
Das große Ganze nicht aus dem Auge verlieren
„Ihr Christen, ihr seid ja gar nicht richtig religiös“, hat mir neulich eine muslimische Frau in einer Eltern-Kind-Gruppe gesagt. Sie hat es nicht böse gemeint und war dann richtig erschrocken, als sie gesehen hat, dass mir das nicht egal war. „Ich meine, man erkennt euch nicht“, hat sie dann zur Erklärung gesagt. „Ihr macht einfach, was ihr wollt. Es macht keinen Unterschied, wenn ihr nun keine Christen wärt.“ Anders natürlich bei ihr: Sie trägt Kleidung, die sie von vorneherein unterscheidet. Sie isst kein Schweinefleisch. Sie verzichtet auf etwas.
Für uns ist der Geist hinter den Regeln das Wichtige
„Na ja, so ganz unrecht hat sie nicht“, hab ich mir gedacht. Aber warum haben Regeln für Christen keine so große Bedeutung? Die Diskussion um Regeln hatten offenbar schon die frühen Christen. Im Matthäus Evangelium steht dazu ein etwas ungewöhnlicher Satz: „Die Mücken siebt ihr aus, die Kamele trinkt ihr.“ (Mt. 23, 23-24) Das klingt ja erst mal etwas rätselhaft, finde ich. Es geht darum: Leicht kann man das große Ganze aus den Augen verlieren, wenn man sich immer nur penibel mit Regeln beschäftigt. Für Christinnen und Christen ist der Geist, der hinter den Regeln steht, das Wichtige. Denn Gott will in Beziehung sein. Er ist lebendig und nicht starr.
Steht die Regel der Liebe im Weg, darf ich über sie hinwegsehen
Eine der Regeln, an die ich mich zum Beispiel halte, ist die: Ich arbeite nicht am Sonntag. Dieser Tag ist für mich heilig. Ich ehre ihn, indem ich Dinge tue, die ich mir sonst nicht erlauben würde. Geistige Dinge eher. Nachdenken. Ruhe aushalten. Nicht hetzen. Ich denke an all das, was mir geschenkt ist ohne mein Zutun. Trotzdem kann es passieren, dass ich mich nicht an dieses Gebot halte. Ich kann eine Ausnahme machen, wenn mir etwas anderes wichtiger erscheint. Die Liebe zu einem anderen Menschen ausdrücken – oder auch die Liebe zu mir selbst. Vielleicht bekomme ich am Montag Besuch und möchte diesen Tag frei haben. Das Große, das hinter der Regel steht, ist die Liebe. Und die Regel soll mich daran erinnern. Steht sie ihr aber im Weg, dann darf ich über sie hinwegsehen: Ich weiß: Gott klebt nicht am Buchstaben. Er lebt im Geist.