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Augen öffnen
Bild: St. Elisabeth, Kassel

Augen öffnen

Nina Emmi Roth
Ein Beitrag von Nina Emmi Roth, Redakteurin und Rundfunkbeauftragte Bistum Fulda
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Der Deutschlandfunk überträgt am 19. März den Gottesdienst zum vierten Fastensonntag live aus der Pfarrkirche St. Bonifatius in Kassel. Die Hl. Messe mit Pfarrer André Lemmer beginnt um 10.05 Uhr.


Der vierte Fastensonntag ist auch unter dem lateinischen Namen „Laetare“, auf Deutsch „freue dich“, bekannt. Wie kann diese Freude angesichts der Kriege, Naturkatastrophen und des Hungers in der Welt bei uns ankommen? Dieser Frage widmet sich Pfarrer André Lemmer in seiner Predigt. Er ist überzeugt: Auch und gerade heute hat das Evangelium die Kraft, Menschen die Augen zu öffnen. Augen die Leid und Unrecht sehen, damit Menschen Dinge in der Welt zum Positiven verändern können. Das sei die Zusage Gottes, so der Pfarrer.

Zur musikalischen Gestaltung des Gottesdienstes trägt der Gemeinschaftschor St. Bonifatius Kassel und Hl. Geist Ihringshausen unter der Leitung von Jaroslav Vereb bei. Der Chor wird musikalisch von Oboe und E-Piano unterstützt. Regionalkantor Thomas Pieper spielt auf Orgel unter anderem ein Stück von Johann Sebastian Bach.

Predigt von Pfarrer André Lemmer:

"Wo ist die Butter? Es ist keine mehr im Kühlschrank!" "Meine blauen Socken sind nicht im Kleiderschrank!" Je nachdem, von wem wir diese Sätze hören, lohnt es sich doch noch mal in den Kühlschrank oder in den Kleiderschrank zu schauen.

Liebe Schwestern und Brüder hier in St Bonifatius, liebe Schwestern und Brüder, die sie mit uns durch das Radio verbunden sind: Oft sind es auch tatsächlich die Männer, die den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Denn natürlich ist die Butter da. Die blauen Socken auch. Was fehlt, ist allein der Blick dafür. Wenn ich an Blindheit denke, fallen mir nicht nur Menschen ein, die ihr Augenlicht gänzlich verloren haben, sondern auch Menschen, die unter temporärer Blindheit für eine bestimmte Sache leiden. Manchmal kann ich auf dem rechten Auge blind sein, wenn ich Antisemitismus oder Diskriminierung von Menschen unterschiedlicher Herkunft oder Orientierung nicht erkenne.

Den Begriff Blindheit kann ich noch um einiges erweitern, aber ich denke, dass es klar wird – Blindheit ist in vielen Facetten ein Problem von Menschen in Kirche, Staat und Gesellschaft. Denn da, wo ich in bestimmten Momenten meines Lebens blind bin, kann es passieren, dass andere darunter leiden. Während Menschen, die ihr Augenlicht verlieren, oftmals ihre anderen Sinne schärfen, wird die andere Blindheit, von der ich spreche, nicht durch eine Sensibilität in anderen Dingen ausgeglichen, sondern ist eher von Ignoranz geprägt.

Mag die Butter im Kühlschrank, oder mögen die Socken noch gefunden werden, wenn ich blind für die Gefühle meiner Partnerin oder meines Partners bin, kann dies nicht nur im Moment weh tun, sondern auch zur gegenseitigen Entfremdung führen. Wenn ich blind bin für die Nöte der Menschen um mich herum, werde ich mich mehr und mehr isolieren und auch meine Sorgen werden nicht erkannt. Wenn ich blind werde in Kirche, Staat und Gesellschaft, können Geschwüre unbemerkt wachsen, die unsere Gemeinschaften nachhaltig belasten.

Aber, all das Große beginnt im Kleinen. Wenn ich nach den Ursachen suche, komme ich immer wieder auf den Einzelnen Menschen, der nicht gehört wird, oder dessen innere Regungen nicht erkannt werden. Wenn ich nach den Ursachen suche, komme ich irgendwann zu mir selbst.

Ich möchte erkannt werden – so wie ich bin. Und ich möchte, dass mein Innerstes, mein Ich, auch von anderen wertgeschätzt wird. Wenn ich nicht gesehen werde, wie ich bin – ja dann fühle ich mich bedeutungslos und lasse es vielleicht andere spüren.

Wie kann ich aber sehend werden? Vielleicht ist ein erster Schritt, dass ich lerne, mich selbst zu sehen und zwar so wie ich bin, nicht wie ich mich gerne sehen möchte. Gott kann mir dabei helfen. Samuel wird in der ersten Lesung zu Isai geschickt. Auch Samuel erliegt erst einer gewissen Täuschung oder Blindheit. Aber Gott sieht auf das Herz, er sieht auf das Innerste und kann somit den neuen König erkennen. Gott sieht das Innerste jedes Menschen. Auch mein Innerstes. Ich kann nichts, aber auch gar nichts vor ihm verstecken.

Ich muss es aber auch gar nicht. Gott, den wir als den Schöpfer bezeichnen, er liebt zunächst alles, was er geschaffen hat. Und wenn Gott, der mein Innerstes sieht, mich liebt: dann darf ich auch sein, wer ich wirklich bin. Ich darf mein eigenes Selbst annehmen. Weil ich vor Gott nichts verstecken kann, muss ich es auch nicht vor mir selbst tun, oder vor anderen. Mit Paulus könnte man sagen, dass alles, was im Finsteren war, alles, was von mir selbst im Dunkeln versteckt war, nun in einem Licht steht. Weil Gott es aufgedeckt hat, oder besser: weil ich erkannt habe, dass Gott es schon immer gesehen hat. Meine eigene Blindheit wird geheilt, weil ich erkenne, dass Gott mich so sieht, wie ich bin. Wenn nun alles, was mich ausmacht in einem Licht, in einem neuen Licht erscheint, wird ein zweiter Schritt sein, dass ich in aller Ehrlichkeit erkenne, was in meinem Leben, unter diesem Licht betrachtet, noch einer Änderung bedarf. Ich weiß: Ich kann mich ändern. Und da, wo ich mich nicht mehr vor mir selbst verstecke, will ich es sogar ändern.

Man könnte sagen: Umkehr durch Selbsterkenntnis und nicht aus Angst vor Strafe. Je mehr und je öfter ich diesen Prozess vollziehe, um so sensibler werde ich dann für andere. Weil ich weiß, wie ich mich selbst vor mir selbst versteckt habe, kann ich andere, meinen Nächsten, besser sehen, wahrnehmen und wertschätzen. Dort gehe ich dann in kleinen Schritten einen langsamen, aber wertvollen Weg des liebevollen Blickes auf andere. Manche Blindheit von anderen kann mich dann amüsieren, andere Blindheit muss ich aushalten, und manche Blindheit kann ich heilen.

Im Evangelium finden wir einen Hinweis darauf, was wir nicht vergessen dürfen: Es braucht den Beitrag Gottes und meinen Beitrag. So wie Jesus aus Erde und Speichel einen Teig gemacht hat. Aus göttlichem und irdischem hat er Heilung gemacht. Sehend werde ich also nur wenn ich anerkenne, dass Gott in mir beginnt und ich daraus etwas machen kann. Etwas, das mein und anderer Menschen Leben hell macht. Und darum und darauf können wir uns immer wieder freuen.  

 

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