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Wer schreibt, der bleibt
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Wer schreibt, der bleibt

Dr. Susanne Nordhofen
Ein Beitrag von Dr. Susanne Nordhofen, Ehemalige Leiterin eines katholischen Gymnasiums in Königstein/Taunus
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In einem Roman von Martin Walser schreibt der Held jede Urlaubskarte doppelt: einmal an den Adressaten, einmal an sich selber. Wie ein Buchhalter hält er alles fest, weil er später einmal das Museum seines eigenen Lebens gründen will. Dort werden die Postkarten archiviert. Alle Welt soll dann sein Leben besichtigen können. Wer schreibt, der bleibt, denkt er sich. Diese fixe Idee beherrscht ihn so sehr, dass er darüber die Gegenwart vergisst. Er lebt gar nicht richtig im Hier und Jetzt.

Lichtschriften ersetzen die Postkarten

Heutzutage schreiben die meisten Leute weder eine noch zwei Postkarten. Das ist etwas aus der Mode gekommen. Im Urlaub sehe ich viele Leute, die unentwegt mit gezückten Smartphones herumlaufen und alles Mögliche fotografieren. Nie scheint das Auge satt zu werden, und man kann mit dem Handy und einem Foto einen kurzen Gruß an Menschen schicken, denen man früher eine Postkarte geschickt hätte. Ein paar Selfies gibt‘s noch dazu. Fotos belegen, dass man tatsächlich da gewesen ist. Ich schicke manchmal auch solche digitalen Grüße. Das geht sekundenschnell und man braucht auch keine Briefmarke. Fotos sind sozusagen „Lichtschriften“, denn in dem Wort Photographie stecken zwei griechische Wörter: Phos=Licht und graphein=schreiben. Lichtschriften statt Postkarten also.

Fotos als Brücke zwischen Realität und Vergangenheit

Ich frage mich manchmal: Nehmen die emsigen Fotografierenden ihre Umgebung eigentlich real wahr? Fotografieren spart Zeit. Ich brauche mir die Dinge jetzt gar nicht anzugucken, ich habe sie in meiner Datei archiviert. Vielleicht schauen sie sich die festgehaltene Welt später zuhause in Ruhe an; Fotos sind eine Brücke zwischen der jetzigen Realität und der Vergangenheit; frei nach dem Motto, wer fotografiert, der bleibt…

Das bin ich?

Einzelne Fotos haben eine besondere Anziehungskraft. Warum hat mich gerade dieser Gegenstand, diese Person, dieser Anblick, diese Szenerie fasziniert und nicht etwas Anderes? Bei der Betrachtung dieser Fotos, die für andere Menschen gar nicht bedeutsam sind, staune ich manchmal, warum ich gerade diese Kirche, diese Situation aufgenommen habe. Warum wollte ich das festhalten? Das kommt mir nachher fremd vor. Das gilt erst recht für Fotos von mir selbst. Da hat man einmal posiert, um einen bestimmten Eindruck von sich herzustellen. Doch jetzt ist das Bild, das man aktiv selbst von sich erschaffen hat, plötzlich fremd geworden. Das bin ich? Will ich so in Erinnerung bleiben? Und manchmal taucht dann in mir sogar die ganz grundsätzliche Frage auf: Warum lebe ich hier und jetzt in dieser Gestalt?

Ich habe dich in meine Hand geschrieben

Natürlich könnte ich sagen: Ich bin das zufällige Produkt der Liebe meiner Eltern. Das ist sicher richtig. Aber es greift zu kurz. Ich finde den Gedanken, dass es einen Gott gibt, der schon im Voraus bedacht hat, dass ich da bin und wie ich da bin, sehr ermutigend. In der Bibel steht: Gott hat sogar jedes einzelne Haar auf meinem Kopf gezählt. Auf irgendeine Weise bin ich als Person wahrgenommen und werde, wie es heute gerne heißt, wertgeschätzt. Ich würde lieber sagen, voraussetzungslos geliebt. Ein besonders schöner biblischer Spruch, in dem auch das Schreiben bildlich wiederkehrt, drückt das für mich aus: „Ich habe dich in meine Hand geschrieben und habe dich beständig vor Augen (Jesaja 49,16).

Gott und die Menschen, die mich lieben, behalten mich im Gedächtnis

Gott schreibt meinen Namen in seine Hand, um mich nicht zu vergessen. Auch, wenn ich kein Museum wie Martin Walters Romanfigur gründen will: Was bleibt von mir? Für mich sind das nicht nur Postkarten oder Fotos. Es ist auch alles, was Gott in seine Hand geschrieben hat. Ich werde im Gedächtnis von Gott bleiben. Und im Gedächtnis von Menschen, die mich lieben.

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