
Die Seele baumeln lassen
Schon wieder schickt mir so ein Wellnesshotel einen Newsletter. Zwischen Massage, Ölguss und Dampfbad soll ich auch „die Seele baumeln lassen“ können. Das wird versprochen. Aber: „Die Seele baumeln lassen“, wie soll das eigentlich gehen?
Als Kind war „Schweinebaumeln“ ein großes Vergnügen für mich
Als Kind war es für mich ein großes Vergnügen, wenn ich mich auf dem Spielplatz mit den Kniekehlen an einer Turnstange festklemmte, mich dann kopfüber herunterließ und hin- und her schaukelte. Die Übung hieß bei uns übrigens „Schweinebaumeln“. Ob allerdings die Seele mit baumelte, lässt sich im Nachhinein nicht feststellen. Als Kind war ich jedenfalls mit Leib und Seele dabei.
Was genau ist die Seele?
Aber warum heißt es eigentlich: die Seele baumeln lassen – was genau ist die Seele, dass sie baumeln kann? Der berühmte Mediziner Rudolf Virchow soll gesagt haben: „Ich habe tausende Leichen seziert und nicht eine einzige Seele gefunden.“ Warum wohl nicht? Vielleicht baumelten die Seelen gerade woanders? Für mich ist das ein Denkfehler. Etwas Geistiges, wenn es denn existieren soll, wird auf eine materielle Grundlage reduziert. Erst, wenn etwas berechnet und vermessen werden kann, dürfte man sagen, es existiere in Wirklichkeit. Aber vielleicht gibt es doch mehr Dinge zwischen Himmel und Erde als Virchow sich das träumen ließ?
Woran kann sich die Seele hängen, um zu baumeln?
Als Christin mag ich das Bild von der baumelnden Seele, nicht nur, weil ich als Kind an der Turnstange gebaumelt habe. Ich finde es auch deswegen gut, weil darin der Gedanke steckt: Wenn etwas baumelt, braucht es doch irgendeinen Fixpunkt, um sich dranzuhängen.
Beim Beten, kann sich die Seele an Gott festhalten
Wenn die Seele etwas Geistiges ist, dann braucht sie auch etwas ihr Gemäßes, an das sie sich anheften kann. Seele und Gott haben etwas gemeinsam: Sie sind wie der Punkt in der Mathematik. Der Punkt hat selbst keine Dimension und ist dennoch nicht nichts. Er repräsentiert eine gedachte Position. Man kann ihn z.B. in ein Koordinatensystem eintragen und damit reale Berechnungen anstellen. Der Punkt ist geistig und real zugleich und die Mathematik kann nicht auf ihn verzichten. So wie der Punkt sind auch Gott und Seele geistig und real zugleich. Sie passen zueinander. Daher kann sich die Seele an ihm festhalten. Beim Beten versuche ich das einzuüben.
Manchmal erahnt meine Seele, wohin sie fliegen wird
Ich persönlich glaube an die Idee einer unsterblichen Seele, die jeden konkreten Menschen von Kindesbeinen an lebendig und unverwechselbar macht. Auch wenn man Gott nicht sehen oder anfassen kann, vertraue ich darauf, dass er kein ausgedachtes Hirngespinst ist. Vielleicht ist es mit dem „Seelebaumelnlassen“ so ähnlich wie in Eichendorffs Gedicht „Mondnacht.“ Da heißt es zum Schluss: „Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus - flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus.“ Angekommen ist die Seele zwar noch nicht, aber sie erahnt schon ihren eigentlichen heimatlichen Fixpunkt. Im Schlaf und im Traum macht sich die Seele schon einmal zu ihm auf.
Ich habe meine Seele zur Ruhe gebracht
Wenn ich ganz still und ruhig werde, kann ich manchmal ihre sanften Schwingungen spüren. In einem Psalm der Bibel lese ich: „Ich habe meine Seele zur Ruhe gebracht wie ein gestilltes Kind bei seiner Mutter. Wie das gestillte Kind, so ist meine Seele in mir.“ (Psalm 131,2)