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Du bist doch verrückt!
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Du bist doch verrückt!

André Lemmer
Ein Beitrag von André Lemmer, Katholischer Pfarrer in der Pfarrei Sankt Elisabeth in Kassel
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"Du bist doch verrückt!" Neben vielen positiven Reaktionen war aber auch dieser Satz eine Rückmeldung auf mein Vorhaben. Damals habe ich meiner Familie und meinen Freunden gesagt, dass ich katholischer Pfarrer werden will. Zunächst hat mich die Reaktion schon ein bisschen getroffen. Ich will ja nicht verrückt sein. Im Gegenteil: Für mich steht der Entschluss, katholischer Priester zu werden, in engem Zusammenhang mit Vernunft. Sicherlich ist es nicht für jeden Menschen vernünftig, einen zölibatären, also ehelosen Lebensweg innerhalb der Kirche zu gehen, aber für mich ist es das.

Es ist für mich eine vernünftige Option, obwohl mir zwei Dinge bewusst sind. Zum einen werde ich nie der schlauste, frommste oder beste Priester sein und mich regelmäßig am Glauben reiben oder ratlos davorstehen. Zum anderen werde ich zeitlebens Priester einer Kirche sein, die auch weit davon entfernt ist, perfekt zu sein.

Darf oder muss man sogar ein bisschen verrückt sein, um Priester zu werden?

Wenn das nicht reicht, die Unvernunft meines Vorhabens aufzuzeigen, dann reicht doch nur ein Blick auf die Probleme und den Mitgliederschwund der Kirchen.
Ja, wenn man diese Argumente aufzählt, scheint es doch mindestens unvernünftig, wenn nicht gar verrückt, dass ich vor Jahren den Weg eingeschlagen habe, katholischer Priester zu werden.

Und doch bin ich es. Ich bin es gerne und ich finde es vernünftig und wichtig, dass ich es bin. Und wenn es mich damals getroffen hat, wenn meine Freunde mir sagten: "Du bist doch verrückt!" Dann war das vielleicht auch, weil ich selbst noch nicht genau wusste, warum das doch vernünftig ist.
Wenn ich von Vernunft, Logik und Rationalität spreche, meine ich normalerweise Dinge, die sinnvoll sind. Diese müssen dann ohne Weiteres überprüfbar sein und für jedermann als vernünftig erkennbar sein. Gerade Religionen haben dabei dann schon keine Chance. Sie sind ja eben nicht so einfach von jedermann als vernünftig erkennbar und eigentlich schon die Eingangsbehauptung, dass es einen Gott gibt, ist nicht überprüfbar. Nur die Person, die diese Behauptung teilt, könnte den Glauben auf seine Vernünftigkeit prüfen. Alle, die behaupten, es gäbe keinen Gott … nun ja, für diese Menschen muss alles, was danach kommt, erst mal unvernünftig sein und bisweilen auch verrückt.

Wie ein Wechselspiel: Die Vernunft nährt den Glauben und der Glaube wächst mit der Vernunft

Es sollte daher das Bestreben der Bibel und der Theologen sein, den Zusammenhang von Glauben und Vernunft schlüssig darzulegen. In der Tat ist dies über alle Jahrhunderte immer wieder Thema namhafter Theologen und Wissenschaftler gewesen. Schon im Neuen Testament, dem zweiten Teil der Bibel, versucht Paulus den Zusammenhang von Glauben und Vernunft immer wieder zu thematisieren. Von Augustinus über Anselm von Canterbury oder Thomas von Aquin, immer wieder werden Glaube und Vernunft verknüpft durch logische Herleitungen oder den versuchen Gottes Existenz zu beweisen. Das ist eine wichtige Disziplin in der Theologie und sie wird es auch immer bleiben. Nur, was ist, wenn Gott so nicht denkt? Was ist, wenn er selbst erst mal gar nicht unterscheidet, was logisch, vernünftig, verrückt, unvernünftig oder unlogisch ist? Was ist, wenn ihn diese menschlichen Einordnungen sogar behindern?

Musik

Der Apostel Paulus schreibt in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth: "…das Törichte hat Gott erwählt, um die Weisen zu Schande zu machen …" (1 Kor 27) Oder anders gesagt: Gott nutzt das Verrückte, um der Logik zu zeigen, wo ihre Grenzen sind. Weiter führt Paulus aus, dass das Schwache der Stärke ihre Grenzen zeigt und das Machtlose der Macht.

Wenn Paulus recht hat: Ist das wirklich gut? Oder sollte sich doch auch Gott, um auf der sicheren Seite zu bleiben, doch lieber der Vernunft und der Logik bedienen, um besser auf sich aufmerksam zu machen? Ich bin ehrlich: Ich finde nicht. Denn gerade das Handeln Gottes, welches vollkommen verrückt scheint, zeigt der ach so rationalen Welt, wo sie sich gerade durch Vernunft und Logik verrannt hat.

