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Wie werde ich weniger unerbittlich?
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Wie werde ich weniger unerbittlich?

Rüdiger Kohl
Ein Beitrag von Rüdiger Kohl, Evangelischer Pfarrer, Frankfurt-Bockenheim
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Hinweis zum Foto: Das ursprünglich hier sichtbare Foto von Ex-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der am 21.9.2022 in Berlin sein Buch vorstellte: "Wir werden einander viel verzeihen müssen", konnte aus Rechte-Gründen nur sechs Wochen nach Sendung angezeigt werden.

Der Politiker Jens Spahn hat ein Buch geschrieben. Es heißt "Wir werden einander viel verzeihen müssen." Diesen Satz hat er im Deutschen Bundestag gesagt, im vierten Monat der Corona-Pandemie. Und wie man auch immer zu seinen politischen Handlungen steht, ich finde bemerkenswert, was er über seine Zeit als Gesundheitsminister in der Corona-Krise erzählt. Über seine Entscheidungen. Und über unerbittliche Gegnerschaft. Unerbittlich heißt, nicht mehr zugänglich sein für jemanden, der oder die um Verzeihung bittet. Nicht mehr erreichbar sein. Die Beziehung ist eingefroren. 

Eingefrorene Beziehung

Eine Szene aus dem Buch beeindruckt mich besonders. Eine Veranstaltung ist gerade zu Ende. Der Minister sitzt im Wagen, der durch eine Menschenmenge rollt. Im Hintergrund hört er die Trillerpfeifen von Demonstrierenden gegen die Corona-Maßnahmen. Er schaut aus dem Fenster. Neben dem Wagen steht ein älterer Mann. Nur die getönte Scheibe ist zwischen ihnen. Als sich ihre Blicke treffen, bemerkt Spahn, wie sich die Gesichtszüge des Mannes verändern. Er schreibt: "Auf einmal war da nackte Wut in seinen Augen. Und sein Gesicht fing an zu beben. Der Mann hob einen Arm mit der geballten Faust. Für Spahn ist klar: Tief sitzender Hass bricht sich Bahn. Der Wagen rollt weiter, und der Mann verschwindet aus seinem Gesichtsfeld.

Jeder Fehler wird gnadenlos abgestraft

Diese Szene ist erschreckend. Ich erlebe das auch an manchen Stellen: Menschen stehen sich mit ihren Meinungen unerbittlich gegenüber. Und wer einen Fehler macht, wird oft gnadenlos abgestraft. Manchmal ertappe ich mich dabei, selber so zu denken. Dann möchte ich dem anderen am liebsten sagen: Bist du nicht für mich, bist du gegen mich.

Üben, wie Verzeihen geht

Wie schaffe ich es, nicht unerbittlich zu werden? Dabei kann mir mein Glaube helfen. Ich versuche eine Haltung einzuüben, die Verzeihen möglich macht. Mir tut gut, mir hin und wieder eine kurze Auszeit zu nehmen. Zu überlegen: Wem bin ich begegnet? Wem habe ich Unrecht getan. Wer hat mir Unrecht getan? 

Das Vaterunser ist eine Anleitung

Ich verbinde das mit dem Vater Unser. Jeden Tag bete ich es um 12 Uhr mittags. Eine Bitte an Gott heißt: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Wenn ich so bete, gehe ich davon aus: Ich mache Fehler und verletze andere Menschen. Doch Gott legt mich nicht auf meine Schuld fest. Gott traut mir zu, mich selbst mit meinen Fehlern anzuschauen und anzunehmen. Zu bereuen und nach neuen Wegen zu suchen. Das kann mir helfen, andere um Verzeihung zu bitten. Und darauf zu vertrauen, dass andere mir verzeihen. 

Die Menschen in Altenheimen, die Familien und Kinder um Vergebung bitten

Darauf ist sind auch Politiker wie Jens Spahn angewiesen. Er benennt, wen er um Verzeihung bittet. Menschen in den Altenheimen. Familien. Kinder und Jugendliche in Kindergärten und Schulen. Sie alle mussten in der Pandemie viel ertragen. Da habe er zusammen mit anderen politisch Verantwortlichen zu wenig hingesehen.

Was wir für die Zukunft lernen können

Wir werden einander viel verzeihen müssen: Verzeihen kann nicht verordnet werden. Ich brauche dazu eine innere Haltung. Sie hilft mir, nicht bei Schuldzuweisungen stehen zu bleiben. Sondern zu fragen: Was können wir gemeinsam für die Zukunft lernen? Gerade in Zeiten, in denen eine Krise die nächste überlagert. 
 

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