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Meine Hoffnung in den Rauhnächten
Bild: Kotenko_A_GettyImages

Meine Hoffnung in den Rauhnächten

Dr. Ansgar Wucherpfennig
Ein Beitrag von Dr. Ansgar Wucherpfennig, Jesuitenpater, Professor für Neues Testament an der Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt
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Rauhnächte heißen sie, die zwölf Nächte zwischen dem ersten Weihnachtsfeiertag und dem 6. Januar. Sie als besondere Zeit zu sehen, ist ein alter Brauch, der in den letzten Jahren in einigen Kreisen wieder richtig hip geworden ist. Rauchnächte hießen sie wohl ursprünglich, aber rau sind die Tage oft auch, und es sind die längsten und dunkelsten Nächte im Jahr. Schon gegen halb fünf geht die Sonne unter und erst kurz vor halb neun geht sie wieder auf. Die hellen Stunden muss man ausnutzen und herausgehen, damit Haut und Seele bei frischer Luft und im Tageslicht aufatmen können. In nordischen Städten sind deshalb viele Leute mittags auf der Straße, weil sie wissen, wie gut es tut, die wenigen Sonnenstrahlen am Tag tief in sich einzusaugen.

Dunkle Nächte, in denen Dämonen ihr Unwesen treiben

Ursprünglich war diese dunkle Zeit im Jahr mit dem Volksglauben verbunden, dass in den Nächten Dämonen ihr Unwesen treiben. Am 6. Januar sollen sie sich zurückgezogen haben. In manchen Gegenden meinte man auch, in diesen langen dunklen Nächten entscheidet sich das Schicksal des gesamten kommenden Jahres. Jeder der 12 Tage stand für einen Monat des kommenden Jahres.

Das Volk, das in Finsternis ging, sah ein helles Licht

Mitten in eine dunkle Zeit hinein hat auch der Prophet Jesaja von einer Verheißung gesprochen, die er über die Jahrhunderte hinweg in das Stammbuch unseres Glaubens geschrieben hat, die Bibel. In vielen Kirchen wird seine Verheißung in der Weihnachtszeit gelesen. „Das Volk, das in Finsternis ging, sah ein helles Licht; über denen, die im Land des Todesschattens wohnen, strahlte ein Licht auf.“ (heißt es bei Jesaja 9,1–2). Mitten in der Nacht beginnt da eine Hoffnungsgeschichte. Jesaja schreibt: „Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft, jeder Mantel, im Blut gewälzt, wird verbrannt, wird ein Fraß des Feuers.“ (Jes 9,4)

Momentan klingt die Hoffnung auf Frieden wie Traumtänzerei

Besonders in diesem Jahr birgt Jesajas Wort eine Hoffnung für die dunkle Zeit um den Jahreswechsel. Denn Gewalt und Krieg sind im zurückliegenden Jahr auch in Europa Wirklichkeit geworden. Seit Monaten schon liegen Soldaten kampfbereit in Schützengräben, leben Frauen und Kinder in Angst um ihre Väter, sind viele Familien der Kälte und dem Krieg ausgesetzt. Auch weltweit haben seit 2010 die Todesopfer in Kriegen wieder deutlich zugenommen. In allen fünf Erdteilen gibt es im Moment bewaffnete Konflikte. Da klingt es wie Traumtänzerei, wenn Jesaja schreibt: „Gottes Herrschaft und der Friede sind ohne Ende.“

Soldatenstiefel verschwinden im Schrank und Panzer stehen wieder still

Und dennoch möchte ich mich in diesen Nächten an dieser Hoffnung festhalten. Es braucht Realismus, um die Nacht zu bestehen, aber es braucht auch Träumen und Tanzen. Ich glaube: Wenn wir uns gemeinsam von unserer Hoffnung erzählen, davon singen, können wir sie wie ein würziges, frisch gebackenes Brot miteinander teilen. Dann werden wir uns mit der Wirklichkeit von Krieg, Gewalt und Unrecht nicht abfinden. Jesajas Vision wird dann über Jahrhunderte zu unserem eigenen Friedenslied: Kriegsverbrechen werden verurteilt, Soldatenstiefel verschwinden wieder im Schrank und Panzer stehen wieder still. Diese Hoffnung wird dann zu einem Lichtschein für die Rauhnächte und für alle zwölf Monate im kommenden Jahr.

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