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Die Uhr nach vorne drehen
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Die Uhr nach vorne drehen

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
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Als Jugendliche fand ich dieses Wochenende ziemlich blöd: Wenn die Uhr um eine Stunde nach vorne gedreht wurde für die Sommerzeit, dann hatten wir eine Stunde Wochenende weniger. Zum Feiern am Samstagabend, zum Ausschlafen am Sonntagmorgen. Heute erwisch ich mich bei dem Gedanken: Och, eine Stunde weniger ist doch eigentlich ganz ok. Eine Stunde weniger Pandemie, eine Stunde weniger Ukraine-Krieg. Am liebsten würde ich noch viel mehr Stunden einfach streichen – und die Uhr ganz nach vorne drehen: auf die Zeit nach der Pandemie, die Zeit nach dem Krieg, vielleicht auch die Zeit nach der Klimakrise.

Die schlimmen Zeiten einfach überspringen

Mir fällt dabei auch eine Karikatur wieder ein, die ich am Anfang der Corona-Pandemie gesehen hab. Ein Mann und eine Frau gehen abends im Bett. „Auf welche Zeit soll ich den Wecker stellen?“ fragt der Mann seine Frau. Und die antwortet mit erschöpftem Gesicht: „Auf die Zeit nach der Pandemie.“

Was wär das schön: die schlimmen Zeiten überspringen – und wieder aufwachen in Zeiten, in denen alles gut ist, in denen es keine Corona-Toten und keine Kriegs-Toten mehr gibt. In denen Frieden herrscht, in denen wir friedlich und unbeschwert leben und feiern können.

Ich male sie mir aus...

Die Uhr soweit nach vorne drehen – das geht leider nicht. Aber ich merke, wie mir schon die Vorstellung ein bisschen hilft: die Vorstellung einer Welt in der Zukunft, die besser aussieht als die Welt heute. Ich denke sie mir aus, ich male sie mir aus, ganz verwegen: Ukrainische und russische junge Leute, die aufeinander zu gehen und sich um den Hals fallen. Ukrainische Städte, die wieder aufgebaut sind und schöner als je zuvor. Ich reise nach Kiew und schaue es mir an und trinke einen Kaffee auf dem Maidan. Und auch in anderen Ländern geben sich ehemalige Feinde die Hand, im Jemen oder in Syrien, und Städte werden neu aufgebaut, Menschen können friedlich in ihnen wohnen, Kinder spielen und gehen in die Schule.

Alle Probleme in den Griff bekommen

Ich träume auch von einer zukünftigen Welt, in der es zwischen Nord und Süd gerecht zugeht. In der Menschen im südlichen Amerika oder Afrika fairen Lohn für ihre Arbeit bekommen. Und auch Kinder im Kongo arbeiten nicht in Bergminen, sondern spielen und gehen in die Schule.

Ich drehe die Uhr nach vorne und stelle mir eine Welt vor, in der wir die Corona-Krise und die Klima-Krise in den Griff bekommen. Weil wir die Probleme gemeinsam angehen, weil jede und jeder seinen Teil dazu beiträgt, dass Infektionen weniger werden und Klimaziele erreicht werden.

Es sind nur Visionen

Es sind Utopien, Visionen, die mir da in den Sinn kommen. Auch in der Bibel übrigens gibt es etliche davon. „Der Wolf findet Schutz beim Lamm… Kuh und Bärin nähren sich zusammen, ihre Jungen liegen beieinander… Man tut nichts Böses und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg.“ (Jesaja 11,6-9) So sieht es der Prophet Jesaja in seiner Vision.

Die Uhr in Gedanken vordrehen, von einer künftigen Welt träumen: Mir gibt das Kraft, die Welt von heute zu ertragen und mich einzusetzen für die Welt von morgen.

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