres Vaters ist: „Das schaffst du nie!“ 

„Du schaffst das nie“ - die Worte bestimmen sie weiter

Bis heute ist dieser Satz aus Carlottas Leben nicht verschwunden. Längst ist aus der unsicheren Schülerin eine selbstbewusste Frau geworden. Aber diese Worte kann sie nicht vergessen: „Manchmal denke ich ewig lange nicht daran“, sagt sie. „Aber sobald etwas besonders Schwieriges auftaucht oder wenn der Stress im Beruf zu groß wird, ist erstmal dieser Selbstzweifel da: „Das schaffst du nie.“

Worte können das Leben verändern. Viele unterschätzen die Wirkung von dem, was sie zu anderen sagen. Es scheint dann so, als ob gar nichts passiert, solange man „nur redet“. Das drückt sich zum Beispiel auch in der Redewendung aus: „Worte sind nur Schall und Rauch“. 

Worte prägen unser Leben in jeder Hinsicht

Leider gilt das nicht für Carlotta. Sie hat - wie andere auch - eine andere Erfahrung gemacht. Es gibt Worte, die tun etwas mit einem. Die prägen das Leben und verändern es. Ja, Worte können Menschen verunsichern oder verletzen. Aber sie können auch ermutigen und bestärken. Denn glücklicher Weise wirken Worte auf viele verschiedene Arten: Bei Kindern beobachte ich das zum Beispiel: Wenn ein Kind auf einen Baum klettern will, dann schafft es das besser, wenn es merkt: Mir wird etwas zugetraut. Wenn die Eltern es mit Worten unterstützen: „Na los, versuch´s doch mal!“ Viele Herausforderungen sind dann gar nicht so schwer oder beängstigend, wie sie auf den ersten Blick wirken. Wer als Kind von Anfang an nur Warnungen hört und die Angst der Eltern spürt, hat vielleicht irgendwann gar keine Lust mehr, hochhinaus zu klettern.

Jesu Worte und der Hauptmann 

Worte wirken und sind nicht nur Schall und Rauch. In der Bibel gibt es einen Mann, der genau weiß, wie sehr sie wirken. Er vertraut in besonderer Weise auf die Worte eines anderen Mannes. Er selbst ist von Beruf Soldat und dient als Hauptmann in der römischen Armee. Sein Name ist nicht bekannt. Aber von Jesus hat er wohl schon gehört. Und Jesus kommt in die Nähe des Ortes, in dem der Hauptmann lebt. Diese Chance zum Gespräch nutzt er. Sein Knecht ist schwer krank geworden und der Hauptmann bittet Jesus, ihn wieder gesund zu machen. Und das allein durch die Kraft seiner Worte. Voller Vertrauen sagt er zu Jesus: „Sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.“ (Mt. 8,8)

Die Bibel erzählt auch von anderen Menschen, die Jesus heilt. Einfach, indem er mit ihnen spricht. Manchmal berührt er sie auch oder macht eine Geste. Dieser römische Soldat, der Jesus um Hilfe bittet, glaubt sogar: Jesus muss noch nicht einmal den Kranken sehen, damit die Worte wirken. 

Wo Worte wirksam sind und sein müssen

Jesus selbst ist ganz erstaunt darüber, was der Hauptmann ihm da zutraut. Doch der Soldat erklärt ihm, wie er sich die Sache vorstellt. Er sagt: „Das ist doch so ähnlich wie beim Militär. Wenn ich einen Befehl gebe, dann reagieren meine Untergebenen sofort. Wenn ich zu einem Soldaten sage, komm her, dann kommt er“. Der Hauptmann beschreibt eine Befehlskette, wie sie bis heute in vielen Bereichen üblich ist. Da, wo schnell und effektiv gehandelt werden muss, braucht es klare Ansagen. Die Einsatzleitung der Feuerwehr beispielsweise kann nicht lange diskutieren, ob eine Anweisung sinnvoll ist. Oft müssen ein, zwei Worte reichen: Bei „Wasser marsch“ muss das Wasser einfach kommen. Natürlich müssen diejenigen, die den Befehl geben, wissen, was sie tun. Ihre Worte müssen tragen und belastbar sein, sonst landet die ganze Aktion im Chaos. Der Sinn einer Befehlskette ist: Mit möglichst wenigen, guten Worten möglichst viel zu bewirken. 
Der Hauptmann, der solche klaren Ansagen gewohnt ist, verspricht sich das auch von Jesus. Und er wird nicht enttäuscht. Sein Knecht, der gelähmt ist und Schmerzen hat, wird wieder ganz gesund. 

