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Ein Gebet im Museum
Herkunft/Rechte: Alte Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin / Jörg P. Anders (CC BY-NC-SA)

Ein Gebet im Museum

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer i. R., Kassel
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Anfragen an den Glauben kommen manchmal überraschend. Eben nicht in der Kirche oder im Religionsunterricht, sondern zum Beispiel beim Gang durch ein Museum. Mir ist es so ergangen, als ich in Berlin die Alte Nationalgalerie besucht habe. Ich mag diese alten Bilder. Sie beruhigen mich, und ich schöpfe aus der Kraft, die von ihrer Schönheit ausgeht.

Der Besuch Jesu bei Maria und Martha

An vielen Gemälden streife ich vorbei. Aber vor einem Bild bin ich sofort stehen geblieben und habe es genauer angeschaut, weil ich das Motiv des Bildes erkannt habe. Der Maler hat den Besuch Jesu bei Maria und Martha nachgezeichnet. Diese biblische Geschichte erzählt, wie die beiden Frauen unterschiedlich auf den Besuch des Gastes reagieren.

Martha steht in der Küche, Maria sitzt bei Jesus

Die eine, Martha, geht in die Küche und bereitet alles vor, womit sie den Aufenthalt Jesu verschönern kann. Die andere, Maria, setzt sich einfach zu Jesus, hört zu und redet mit ihm. Als Martha ihrer Schwester Maria Vorwürfe macht, weil sie untätig ist und Martha die ganze Arbeit allein machen muss, ergreift Jesus Partei. Er sagt: „Du, Martha, machst dir viel Sorge und Mühe, aber deine Schwester Maria hat das Gute gewählt, das soll man ihr nicht nehmen.“ Ist die andächtige Ruhe wirklich besser als das engagierte Handeln?

Ein Bild im Bild

Mit dieser Botschaft wollte sich der Maler, er heißt übrigens Friedrich Overbeck, nicht abfinden. Er akzeptierte es nicht, dass die still dasitzende Maria so viel besser wegkommen soll als die schuftende Martha. Deshalb hat er die Geschichte nicht einfach illustriert, sondern in sein Bild noch etwas hineingemalt, was stutzig macht. Das Zimmer, in dem sich Jesus mit Maria und Martha aufhält, hat nämlich ein Fenster, durch das der Blick hinaus ins Freie fällt.

Die Geschichte vom Barmherzigen Sarmariter

Und dort draußen, direkt vor dem Fenster, erblicke ich eine weitere sehr bekannte Geschichte aus der Bibel: Es ist die Erzählung vom Barmherzigen Samariter. Dabei geht es um einen Mann, der von Räubern überfallen wurde. Er liegt verletzt am Straßenrand, und alle gehen vorbei, ein Priester genauso wie ein Levit. Nur ein Mann aus Samarien hilft. Es ist die genaue Umkehrung: Draußen vor dem Fenster auf dem Gemälde scheitern die Geistlichen, weil sie nichts tun, und der barmherzige Samariter wird zum Vorbild, weil er spontan handelt.

Es kommt auf die Perspektive an

Im Zimmer im Bildvordergrund kommt die aktive Martha schlechter weg als Maria, die seelenruhig nichts tut. Der Maler hat beide Geschichten zusammengepackt. Und damit hält er vor Augen: So einfach ist es eben nicht. Es kommt auf die Perspektive an. Oder anders gesagt: Beide Seiten müssen schon zusammenkommen. Das Anpacken der Martha und das Engagement des Samariters sind genauso wichtig wie die Andacht der Maria. Man darf nicht das eine gegen das andere ausspielen.

Alles das geht mir beim Betrachten des Bildes in der Nationalgalerie durch den Kopf. Für mich war das Gemälde wie eine Predigt: Es erzählt von der Bibel und vom Leben.

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