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Ein altes Buch über die Freundschaft
Bild: doungtoan_pixabay

Ein altes Buch über die Freundschaft

Dr. Susanne Nordhofen
Ein Beitrag von Dr. Susanne Nordhofen, Ehemalige Leiterin eines katholischen Gymnasiums in Königstein/Taunus
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„Eine Welt ohne Freunde ist wie ein Himmel ohne Sonne. Oder ein Leib ohne Augen.“ So heißt es in einem chinesischen Bestseller des 16. Jahrhunderts. So wie die Sonne Licht und Wärme schenkt und unsere Augen die Fenster zur Welt sind, so wichtig ist Freundschaft. Wenn ich alte Freunde und Freundinnen treffe, die ich länger nicht gesehen habe, dann geht es mir so, als ob wir uns eben erst verabschiedet haben. Ohne Umschweife kann man dort anknüpfen, wo man aufgehört hat. Diese persönliche Verbundenheit finde ich sehr kostbar und herzerwärmend.

Was ist ein echter Freund?

Viele Philosophen haben sich über die Freundschaft Gedanken gemacht. Was ist ein echter Freund? Wie kommen Freundschaften zustande? Wie muss man sie pflegen? Der griechische Philosoph Aristoteles hat genau unterschieden zwischen zweckgebundenen Seilschaften und echter Freundschaft. Zweckgebundene sogenannte Freundschaften halten meist nur so lange, bis sie ihren Zweck erfüllt oder verfehlt haben. Echte Freundschaft hingegen lebt davon, dass unterschiedliche Menschen irgendwie seelenverwandt sind. Sie können sich alles anvertrauen. Sie können sich auch einmal kritische Anmerkungen leisten, weil sie wissen: Der oder die andere nimmt einen ernst und nutzt sein Wissen nicht aus. Wahre Freunde halten auch in schwierigen Zeiten zusammen. Ein zweiter schöner Satz aus dem chinesischen Freundschaftsbuch lautet: „Wer in Zeiten des Glücks in mein Haus kommt und in Zeiten des Unglücks ohne Einladung, der ist ein wahrer Freund“.
 

Der Jesuit Matteo Ricci erwarb sich die Bewunderung der chinesischen Gelehrten

Der Jesuit Michael Sievernich hat das Büchlein vor kurzem übersetzt und neu herausgegeben. Es enthält 100 Sprüche zum Thema Freundschaft. Geschrieben hat es aber kein chinesischer Gelehrter, sondern der italienische Jesuit Matteo Ricci. Und zwar auf Chinesisch. Matteo Ricci war in allen Wissenschaften seiner Zeit bestens ausgebildet und sprachlich hochbegabt. Sein Orden schickte ihn auf die Missionsreise nach China, um dort mit Erlaubnis des Kaisers das Christentum zu verbreiten. Recht schnell lernte er Chinesisch in Wort und Schrift. Das half ihm sehr, denn in China waren Fremde nicht gern gesehen. Er übersetzte sogar die vier staatstragenden Hauptwerke des Konfuzius ins Lateinische. So erwarb er sich bei den chinesischen Gelehrten große Bewunderung, und nach vielen Jahren durfte er sich auch am Kaiserhof in Peking vorstellen.

Dialog zwischen den religiösen und moralischen Vorstellungen beider Kulturen

Matteo Riccis Leben ist ein besonders gelungenes Beispiel für die Begegnung zwischen Menschen aus ganz unterschiedlicher Welten. Sein Hauptwerk ist ein fiktiver Dialog zwischen einem chinesischen und einem europäischen Gelehrten. Es heißt: Die „Wahre Bedeutung der Lehre des Herrn des Himmels“. In ihm werden die religiösen und moralischen Vorstellungen beider Kulturen kritisch gewürdigt und wechselseitig aufeinander bezogen. Auf Augenhöhe sozusagen.

Nur, wer Freund seiner selbst ist, kann Freund anderer sein

Ricci und seine chinesischen Gesprächspartner sind neugierig aufeinander. Sie respektieren sich und entdecken nach und nach viele Gemeinsamkeiten. Das Thema Freundschaft gehört dazu. Was Ricci darüber in der Sprache seines Gastlandes schrieb, entsprach weitgehend den Wertvorstellungen des chinesischen Publikums. Ricci passte sich in vielen Dingen seiner chinesischen Umwelt an, z.B. trug er die Robe eines chinesischen Staatsbeamten. Aber er gab deswegen seine Identität als Christ nicht auf. „Wenn du nicht Freund deiner selbst sein kannst,“ fragt er, „wie kannst du dann Freund anderer sein?“ Das ist ein weiterer Satz aus seinem Buch über die Freundschaft. So wurde Ricci zu Lebzeiten in China hoch geachtet. Seine Grabstele auf dem christlichen Friedhof Peking wird heute noch gepflegt.

Eine Brücke zwischen Völkern und Kulturen

Michael Sievernich erinnert mit seiner Übersetzung wieder an das Leben und Wirken seines Ordensbruders. Er schreibt: „Riccis Büchlein über die Freundschaft ist auch in Zeiten der Globalisierung eine Brücke zwischen den Völkern und den Kulturen“. Ich finde, ganz zu recht.

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