Jesu Worte verändern Leben

Die Menschen, die Jesus begegnen, merken: Seine Worte sind verlässlich. Der weiß, was er sagt. Wenn er von Gottes Liebe spricht, wirken seine Worte wie in einer gut funktionierenden Befehlskette. Sie verändern das Leben der Menschen, die diese Liebe so dringend brauchen. Auf sein Wort hin geschehen die unterschiedlichsten Dinge, mit denen Gottes Liebe sichtbar und spürbar wird: Zum Beispiel können sich Gelähmte plötzlich wieder bewegen und Blinde können wieder sehen. 

Neben diesen spektakulären Wundern, wie sie auch der Hauptmann erlebt, gibt es viele andere Gespräche, bei denen die Worte von Jesus vor allem im Inneren seiner Gesprächspartner wirken. So zum Beispiel beim Zöllner Zachäus: Der unsichere und habgierige Mann bekommt eine neue Sicht auf sein Leben und fängt nochmal ganz neu an. 

Jesus sieht die Probleme und Ängste, auch die verborgenen, die nach außen gar nicht sichtbar sind. Und er leistet mit seinen Worten Hilfe, so dass Menschen an Leib und Seele gesund werden. 

Die Macht unserer Worte nicht unterschätzen

„Sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.“ Ich kann zwar mit dem, was ich sage, nicht solche Wunder vollbringen. Aber ich möchte die Macht unserer bescheidenden Worte nicht unterschätzen! 

Es sind doch schon Kleinigkeiten, die im Alltag den Unterschied machen: Wenn mir beispielsweise eine Kollegin morgens ein Kompliment macht, gehe ich schwungvoll an die Arbeit. Höre ich aber als erstes, was wieder nicht geklappt hat, sinkt die Laune. Selbst kleine Freundlichkeiten machen doch einen Unterschied, wie wir uns am Ende des Tages fühlen. 

Wenn Jesus mit Menschen spricht, werden sie gesund. Seine Worte beginnen sofort, ihr Leben zu verändern. 

Das menschliche Gehirn achtet vor allem auf negative Äußerungen

Aber wie ist das eigentlich mit unseren Worten? Und wie nehmen wir selbst wahr, was andere sagen? Aus der Forschung weiß man: Das menschliche Gehirn achtet vor allem auf Negatives. Auch wenn wir es gar nicht merken, konzentriert sich unser Gehirn ständig auf Gefahren und Hindernisse. Diese Art von Frühwarnsystem ist für unsere Vorfahren ein entscheidender Vorteil gewesen. Aber es führt auch dazu, dass wir Kritik und negative Äußerungen viel stärker hören als etwas Positives. Ich brauche also wesentlich mehr Zeit und Worte, um jemanden zu beruhigen oder zu bestärken, als um ihm oder ihr etwas Negatives zu sagen. 

Gute Worte sind so wichtig

Dabei sind gute Worte doch so wichtig! Wir brauchen Anerkennung und Verständnis. Denn erst wer sich angenommen und akzeptiert fühlt, geht auch mit kritischen oder negativen Äußerungen gut um. 

So ist es Carlotta mit den Worten ihres Vaters gegangen: Heute muss sie zwar manchmal noch daran denken, aber sie machen ihr keine Angst mehr. Anders als von ihm vorausgesagt, hat sie damals die Fahrt zum Bewerbungsgespräch geschafft – und die Stelle bekommen. Für sie war es der erste Schritt in die Unabhängigkeit. Der ist ihr deshalb auch so gut gelungen, weil andere Menschen sie unterstützt haben: mit praktischen Ratschlägen, mit aufmunternden Bemerkungen und vielen anderen guten Worten. 

Mit guten Worten großzügig umgehen

„Ich bin froh, dass ich immer wieder solche Leute getroffen habe“, sagt Carlotta rückblickend. Denn es hat viele Jahre lang gedauert, bis sie die Wirkung dieser guten Worte spüren konnte und ihren eigenen Fähigkeiten vertraut hat.

Mit guten Worten sollten wir großzügig umgehen. Erst dann können sie richtig wirken. Wir heilen damit zwar nicht jede Krankheit, aber das richtige Wort zur richtigen Zeit kann das Leben verändern. Gelegenheiten dazu gibt es viele. Man muss sie nur nutzen. Die neue Woche, die vor uns liegt, bietet jede Menge Gelegenheiten dazu.

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