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Es geht nicht ohne Schuld
Bild:Pixabay / HalasSwiatel

Es geht nicht ohne Schuld

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer i. R., Kassel
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Der Philosoph Theodor W. Adorno hat den Satz geprägt: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen!“ Dieser Denker, der sich mit Fragen der Existenz genauso intensiv beschäftigte wie mit Musik, wusste wovon er sprach. Er hatte den ersten und den zweiten Weltkrieg miterlebt. Wenn er von einem falschen Leben spricht, meint er den Terror der Nationalsozialisten. Und er will sagen: Fall nicht auf den Selbstbetrug herein, rede dir die Umstände nicht so zurecht, dass du dabei gut wegkommst.

Wie schaffe ich es, keine Schuld auf mich zu laden?

Unsere Situation im Ukraine Krieg ist ganz anders und doch ähnelt sich die Fragestellung: Wie schaffe ich es, keine Schuld auf mich zu laden. Wenn Waffen an die Ukraine geliefert werden, vergrößert sich das Leid womöglich, weil der Krieg immer länger dauert. Werden keine Waffen geliefert, weil ich so gerne den Frieden ohne Waffen schaffen möchte, werden die Menschen in der Ukraine ihrem Schicksal überlassen. Ein Dilemma! Für welchen Weg ich mich auch entscheide, er ist immer mit Schuld verbunden.
Dabei möchte ich unbedingt auf der Seite der Guten stehen. Und ich erinnere mich noch an den Leitspruch „Macht Schwerter zu Pflugscharen!“ mit dem wir vor 40 Jahren gegen die Aufrüstung demonstriert haben. Es ist doch eine christliche Haltung, keine Schuld auf sich laden zu wollen. Ich wäre so gerne integer und auf der richtigen Seite. Aber was ist die richtige Seite?

Bonhoeffer und Adorno wagen eine Antwort

Es gibt kein richtiges Leben im Falschen - diese Feststellung lässt mich ratlos zurück. Wie soll ich mich dann entscheiden? In dieser Ratlosigkeit kommt mir Dietrich Bonhoeffer zu Hilfe.
Er war nur drei Jahre jünger als Adorno, ist also auch in den Kriegen groß geworden. Bonhoeffer schloss sich dem Widerstand an und nahm Kontakte zu einer Gruppe auf, die ein Attentat gegen Hitler planten. Und in dieser Situation schreibt er eine Ethik, mit der er ebenfalls das Problem lösen will, das auch Adorno beschäftigte: Wie gelingt ein moralisches Leben, ohne dass ich die Probleme der Wirklichkeit ausblende? Dabei kam er zu dem Schluss, dass es Situationen gibt, aus denen man nicht mehr ohne Schuld herauskommt. Angesichts eines Kriegs und der Tyrannei gibt es keinen Weg, der frei von Schuld wäre.

Schuldig werden, um noch größere Schuld zu vermeiden

Mit Adorno war er sich einig: Die Suche nach richtigem und falschem Handeln führt uns hier nicht weiter. Wenn ich selbst makellos dastehen will, blockiert das meine Entscheidungen. Die schreckliche Wirklichkeit zwingt mich, das zu tun, was eigentlich falsch ist, um eine noch größere Schuld zu vermeiden, Etwa Waffen zu liefern, obwohl ich doch gegen Waffen bin und nicht glaube, durch sie Frieden zu schaffen. Von Bonhoeffer habe ich gelernt: Eine christliche Haltung gibt es dort, wo ich nicht mehr meine eigene Befindlichkeit, sondern das Leiden Gottes in der Welt in den Vordergrund stelle.

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