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Flucht
Bild: Pixabay/vskvsk1

Flucht

Carmen Jelinek
Ein Beitrag von Carmen Jelinek, Evangelische Dekanin, Kirchenkreis Kaufungen
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Nadja wohnt mir gegenüber. Das kam ganz überraschend. Von einem Tag auf den anderen zog sie mit ihrer 14-jährigen Tochter in die kleine Wohnung. Sie sind aus der Ukraine geflüchtet. 

Nadja`s Flucht mit ihrer Tochter aus Kiew

Die Heimat von Nadja liegt südlich von Kiew. Sie hat es sich nicht leicht gemacht mit der Entscheidung, das Land zu verlassen. Ihr Mann, der zurückbleiben musste, drängte sie. Zuerst hat sie gesagt: „Wir bleiben hier. Wir können doch auch hier viel tun.“ Und es fiel ihr außerordentlich schwer, ihr gutes Leben zu Hause zu verlassen. Dann gab es immer wieder Bombenalarm. Und damit verbunden auch das nervöse Lichterlöschen, Herd abstellen, in den Keller rennen. Dann sagte ihr Mann noch einmal: „Du musst gehen. Tu es für unsere Tochter.“ Schweren Herzens entscheidet sie sich zum Aufbruch. 

Es musste schnell gehen

Es musste dann schnell gehen, sehr schnell. Einen Rucksack packen mit all dem, was man zum Leben unbedingt braucht. Schnell musste entschieden werden: Das bleibt hier. Das muss mit. Dann der Abschied vom Ehemann und Vater, vom Pferd und von der Katze. Ohne Plan in der Schublade. Los ging eine anstrengende Reise ins Ungewisse, aber in Sicherheit. 

Nadja ist eine Frau, die gründlich überlegt und normalerweise Zeit für ihre Entscheidungen braucht. Nun legt sie ein unglaubliches Tempo an den Tag. Manchmal frage ich mich, wann sie schläft.

Nadja wächst über sich hinaus

Schon früh morgens verlässt sie das Haus und nachts brennt noch spät das Licht. Sie kämpft. Sie ist ausgebildete Deutschlehrerin und eine starke Frau, wenn auch sehr zierlich. Es ist unglaublich, was sie alles organisiert. Inzwischen unterrichtet sie schon an der Schule. Nadja ist maßgeblich an der Integration der ukrainischen Schülerinnen und Schüler beteiligt. Sie tut viele Dinge, die sie zum ersten Mal tut: Zum Beispiel in der Öffentlichkeit von ihrem Leben zu sprechen. Sie wächst über sich selbst hinaus.

Sie wird hier gut aufgenommen, weil sie sympathisch ist, unsere Sprache spricht und zupackend ist.
Aber was ist mit den anderen Geflüchteten, deren Religion, Kultur und Sprache uns viel fremder erscheint? Wir unterscheiden zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und Verfolgten und durch Krieg Gefährdete. Manche unterscheiden zwischen guten und schlechten Flüchtenden. 

Fluchtgeschichten in der Bibel

Schon immer gibt es Menschen auf der Flucht. Wie ein roter Faden durchziehen Fluchtgeschichten die Bibel. Abraham war nach den heutigen Maßstäben ein Wirtschaftsflüchtling. Wegen einer schweren Hungersnot suchte er mit Familie und Besitz Zuflucht in Ägypten.

Jesus wurde schon als Kind zum Flüchtling. Seine Familie ergriff die Flucht nach Ägypten, um das Kind vor Herodes zu schützen, der es töten wollte.
Alle Geflüchteten sind Menschen, die einer Not entkommen sind.

Davor möchte ich meine Augen nicht verschließen und mein Herz für sie öffnen. 
 

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