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Glauben in der Moderne
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Glauben in der Moderne

Dr. Marco Bonacker
Ein Beitrag von Dr. Marco Bonacker, Katholischer Leiter der Abteilung Bildung und Kultur im Bischöflichen Generalvikariat Fulda
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Die Zeiten für den christlichen Glauben sind rau geworden, könnte man meinen. Ein Blick auf die religiöse Großwetterlage zeigt schnell, dass gerade die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland massiv an Boden verlieren, - zumindest wenn auf die Austrittszahlen geschaut wird. Das letzte Jahr war in diesem Sinne tatsächlich noch mal eine Zeitenwende. Zum ersten Mal sind weniger als die Hälfte der deutschen Mitglieder einer Kirche. Kirchliche Bindung und die Plausibilität und Selbstverständlichkeit eines christlichen Bekenntnisses nehmen rapide ab. 

War früher alles besser?

Manch einer könnte versucht sein, neidisch auf die Vergangenheit zu blicken, in der Kirche und Glaube im Zentrum des gesellschaftlichen Lebens standen, unhinterfragt gelebt und praktiziert wurden. Das Christentum wurde über die Jahrhunderte zur eigentlichen Sozialgestalt des Lebens in Europa und in Deutschland. Das was selbst ich, Jahrgang 1984, noch an lebendiger Volkskirche kennengelernt habe, geht dem Ende entgegen oder ist schon lange weg. Kirche sucht nach neuer Gestalt, nach neuen Formen, ohne ihren Gründungsauftrag und die ihr anvertraute Botschaft und sakramentale Wirklichkeit über Bord zu werfen. Glauben und kirchliche Gestalt in der Spätmoderne müssen andere Antworten finden, als sie die Kirche bisher vielfach gegeben hat, soviel ist sicher. Da hilft der Blick zurück aber tatsächlich: Denn es ist eine Aufgabe, der sich Kirche permanent stellen musste und gestellt hat. 

Der Blick zurück aber ist so eine Sache: Schaut man genauer hin, wird man feststellen, dass wir heute zwar vor schweren Herausforderungen stehen, dass aber auch viele Generationen von Christen ungleich schwerere Herausforderungen gemeistert haben: 

Paulus und die steinige Verkündigung

Das hat mir nicht zuletzt ein Text aus der Apostelgeschichte deutlich gemacht: Darin wird beschrieben, wie Paulus zu seiner ersten Missionsreise aufbricht. Er muss sich nicht mit Postmodernen Zweifeln auseinandersetzen, die Menschen, denen er begegnet, sind religiös im Sinne eines klaren Bekenntnisses zu einer antiken Götterwelt oder bereits zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Beste Voraussetzungen also, könnte man meinen. Aber die Verkündigung und Mission im religiösen Umfeld ist anscheinend für die frühe Kirche und bei Paulus eine besondere Herausforderung, denn wer bereits an etwas glaubt, für den ist ein anderer religiöser Glaube oder eine andere Offenbarung vielleicht noch eine größere Provokation als in einem atheistischen Umfeld. Paulus erfährt das am eigenen Leib: Die eine Gruppe versteht die Heilung eines Gelähmten völlig falsch und hält Paulus und Barnabas für eben jene Götter, an die sie schon immer geglaubt haben. Nur mit Mühe, so die Apostelgeschichte weiter, konnten die beiden die Volksmenge davon abbringen, ihnen zu opfern. Wenige Sätze später wird sogar berichtet, dass die aufgehetzte Menge Paulus steinigte, bis sie dachten, er sei tot. Verkündigung war also alles andere als ein Selbstläufer im religiösen Umfeld.

Neidisch auf die Kirche des Anfangs brauchen wir also nicht zu sein: Die Widerstände und Opfer waren groß. Aber der Blick zurück ist lehrreich. Er relativiert die Probleme und Herausforderungen der Kirche heute einerseits, ohne aber die einfache Blaupause für Gegenwart und Zukunft zu liefern. Vielmehr steht die Kirche heute vor einer Situation, die es so - wieder einmal - noch nie gegeben hat. 

Chancen der Zukunft

Klar ist aber: Diese neue Situation bietet auch Chancen, wie es sie seit Jahrhunderten nicht mehr gegeben hat. Heute trifft die Kirche auf eine Gesellschaft, für die das Wort Neuevangelisierung kaum mehr zutrifft. Vielmehr ist es heute wieder Erstevangelisierung. Aber eben nicht wie bei Paulus, sondern in einer Welt am Ende der Moderne, in der der Gottesglaube selbst zur eigentlichen Herausforderung geworden ist. Die Menschen mit Gott bekannt machen, Räume öffnen für Gotteserfahrung und Begegnung, das wird bleibend die Aufgabe der Kirche sein. Anders und überraschender als bisher, aber ich bin zuversichtlich, dass ihr das gelingen wird

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