Demut - Tugend oder Schlagwort?
Demut heißt ein neues Zauberwort. In der Politik kam das altmodische Wort nach der letzten Bundestagswahl überraschend wieder auf. Politikerinnen, Spitzensportler, Vorstandsvorsitzende - alle wollen ihr großes Werk in aller Demut beginnen oder darauf zurückschauen. Fast hat man sich schon daran gewöhnt.
Wird „Demut“ zum Trend?
Der heilige Augustinus hat Demut als Mutter aller Tugenden gepriesen. Damit war zunächst die Haltung der frommen Menschen vor Gott gemeint. Heute gebiert diese Tugend leider auch viele unfromme Kinder. Es herrscht geradezu ein Gedrängel der Tugendhaften unter den Mächtigen. Wo immer ein Triumph gefeiert wird, drängt sich Demut vor.
Strategische Bescheidenheit von echter unterscheiden
Buchtitel wie Demut - leise Führung für eine laute Zeit oder Mit Demut zum Erfolg - Leadership im 21. Jahrhundert deuten auf die Konjunktur dieser Vokabel hin. Ich blättere in einer sogenannten Karrierebibel. Sie belehrt mich, ich zitiere, dass „gezielte Demutsgesten“ geschickte Machtmittel sind. „Wer sich kleinmacht, gewinnt Größe.“ Soweit die Karrierebibel. Wenn Führungskräfte sich selber Demut bescheinigen, fordern sie diese in Wirklichkeit von anderen und erhöhen sich selbst. So schirmen sie sich gegen Kritik ab. Demutsgesten sind schwer zu durchschauen, strategische Bescheidenheit ist nicht so leicht von echter Bescheidenheit zu unterscheiden.
Demut ist vielschichtig
Positiv gesehen mag Demut Respekt vor einer schwierigen Aufgabe oder einer großen Verantwortung ausdrücken. Davor kann man ja durchaus Respekt haben. Denn man könnte trotz aller Bemühungen auch scheitern. Auch wenn man verspricht, selbstlos und mit ganzer Kraft seinen Dienst zu versehen. Das Wort Demut kommt vom mittelhochdeutschen Wort diemuot, darin steckt ja auch das Wort Dienst. Demut ist also ganz schön vielschichtig!
Mut und eine Portion Gottvertrauen
Neben dem Dienst steckt in dem mittelhochdeutschen Wort diemuot auch der muot.
Muot, Mut ist eine geistige, innere Kraft, mit der man an eine Sache energisch herangeht. Diese Haltung ist wohlgemut. Ich kenne meine eigenen Grenzen. Wenn ich mein Leben trotzdem wohlgemut anpacken will, brauche ich persönlich eine ganze Portion Gottvertrauen. Diese zuversichtliche Einstellung kann auch andere Menschen anstecken und mitreißen, ganz ohne manipulative Strategie.
Lieber wohlgemut als demütig
So plädiere ich eindeutig lieber fürs Wohlgemute als fürs Demütige. In den Sinn kommt mir dabei eine Zeile von Dietrich Bonhoeffers bekanntem Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, wo es heißt: „Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“
Darauf möchte ich gern vertrauen und gehe lieber mutig als demütig in diesen Tag.