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Wer trägt Verantwortung
Bild: medio.tv/Jost

Wer trägt Verantwortung

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer i. R., Kassel
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Für mich ist das eine der aufregendsten Stellen der Bibel: Da sitzt Moses in jungen Jahren auf der Weide und hütet die Schafe, als ihn plötzlich Gottes Stimme ereilt. Er solle sein Volk aus der Knechtschaft in die Freiheit führen, sagt Gott ihm, dazu sei er auserwählt.

„Sende wen du willst, aber laß mich in Ruhe“

Wir wissen heute, dass dieses Unternehmen dann immerhin 40 Jahre dauerte, bis sie die neue Heimat erreichten. Schon der Anfang war stockend und das lag auch an Moses. Er war nicht gerade begeistert. Er lehnte sich zurück und sagte: Sende, wen du willst, aber lass mich in Ruhe meine Schafe weiden (nach 2. Mose 4,13). Ein klarer Fall von Verantwortungs-Verweigerung, und die kann ich wirklich gut nachvollziehen: Wie oft habe ich das auch schon gedacht, dieses Lass mich in Ruhe meine Schafe weiden und such‘ dir doch jemand anderen. Die Weigerung, Verantwortung zu übernehmen, erfolgt oft ganz spontan. Aber was passiert da?

Wer Verantwortung übernimmt, weiß erstmal nicht, was auf ihn zukommt

Verantwortung ist eine abstrakte Angelegenheit. Ich kann sie weder in klare Regeln fassen noch eindeutig formulieren. Wer etwa für seine Kinder Verantwortung übernimmt, muss sich um mehr kümmern als nur um Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf. Wenn ich Verantwortung übernehme, weiß ich noch gar nicht, was da auf mich zukommt. Klar ist andererseits auch: Wer in einer Gemeinschaft lebt, fühlt sich den anderen Menschen in irgendeiner Weise verpflichtet. Keine Familie klappt ohne Verantwortung, keine Politik, und auch in der Kirche geht es nicht ohne sie. Wer dort ein zuhause finden will, muss sich im Gegenzug verpflichten, an dem begehrten Ziel mitzuarbeiten.

„Unsere Gesellschaft ist verantwortungsmüde“

Bernhard Schlink, der bekannte Romanautor und Jura-Professor, hat vor einiger Zeit festgestellt: Unsere Gesellschaft ist verantwortungsmüde! So wie damals Moses in der Wüste. Zwar gibt es „keinen Mangel an wohltätiger Liebhaberei“, sagt er, „aber dadurch wird der Mangel an Verantwortung nicht aufgewogen. Es ist eben etwas anderes, ob ich hier oder dort mal ein gutes Projekt finanziell unterstütze, oder ob ich dauerhafte Verantwortung übernehme. Verantwortung ist ein Versprechen auf die Zukunft.

Wer Verantwortung übernimmt, bietet anderen eine Perspektive

Und wie ging es damals bei Moses weiter? In diesem Fall gab Gott nicht nach. Alle vorgebrachten Argumente, er sei nicht redegewandt, er habe keine Erfahrung und es würde sowieso niemand auf ihn hören, und überhaupt sei er gar nicht dafür geeignet – alle Einwände nützten nichts. Am Ende gab Moses nach, er übernahm den Auftrag, vermutlich weil der Disput mit Gott ihm gezeigt hat, wie sehr das gelingende Miteinander der Menschen davon abhängt. Es genügt eben nicht, sich nur hier oder dort mal einzubringen. Wer dauerhaft Verantwortung übernimmt, bietet anderen damit eine Perspektive für die Zukunft. So wie Moses, der nach allem Protest dann doch loszog und sein Volk sicher durch die Wüste brachte.

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