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Gedenken am Strand
Pixabay/Dieter

Gedenken am Strand

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Im Urlaub hatte ich ein denkwürdiges Erlebnis: An einem dieser heißen Tage wollte ich zum Schwimmen gehen, und zwar in der Ostsee in der Lübecker Bucht. Es war alles perfekt, der weiche Sand, sanfte Wellen und ein blauer Himmel über dem Meer.

Schilder am Strand

Auf der Suche nach einem schönen Platz am Strand komme ich an ein schmiedeeisernes Gitter mit einem Schild. Fahrradfahrer werden darauf gebeten, vom Rad abzusteigen und ab hier zu Fuß zu gehen. Und auch direkt am Wasser, also mitten im Strandsand, steht ein weiteres großes Schild, man möge die hundert Meter an diesem Strandabschnitt mit Würde betreten. Badegäste werden überdies gebeten, sich wenn möglich über die Badebekleidung etwas Leichtes überzuziehen. Und dann gibt es auch eine Erklärung für diese Bitte.

Ein Ehrenfriedhof für die Opfer der Cap Arcona

Direkt am Strand in der Nähe von Neustadt an der Ostsee befindet sich nämlich ein Ehrenfriedhof. Er wurde angelegt, um an die Opfer der Cap Arcona zu erinnern. Die Cap Arcona war ein Schiff, auf dem die Nationalsozialisten Anfang Mai 1945 Gefangene aus den Konzentrationslagern fortschaffen wollten. Es war in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Sie wollten möglichst alle Spuren des Vernichtungsapparates verschwinden lassen. Nach einem Luftangriff durch britische Flugzeuge sanken die Cap Arcona und ein weiteres Begleitschiff. Dabei starben mehr als 7.000 Menschen.

Ein Denkmal mitten im Freizeittrubel

Genau dort, wo damals die Schiffe zerstört wurden, ist heute ein beliebter Strandabschnitt, der von Touristen gerne genutzt wird. Campingplätze, Strandbars und Restaurants reihen sich an der Promenade. Im Sommer herrscht ausgelassene Stimmung, wie es im Urlaub eben üblich ist. Nur an dieser besonderen Stelle wird der Strandweg plötzlich unterbrochen. Mitten im Freizeittrubel ist eine kurze Passage des Strands auf einmal kein Strand mehr, sondern ein Denkmal.

Man kann das Schwere nicht immer vom Angenehmen trennen

Im ersten Moment fühlte ich mich irritiert und ein wenig in meiner Urlaubsstimmung gestört. Aber inzwischen finde ich es sogar gut. Die Welt ist nicht so, dass ich immer fein unterscheiden kann: Hier das Angenehme und dort das Schwere. Meistens brechen die schlechten Nachrichten direkt in die sorglose Stimmung einer unbekümmerten Zeit.

Dass ich beim Spaziergang am Strand auf das Unglück so vieler Menschen hingewiesen werde, stört mein Urlaubsgefühl deshalb nicht. Im Gegenteil, nun bin ich auf einmal sehr dankbar für die sorglose Zeit, die mir gegönnt ist. In Israel gibt es eine Redewendung, die heißt: „Den Geschmack des Wassers erkennt man in der Wüste.“ Ähnlich ist es auch mit dem Denkmal am Strand. In Gedanken sehe ich plötzlich all die anderen Menschen, die in diesen Tagen keine sorgenfreien Spaziergänge machen können. Und ich begreife dann: Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass es mir gut geht. Es ist ein Geschenk.

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