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Chagalls Engel
Bild: Pixabay

Chagalls Engel

Andrea Maschke
Ein Beitrag von Andrea Maschke, Katholische Pastoralreferentin in Bad Homburg / Friedrichsdorf
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Seit ein paar Tagen ist in der Frankfurter Kunsthalle Schirn eine Ausstellung mit Werken von Marc Chagall zu sehen. Die wird sicher ein großer Erfolg, denn Chagall ist nicht nur ein international anerkannter Künstler, sondern auch einer, dessen Werke heute, 37 Jahre nach seinem Tod, immer noch viele Menschen ansprechen. 

In blaues Licht verzaubern

Marc Chagall lebte von 1887 bis 1985, wurde also sehr alt. Und er hat gearbeitet bis zuletzt: Gemälde, Keramik, Lithographien, Kirchenfenster. Die letzten Kirchenfenster, an denen er gearbeitet hat, sind ganz in unserer Nähe: die wunderbaren Fenster mit biblischen Motiven in der Stephanskirche in Mainz. Sie tauchen den Raum in blaues Licht und verzaubern die Besucherinnen und Besucher. 

Ich muss bei Marc Chagall immer an Engel denken. Die geflügelten Wesen tauchen nicht nur in Bibelillustrationen und Kirchenfenstern auf, wo man sie ja vermuten könnte, sondern auf vielen seiner Bilder. Auch sonst scheinen Menschen, Tiere, Landschaften und Städte auf den Bildern oft wie Engel zu schweben. 

Eine schöne Vorstellung!

Als Jude war Marc Chagall genauso wie seine Frau Bella geprägt von den jüdischen Traditionen ihrer gemeinsamen Heimatstadt Witebsk, was damals in Russland und heute in Weißrussland liegt. Gott darf nach jüdischer Tradition nicht bildlich dargestellt werden, die Engel als seine Botinnen oder Boten schon. Für mich sind die vielen Engel in Chagalls Werken auch ein Hinweis auf die mal mehr, mal weniger deutliche Anwesenheit Gottes, oder zumindest auf die Durchlässigkeit zwischen irdischer und himmlischer Sphäre. Eine schöne Vorstellung. Doch die Bilder, die wir in der Schirn sehen können, sind nicht so heiter und leicht. 

„Welt im Aufruhr“

Der Schwerpunkt der Frankfurter Ausstellung mit dem Titel „Welt im Aufruhr“ liegt auf Chagalls Schaffen in den 1930er und 40er Jahren. Das war für ihn, seine Frau Bella und die gemeinsame Tochter als jüdische Familie eine Zeit voller Umbrüche, Gefahr und Dunkelheiten. Die Themen Heimat und Exil, Bedrohung, Unrecht und Tod, Glaube und Verzweiflung finden sich natürlich auch in den Bildern dieser Zeit wieder. In Deutschland galten Chagalls Werke als entartet, in Polen hat er erstmals Repressionen gegen jüdische Freunde miterlebt. Als die Familie in Frankreich nicht mehr sicher ist, emigrieren sie in die USA. Dort stirbt Bella, die geliebte Frau. Nach dem Krieg kehrt Chagall mit seiner zweiten Frau nach Frankreich zurück. 

Alles gerät durcheinander

All das prägt auch seine Bilder. Die wenigen Engel auf den Bildern bringen nur spärlich Licht ins Dunkel, manche scheinen selbst machtlos. Das vielleicht beeindruckendste Bild ist das vom „Engelssturz“.  Chagall hat es in drei Anläufen gemalt: Ein großer feuerroter Engel stürzt kopfüber vom Himmel, die Augen entsetzt aufgerissen. Drum herum ein leidender jüdischer Jesus am Kreuz, eine Mutter mit Kind, ein Rabbiner mit Thorarolle. Alles gerät durcheinander, die Zeit, die Religion, die Heimat. Die Frage: „Wo ist da Gott?“ lässt sich fast körperlich spüren. Trost und ein bisschen Hoffnung findet sich in der Ausstellung in den Bildern der Erinnerung, an vergangene Tage, an ausgehaltenes Leid und in ganz vorsichtigen Bildern der Liebe. Ganz sicher lohnt sich der Besuch der Ausstellung, selbst wenn die Farben und Themen etwas dunkler daher kommen, als wir es von Chagall gewöhnt sind.

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