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Jemanden ruhig lieben
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Jemanden ruhig lieben

Dr. Ansgar Wucherpfennig
Ein Beitrag von Dr. Ansgar Wucherpfennig, Jesuitenpater, Professor für Neues Testament an der Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt
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„Ein glückseliges neues Jahr!“ hat meine Mutter uns Kindern immer zur Jahreswende gewünscht. Oft haben wir um Mitternacht telefoniert. Meine Mutter hat dann immer erzählt: Mein Opa hat das so allen Leuten in seinem kleinen Dorf im Eichsfeld gewünscht: „Ein glückseliges neues Jahr!“ Wenn meine Mutter es uns gewünscht hat, klang dabei ein leichter Überschwang mit, und der hat uns, ihren Kindern, einen ersten Glücksschwung für das neue Jahr gegeben.

Auf welcher Sprosse der Leiter zum Glück stehe ich gerade?

Wird das neue Jahr ein glückliches werden? Seit 10 Jahren gibt der World-Happiness-Report Auskunft über das unterschiedliche Glücksgefühl weltweit. 2012 wurde er u. a. von der UNO angeregt. Eine der wichtigsten Fragen des Berichts geht zur sogenannten „Cantril ladder“, benannt nach Hadley Cantril, einem Psychologen aus Princeton. Sie lautet: „Bitte, stellen Sie sich eine Leiter vor, mit bezifferten Sprossen von 0 für die unterste bis zu 10 als der obersten. Das obere Ende der Leiter stellt das bestmögliche Leben für Sie dar, der Fuß der Leiter das schlechtestmögliche. Auf welcher Sprosse der Leiter würden Sie persönlich fühlen, dass Sie momentan stehen?“

Die glücklichen Finnen auf Platz 1

Finninnen und Finnen stehen nach dem Bericht von 2022 als die glücklichsten Menschen auf der Welt auf der höchsten Sprosse, auch die anderen skandinavischen Länder landen alle auf den ersten 10 Plätzen. Deutsche stehen erst auf Platz 14 der Leiter, aber immer noch sehr weit oben. Russland ist auf Platz 80 und die Ukraine auf Platz 98. Die unglücklichsten Menschen leben in Simbabwe, Libanon und Afghanistan auf den Plätzen 144 bis 146.

Für Luther brachte Glauben Glücksgefühle

Wenn es nach den Statistiken des Word-Happiness-Reports so weitergeht, könnte das Jahr 2023 also in Deutschland im weltweiten Vergleich auch recht glücklich werden. Aber Statistiken sagen ja nicht sehr viel über das persönliche Glück einzelner Menschen. Für Martin Luther bringt Glauben Glücksgefühle. Er schreibt: „Glaube ist eine lebendige Zuversicht auf Gottes Gnade. Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher Gnade macht fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen. Daher man ohne Zwang willig und lustig wird, jedermann Gutes zu tun.“ Aber nicht alle Menschen können so glauben, und nicht alle macht der Glaube immer glücklich.

Vollkommenes Glück: Jemanden ruhig lieben zu können

In einer Schülerzeitung haben wir in meiner Schulzeit unseren Lehrern einen Fragebogen vorgelegt, dem sich damals jede Woche im Magazin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bekannte Persönlichkeiten stellten. Eine Frage war damals „Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück?“ Eine Antwort von damals habe ich nicht vergessen. Mein Deutschlehrer schrieb nur drei Worte: „Jemanden ruhig lieben.“ Das finde ich sehr tiefsinnig. Denn Liebe kann auch oft einiges durcheinanderbringen. Sie kann höchste Glücksgefühle bringen, aber auch tiefen Schmerz. Menschen ruhig zu lieben, finde ich deshalb wirkliches Glück, ein Glück, das im Leben trägt. Das kann ich kaum selber schaffen, aber ich kann mich damit beschenken lassen. Jemanden ruhig lieben können, das wünsche ich auch Ihnen für das kommende Jahr. Und in diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, schon heute Morgen mit den Worten meiner Mutter: Ein glückseliges Jahr 2023!

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