Vernünftig, prüfbar und logisch – all das fordert der Mensch, Gott will das Gegenteil

Vielleicht denkt Gott ja auch so: "Die Menschen in der Welt sind grausam, ignorant und können die Wahrheit nicht ertragen? Gut, dann komme ich als Mensch auf die Welt und zeige den Menschen Wege zum Frieden. Ich zeige ihnen, wie sie lernen, den anderen genauso wertzuschätzen wie sich selbst. Ich zeige ihnen, wie sie diese Welt zu einem besseren Ort machen. Ich befehle es ihnen nicht als Gott, sondern zeige es ihnen als Mensch, damit sie lernen, dass Menschen das alles können und nicht auf meinen Befehl oder mein Machtwort warten müssen. Und ich zeige ihnen, dass sie dafür auch etwas aufs Spiel setzen müssen, zur Not sich selbst."

Logisch einfacher wäre doch in all diesen Belangen, dass Gott mit donnernder Stimme aus dem Himmel seinen Willen für alle hörbar, klar und deutlich ausspricht. Aber Gott ist nicht so einfach logisch. Und ich glaube, er hat es auch lieber, wenn er aus unserer Sicht etwas unlogisch handelt, weil es tiefer geht als bloße Logik. Weil es im letzten Ende etwas vernünftiger ist als die Vernunft.

Musik

Wie die Liebe und der Glaube aus der Unvernunft heraus wirken können

Ein kleiner Mönch, der nichts besitzt, außer die Kutte, die er am Körper trägt. Er zeigt den Menschen im 12. und 13. Jahrhundert, dass Besitz nicht alles ist und er teilen kann, auch wenn er selbst fast nichts hat. Das war der Hl. Franziskus.

Ein Priester im KZ zeigt, dass es völlig sinnvoll ist, sein Leben für einen anderen einzutauschen, – auch wenn er nicht einmal weiß, ob die Wärter sich auch an die Abmachung halten, den anderen Menschen wirklich zu verschonen. Genau das tat der Priester Maximilian Kolbe.

Und aus einer Gruppe von 12 Männern, die Gott selbst unter anderem verraten, leugnen und belügen, kann etwas entstehen, was unzählbar viel Gutes in diese Welt gebracht hat. Das waren die 12 Apostel.

Und noch heute, jetzt gerade, gibt es so viele Menschen, die versuchen aus ihrem Glauben heraus in der Welt Gutes zu tun und Leid zu vermindern, obwohl es doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein zu sein scheint. All diese Beispiele zeigen, dass Dinge, die wir aus dem Glauben heraus tun, nicht immer logisch sind.

Gott ist nicht einfach logisch oder besser: Er ist nicht einfach nur logisch. Er ist eben auch in den unlogischen, ja verrückten Dingen des Lebens. Solange sie Gut sind und Gutes bewirken, scheint es ihm egal, was wir zunächst davon denken.

Es ist verrückt: Um Gottes Liebe weiterzutragen, braucht es keine Vernunft

Tatsächlich scheint eben das, was ich tue, wenn ich Gott gespürt habe, oft genauso unlogisch oder verrückt wie Gottes Taten selbst. Ich verbeiße mich dann nicht in Rationalität oder Plausibilität, sondern beantworte die Frage: Was fehlt und wie passt meine Art zu leben und zu handeln in die Antwort!

Ist das nicht genial? Um in dieser Welt Gottes Liebe spürbar zu machen und mich einzubringen, muss ich nicht erst viel wissen oder möglichst vernünftig leben. Auch muss niemand erkennen, wie gut, sinnvoll oder logisch das ist, was ich tue. Ich muss mir keine Gedanken machen. Wenn ich Not erkenne, Einsamkeit, Lieblosigkeit, Intoleranz oder Hass, ich kann einfach loslegen, mit meinen Möglichkeiten diese Not zu lindern. Und andere dürfen das auch verrückt finden. Ich muss nicht warten, dass mir die Leute auf die Schultern klopfen und mir sagen, wie vernünftig ich bin. So verrückt es auch klingt: Wenn ich es aus Liebe tue und wenn es Liebe hervorbringt, dann kann ich gut damit leben, wenn mich andere kopfschüttelnd belächeln.

Das ist eine neue Vernunft. Die Vernunft aus dem Glauben und die Logik des Glaubens. Das ist die Haltung, die mir immer wieder den Wert meiner Lebensentscheidung zeigt. "Du bist doch verrückt!", haben ein paar Leute mir geantwortet, als ich ihnen sagte, dass ich katholischer Priester werden will. Damals hat mich das ein bisschen gekränkt.

Heute kränkt es mich nicht mehr. Ich weiß nämlich, dass es in den Augen mancher Menschen total verrückt ist. Manchmal ist es das auch für mich. Und dann erinnere ich mich, dass es genau diese verrückten kleinen Dinge sind, die Gott so gerne nutzt, um in dieser Welt tiefer als jede Vernunft zu wirken.

 

 

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