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77-mal vergeben
Bild: pixabay

77-mal vergeben

Steffen Flicker
Ein Beitrag von Steffen Flicker, Schulleiter der katholischen Schule Marianum Fulda und Vorsitzender des Katholikenrates im Bistum Fulda
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Es gibt Menschen, die mich aufregen können. Manche Menschen können richtig nervig sein. Dann regt es mich auf, wenn wiederholt der gleiche Fehler vorkommt. "Ist schon okay! Alles gut!" – sage ich dann. Aber eigentlich wurmt es mich, dass es immer wieder die gleiche Situation ist, über die ich mich ärgere.

"Alles gut!" – ist dann meist auch nur eine Floskel, die mir so rausrutscht, weil ich mich nicht aufregen möchte und damit es keinen Streit gibt. Letztlich ist aber gar nichts gut. Ich frage mich in solchen Momenten, wie ich gut reagieren könnte.

In der Bibel lesen wir von Jesus, der von einem seiner Freunde, Petrus, gefragt wurde, wie oft er seinem Bruder vergeben muss, wenn er einen Fehler begangen hat. Und Petrus schiebt als Vermutung hinterher: 7-mal? Die Antwort, die Jesus für ihn hat, ist für Petrus sicher überraschend: "Nicht 7-mal, sondern 77-mal." (Mt 18,21-22)

77-mal! Oje, das ist ziemlich oft. Im Grunde bedeutet dies unbegrenzt. Wer ist dazu schon in der Lage? Wenn es jemand 7-mal nicht kapiert hat, ist meine Geduld eigentlich am Ende. Ob ich so viel Verständnis habe? Immer und immer wieder einen Fehler vergeben?

"Vergeben und Verzeihen kennt keine Zahl noch ein Ende. Vergebung ist ohne Anfang und ohne Ende. Sie geschieht täglich unaufhörlich, denn sie kommt von Gott", sagt der Theologe Dietrich Bonhoeffer. Leichter gesagt als getan. Zumindest eine große Herausforderung.

Sich selbst und anderen verzeihen

Ich ertappe mich auch oft dabei, dass ich mich über einen Fehler eines anderen Menschen aufrege, weil er zum wiederholten Mal passiert ist. Dann denke ich daran, dass kein Mensch vollkommen ist: "Nobody is perfect" – und das trifft ja auch auf mich zu.

Und auch ich wünsche mir ja Vergebung von meinen Mitmenschen, wenn ich einen Fehler begangen habe. Geduld ist also wichtig im Umgang miteinander. Geduld und gegenseitiges Verständnis für Schwächen, Mängel und Unzulänglichkeiten.

Wenn ich darüber nachdenke, wie wohl eine Welt aussehen würde, in der es gar keine Fehler gibt, in der alles perfekt läuft und Menschen sich nicht über andere Menschen aufregen müssen, weil niemand etwas falsch macht – dann wird mir unheimlich.

Von Pearl S. Buck stammt das schöne Wortspiel: "Das Streben nach Vollkommenheit macht manche Menschen vollkommen unerträglich." Ja, es ist schon so: Menschen, die aalglatt sein wollen, haben etwas "Unechtes". Es ist menschlich, dass Fehler begangen werden. Wer ist schon ohne Mängel?

Wir sind nun einmal so geschaffen, dass wir unvollkommen sind. Und nun kommt es eben darauf an, wie ich mit all der Unvollkommenheit auf dieser Welt umgehe. Wie ich auf Fehler und Schwächen reagiere. Wie es mit meiner Bereitschaft zur Vergebung bestellt ist.

 An meiner Geduld möchte ich arbeiten. Ich wünsche Ihnen und mir, dass ich vergeben kann und dass ich zur Vergebung öfter bereit bin als 7-mal.

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