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Trost im Leiden
Bild: Pixabay/ELG21

Trost im Leiden

Andrea Wöllenstein
Ein Beitrag von Andrea Wöllenstein, Evangelische Pfarrerin, Marburg
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Manchmal weiß ich nicht, wo mir der Kopf steht in diesen Tagen. Immer neue Nachrichten und Schreckensbilder aus dem Krieg. Immer neue Talkrunden, die die gleichen Fragen hin und her wälzen. Wie konnte sich die Welt so schnell, in nur wenigen Wochen, dermaßen verändern? Ich begreife das nicht. Eine Zeitenwende sagt man. Aber eine ganz andere Wende, als wir erhofft sie hatten. Fürs Klima, für den Zusammenhalt der Menschengemeinschaft. Für eine Welt in Gerechtigkeit und Frieden. Mir schwirrt der Kopf.

Ein Bild: Madonna mit verrücktem Kopf

Vielleicht hat mich deshalb ein Bild so angesprochen, das gerade in unserer Kirche hängt. Es zeigt eine Madonna. Maria mit dem Jesuskind, lebensgroß. Gemalt in zarten Pastelltönen, Rosa, Grau, Ocker. Wie man es kennt von alten Wandfresken. Aber dieser Madonna fehlt etwas. Sie hat keinen Kopf. Er ist abgeschnitten, nicht weg, aber ver-rückt. Wenn man an der Wand ein wenig nach oben schaut, sieht man ihn. Auf einem Extra- Bild. Abgetrennt vom übrigen Körper.

Frauen und Mütter in der Ukraine wissen nicht, wo ihnen der Kopf steht

Ich denke an die Frauen und Mütter in der Ukraine. Sie wissen nicht, wo ihnen der Kopf steht vor Sorge und Angst. Ihre Söhne sind als Soldaten im Krieg. Die Männer kämpfen. Sie selber müssen die Familie versorgen. Harren aus in Kellern und U-Bahn-Schächten. Oder sind in Flüchtlingsunterkünften, irgendwo in Polen, in Moldawien oder in Berlin.


Wenn ich vor dem geteilten Bild in unserer Kirche stehe, möchte ich am liebsten den Kopf nehmen und ihn dahin rücken, wo er hingehört. Die Welt wieder zurechtrücken. Immerhin: Der Kopf ist noch da. Ein Hoffnungsschimmer, dass wieder zusammenkommen kann, was zusammengehört. Der Schnitt aber wäre weiter zu sehen. Keine heile Madonna.

Ein Hoffnungsschimmer für die Flüchtenden

Narben werden bleiben. Auch in unserer Welt, wenn dieser Krieg einmal zu Ende ist. Zu viele Tote, zu viel Leid, zu viel Unrecht. Zerstörtes Vertrauen, zerbrochene Weltbilder. Aber dass auch in Europa wieder zusammenkommt, was zusammengehört, - diese Hoffnung lasse ich mir nicht nehmen. Dass die Flüchtlinge zurück in ihre Heimat können. Dass die Völker sich versöhnen und Unrecht beim Namen nennen.

Was tröstet

Was mich tröstet, wenn ich vor dem geteilten Bild stehe, ist der Raum, in dem es hängt. Eine Kirche. Ein Ort, an den Menschen seit über 700 Jahren kommen mit ihrem Schmerz. Mit ihrer Klage, mit ihren Fragen und mit ihren Gebeten. Vorne im Altarraum ist ein Kreuz. Das Kreuz Jesu steht dafür, dass Gott auch im tiefsten Leiden gegenwärtig ist. Gott hält die Dunkelheit und hält sie aus. Auch die Fragen, auf die wir keine Antwort wissen.

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