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Souvenirs und der Versuch, die Zeit anzuhalten
Bild: anncapictures_pixabay

Souvenirs und der Versuch, die Zeit anzuhalten

Dr. Susanne Nordhofen
Ein Beitrag von Dr. Susanne Nordhofen, Ehemalige Leiterin eines katholischen Gymnasiums in Königstein/Taunus
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Im Urlaub boomt das Souvenirgeschäft. Neulich in Italien bin ich regelrecht bedrängt worden und habe einem mobilen Händler einen kitschigen Fächer abgekauft, nur um meine Ruhe zu haben. Ich sehe das mit gemischten Gefühlen; einerseits fühle ich mich belästigt, andererseits tun mir die Leute irgendwie leid, weil sie auf ein paar Münzen angewiesen sind und ihre Sachen loswerden müssen. Diese Souvenirs landen bei mir bald im Müll. Wenn ich im Urlaub selbst etwas finde, z.B. Muscheln, Steine, dann habe ich dazu eine ganz andere Beziehung. Die bewahre ich länger auf.

Jahrzehnte später reist er auf Spuren des Souvenirs nach Patagonien

Eine kuriose Geschichte von einem Souvenir gibt es vom Schriftsteller Bruce Chatwin:  Seine Großmutter bewahrte einen dicken Hautfetzen mit ein paar borstigen Haaren auf, den ihr Cousin von einer Forschungsreise aus Patagonien mitgebracht hatte. Das uralte Hautstück sollte von einem Brontosaurus stammen. Es war inzwischen Teil der Familienüberlieferung geworden und Bruce war davon magisch angezogen. Er guckte es sich als Kind immer wieder an. Dieses Souvenir regt Chatwin viel später zu einer Reise nach Patagonien an. Er findet dort sogar die Höhle, wo das Hautstück gefunden wurde.

Und plötzlich ist die Vergangenheit wieder Gegenwart

So ist es mit Souvenirs: Manche werden bedeutsam, weil sie mit einer persönlichen Erinnerung aufgeladen sind. Wenn man sie betrachtet oder gelegentlich zur Hand nimmt, lösen sie Stimmungen aus. Die Vergangenheit ist dann plötzlich wieder da. Zeitweise war es Mode, sowas in einem Setzkasten oder in einer Vitrine quasi wie in einem Schrein aufzubewahren und sie so vom alltäglichen Hausrat zu unterscheiden. In gewissem Sinn können sie auch eine Macht über den haben, der sie aufbewahrt. Ein bisschen so wie das Hautstück vom Brontosaurus über Bruce Chatwins Sehnsucht nach Patagonien. Bei mir ist es ein Bernstein, den ich als Kind an der Ostsee gefunden habe. Wo ist die Zeit geblieben, frage ich mich. Diesen Seufzer höre ich ganz oft auch von anderen.

Vergangenheit und Zukunft müssen durchs Nadelöhr der Gegenwart

Was Zeit eigentlich ist, ist schwer zu erklären. Der Kirchenlehrer Augustinus hat sich diese Frage schon vor Jahrhunderten gestellt: „Was also ist die Zeit? Wenn niemand mich fragt, weiß ich’s, will ich’s aber einem Fragenden erklären, weiß ich’s nicht.“ Zeit ist ein flüchtiges Medium. Selbst wenn ich die Zeit an der Uhr ablesen kann und mein Alltag durch getaktet ist, kann ich sie nicht greifen. Wo geht die Gegenwart hin, wenn sie Vergangenheit wird? Wo ist die Zukunft, die noch gar nicht da ist? Die Zukunft wird durch meine Erwartungen bestimmt. Das merke ich an der Vorfreude, wenn ich mir vorstelle, wie es sein wird, wenn etwas Schönes passiert sein wird, z.B. eine Hochzeit. Die Gegenwart ist der Dreh- und Angelpunkt. Alles, was war und was einmal sein wird, muss erstmal durchs Nadelöhr der Gegenwart.

Gott hat die Zeit geschaffen – ist aber selbst zeitlos

Augustinus sagt: Gott hat selbst die Zeit zwar geschaffen hat, steht aber selbst außerhalb der Zeit. Er ist zeitlos. Er ist absolute Gegenwart. Daran glaube auch ich. Wenn ich im Hier und Jetzt auch etwas spüre von der Vergangenheit und der Zukunft: Dann ist das ein Funken dieser absoluten Gegenwart. Er kann sich manchmal auch an einem Urlaubssouvenir entzünden.

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