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Humans of New York
picture alliance / EPA | JUSTIN LANE

Humans of New York

Ein Beitrag von Mirjam Jekel, Evangelische Theologin, Rüsselsheim
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Eines Tages gab Brandon Stanton seinen Job auf und zog nach New York. In seinem Gepäck: eine Kamera und ein großes Interesse an Menschen.

Damit ging er jeden Tag durch die Straßen von New York. Sprach Menschen auf der Straße an. "Darf ich ein Foto von Ihnen machen?" Wenn sie zustimmten, unterhielt er sich noch ein bisschen mit ihnen, um sie besser kennen zu lernen.

"Darf ich ein Foto von Ihnen machen?"

Fotos und Ausschnitte der Gespräche postet Stanton auf seinem Blog und auf Facebook. Er nennt das Ganze "Humans of New York", die Menschen von New York.

Auf Facebook habe ich seine Seite kennengelernt. Er hatte das Foto eines jungen Mannes gepostet, höchstens Mitte 30. Der Mann auf dem Bild trägt einen Anzug, dazu Turnschuhe und Kapuzenpulli.

 "So ein Schnösel!"

Er sitzt lässig am Tisch eines Cafés. Auf mich wirkt er irgendwie selbstgefällig. "Schnösel", dachte ich zuerst. Dann las ich die Ausschnitte aus dem Gespräch.

Der junge Mann ist Veteran. Er war Offizier beim Militäreinsatz der USA im Irak. Er erzählt von seinen Albträumen aus dieser Zeit. Von seinen Schuldgefühlen.

Ich fühlte mich ertappt, weil ich den Mann gedankenlos in eine Schublade gesteckt hatte. Ich war dankbar, dass ich mehr über ihn erfahren habe. 

Der Blog, den ich mir täglich anschaue

Seither gehört der Blog "Humans of New York" zu meinen täglichen Stationen. Ich schaue mir jedes Foto an und lese das Gespräch dazu.

Jedes Mal bin ich überrascht. Was für eine Tiefe an Erfahrung, was für kluge Gedanken stecken in den Menschen! An den meisten wäre ich im Alltag vorbeigegangen.

Manche hätten unsympathisch auf mich gewirkt. Aber durch die Fotos und die Gespräche erhalte ich Einblick in ihr Leben. Das hilft mir, sie zu verstehen. Mit weniger Vorurteilen und mehr Mitgefühl. 

Einen Menschen ganz verstehen - geht nicht!

Sieh den Menschen, der vor dir ist. Nimm ihn wahr, so gut du kannst – nicht nur das, was vor Augen ist. Einen Menschen ganz erkennen, ganz verstehen – das können wir nicht. Ich glaube: Das ist Gott vorbehalten.

Aber ich kann zumindest versuchen, nicht beim ersten Eindruck stehenzubleiben. Der Blog "Humans of New York" weckt die Neugierde: Welche Geschichte verbirgt sich hinter den Menschen, die mir in meiner Stadt Rüsselsheim begegnen?

Same same but different

Der Blog wurde so erfolgreich, dass UNICEF den Fotografen zu Reisen eingeladen hat, um auch in anderen Ländern Menschen zu fotografieren. Er besuchte Pakistan, Iran, Sudan und viele andere Länder.

Das Faszinierende dabei ist: Die Städte und Länder sind sehr unterschiedlich. Aber die Geschichten, die die Menschen erzählen, ähneln sich.

Ob in New York oder Islamabad – Menschen verlieben sich, haben Träume, suchen nach Arbeit, kümmern sich um alte Eltern und kleine Kinder. Die Kulturen sind anders, aber die Menschlichkeit, die bleibt.

"Du erinnerst mich an meinen Bruder"

In den Kommentaren zu den Bildern lese ich: Wow, ich dachte, Menschen im Iran wären ganz anders. Aber jetzt – du erinnerst mich an meinen Bruder. Das hätte ich nie erwartet.

Und umgekehrt: Menschen aus dem Iran und Sudan erkennen sich in den Lebensgeschichten der New Yorker wieder.

Das alles wegen eines einzelnen Fotografen

Hunderttausende lesen jeden Tag den Blog "Humans of New York", schauen sich die Fotos an und sind bewegt. Einfach, weil ein einzelner Fotograf zeigt: In jedem Menschen, der mir begegnet, steckt etwas Einzigartiges. Eine eindrucksvolle Lebensgeschichte. 

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