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Was bin ich wert, wenn ich nichts tun kann?
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Was bin ich wert, wenn ich nichts tun kann?

Ein Beitrag von Mirjam Jekel, Evangelische Theologin, Rüsselsheim
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Einem Freund von mir geht es nicht gut. Er ist wahnsinnig erschöpft und das schon seit zwei Jahren. Er kann sich kaum dazu aufraffen, morgens aufzustehen.

Arbeiten geht seit einiger Zeit nicht mehr. Jetzt sitzt er meistens zu Hause auf dem Sofa, versucht irgendetwas zu lesen und schafft es noch nicht einmal, seinen Haushalt in Ordnung zu halten.

Heimtückische Frage

Die Menschen um ihn herum leben ihr Leben – gehen arbeiten, haben Erfolge, gründen Familien – und er fühlt sich nutzlos. In diesem Gefühl steckt eine heimtückische Frage: Was bin ich eigentlich wert? 

Die Frage kennen viele Menschen. Ob jemand Long Covid hat, eine Depression oder einen Burnout, ob jemand pflegebedürftig ist – immer wieder kommt da dieses Gefühl: Ich trage doch nichts bei. Nur wer etwas leistet, ist auch etwas wert.

Selbst-Wert-Gefühl

Oft funktioniert das ja so und macht sich an Zahlen fest. Mein Gehalt zum Beispiel sagt mir: Das bin ich meinem Arbeitgeber wert. Er zahlt Geld, damit ich für ihn arbeite. Je mehr Geld ich bekomme, desto mehr bin ich wert. Scheinbar. Mein Selbst-wert-Gefühl steigt, wenn ich erfolgreich bin. Wenn ich Anerkennung bekomme, weil ich etwas gut mache. 

Darum versuche ich, mich zusammenzureißen, wenn mir die Kraft mal fehlt. "Stell dich nicht so an!", denke ich mir. Und höre es von allen Seiten.

Ich rutsche innerlich immer tiefer

Ich kämpfe gegen die Erschöpfung – weil ich Angst habe vor dem Urteil der anderen. Und rutsche innerlich immer tiefer. Bis ich irgendwann nichts mehr sehe als meine eigene Wertlosigkeit. 

Dann brauche ich Menschen, die mir helfen. Die mir sagen: Du bist wertvoll – egal ob du gerade Leistung bringst oder nicht. Auch wenn du nicht arbeiten kannst. Du bist viel mehr als dein Job. 

Wäscheberg wird zum Mount Everest

Der Freund von mir, der zurzeit nicht arbeite kann, ist trotzdem ein guter Freund. Einer, der sich Geburtstage merkt und Menschen anruft, um ihnen zu gratulieren. Der zuhört und sich dafür interessiert, wie es seinen Freunden geht.

Aber auch wenn er das alles nicht machen würde: Er ist er. Der Mensch, mit dem ich befreundet bin. 

Außerdem sehe ich, wie sehr er um sich selbst kämpft. Jeder Tag kostet ihn Kraft. Zu kochen ist eine riesige Anstrengung. Der Wäscheberg fühlt sich manchmal an wie der Mount Everest. Mal bezwingt er ihn, mal nicht. 

Einfach weil es ihn gibt

Ich hoffe sehr, dass mein Freund eines Tages wieder mehr Energie hat. Aber unabhängig davon ist er unendlich wertvoll. Einfach, weil es ihn gibt.

Wert ist nichts, was man sich verdienen muss. Wert hat man, weil man da ist. Weil man der unverwechselbare Mensch ist, den Gott ins Leben gerufen hat. 

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