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Tante Lu  und die Sommerferien
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Tante Lu und die Sommerferien

Sabine Müller-Langsdorf
Ein Beitrag von Sabine Müller-Langsdorf, Evangelische Pfarrerin, Zentrum Oekumene, Frankfurt
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In der nächsten Woche beginnen die Sommerferien. Wahrscheinlich überlegen einige Eltern, wie sie diese lange Zeit für ihre Kinder füllen können. Meine Eltern schickten mich in den Sommerferien regelmäßig zu Verwandten. Die nannte ich Tante oder Onkel, - egal, wie der Verwandtheitsgrad wirklich war, der Titel schaffte Vertrautheit. Ich lernte neue Wohnungen kennen, andere Tischsitten, hörte einen anderen Dialekt. Mich haben Menschen aufgenommen, die sich extra Zeit für mich genommen hatten.

Ferien im Schwabenland - eine andere Welt

Zum Beispiel Tante Lu. Sie wohnte im Schwäbischen, war groß und stattlich, hatte burgunderrot gefärbte Haare und trug auf ihren vollen Lippen immer Lippenstift. Sie lebte mit Onkel Flori in einem großen Haus an einem sonnigen Hang. Ich bekam dort ein eigenes Zimmer. Wir machten Ausflüge in einem großen Auto, denn Onkel Flori besaß eine Reifenfirma und hatte immer große Autos. Zum Essen läutete Tante Lu mit einem Glöckchen und neben jedem Teller lag eine Stoffserviette. Ich habe all diese neuen Sachen neugierig aufgesaugt. Ich kann nicht erinnern, dass ich neidisch war. Eher staunte ich über diese so andere Welt als die vertraute zuhause.

Verwandtenbesuche als Welterfahrung

Heute denke ich, wie viel mir diese Verwandtenbesuche an Welterfahrung gebracht haben. Sicher, sie gingen „nur“ ins Schwäbische oder nach Nordhessen, aber sie zeigten mir: Menschen leben unterschiedlich. Sie sprechen verschiedene Dialekte. Sie haben vielfältige Talente und Eigenheiten und es gilt, mit all dem freundlich zurecht zu kommen.

Zwei Lebenserfahrungen: Geduld und Freude am Schreiben

Tante Lu gab mir zwei Kostbarkeiten mit in mein Leben: die Entdeckung der Geduld und die Freude am Schreiben. Dass ich geduldig bin, entdeckte ich an dem 2000 Teile-Puzzle „Sommertag am Bodensee“, das Tante Lu extra für mich gekauft hatte. Hallo, 2000 Teile hellblaues Wasser oder hellblauer Himmel! Ich hab´s geschafft. Seitdem weiß ich: Geduld ist eine echte Qualität von mir.

Die Freude am Schreiben förderte diese bunte liebe Tante Lu, indem sie am Ende meiner Ferienzeit fragte: „Schreibst mir mal einen Brief?“ Ich tat es. Und Tante Lu schrieb zurück. So entstand eine jahrelange Brieffreundschaft zwischen einem Kind und seiner Tante Lu. Die Briefe gibt es nicht mehr, aber die schwungvolle große Schrift von Tante Lu sehe ich noch vor mir. Und staune über die Treue einer älteren Frau zu einem Kind.

Dankbar für Vielfalt und Freundschaft

Als Tante Lu hochbetagt starb, lag in ihrer schwungvollen Schrift die Bitte vor, dass ich sie beerdigen möge. Ich habe das gerne getan. War lange nicht mehr in der schwäbischen Kleinstadt gewesen. Am Grab war es leicht, Gott zu danken: für ihr Leben. Für das Leben jedes Menschen, und für Sommerferien, die es möglich machen, Vielfalt und Freundschaft zu entdecken.

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