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Auf Sicht fahren
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Auf Sicht fahren

Uwe Groß
Ein Beitrag von Uwe Groß, Katholischer Diakon, Pfarrei St. Peter und Paul, Wiesbaden
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Es gibt Zeiten im Leben, da kann ich nicht viel vorplanen, da muss ich „auf Sicht fahren“, wie wir in der Pandemie oft gesagt haben. Bei mir entsteht sofort ein Bild im Kopf bei diesem Spruch. Ich fahre auf einem Segelschiff im dicksten Nebel, und ich fahre dabei sehr langsam. Ich achte auf jedes Geräusch um mich herum und versuche nur ganz allmählich nach vorn zu kommen. Ich muss vorsichtig sein, damit ich nicht gegen ein Riff oder ein anderes Schiff stoße. Ich fahre auf Sicht - soweit wie ich eben sehen und hören kann, soweit wie es jetzt gerade möglich ist.

Von Tag zu Tag gelebt

Und ich kenne solche Situationen, in denen ich auf Sicht fahre, auch aus meinem Leben. Ich denke zum Beispiel an die Zeit, als unser Sohn vor elf Jahren geboren wurde. Als meine Frau und ich mit dem Kleinen nach der Geburt nach Hause kamen, da fing für uns ein neues Leben an. Zum Glück hatten wir beide Elternzeit genommen und konnten uns so die ersten Monate auf die neue Situation mit unserem Kind einstellen. Wir haben von Tag zu Tag gelebt und die Erfahrung gemacht, die wohl die meisten Eltern machen: Wenn das erste Kind kommt, wird irgendwie alles anders. Das Baby steht dann ganz im Mittelpunkt und man plant nicht mehr soweit im Voraus, weil sich bei Kindern schnell die Dinge ändern.

Wenn die normale Jahresplanung aufhört, das Leben still steht

Auf Sicht fahren. Das habe ich auch vor fast zwanzig Jahren bei einem achtwöchigen Krankenhausaufenthalt erlebt: Ich habe nicht mehr groß über die Zeit im Krankenhaus hinaus geplant, sondern habe Tag für Tag danach geschaut, wie es mir wieder bessergehen kann. Auf Sicht fahren, das erlebe ich auch in meinem Beruf immer wieder bei Menschen, die einen Angehörigen verloren haben: eine Ehefrau, einen Vater, ein Kind. Für diese Menschen hört die normale Jahresplanung erst einmal auf. Das Leben wird langsamer, manchmal scheint es stillzustehen. Für diese Menschen geht erst einmal nichts so weiter, wie es vorher war. Und das, was ihnen in dieser Zeit der Trauer bleibt, ist: Auf Sicht fahren.

Vorsatz für die Fastenzeit: das Leben verlangsamen

Auf Sicht fahren. Das muss nicht immer nur bei Krisen richtig sein. Manchmal habe ich auch das Gefühl, es geht alles viel zu schnell in meinem Leben, es gibt zu viel Termine, zu wenig Zeit der Muße, das Leben gleicht einem Abspulen von Ereignissen. Vor Weihnachten ging es mir wieder so, ich habe dann manche Termine und Verabredungen, bei denen es möglich war, einfach abgesagt und auf später verschoben, das hat mir Luft und Zeit verschafft. Das Leben wurde langsamer. Ich bin auf Sicht gefahren. Auf Sicht fahren kann für mich auch ein Vorsatz für die Fastenzeit sein: Ich nehme mir einfach nicht so viel vor.

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