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Zehn Minuten für mich
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Zehn Minuten für mich

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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Jeden Morgen stehe ich um 6 Uhr auf. Ich finde, das ist ziemlich früh. Ich bereite das Frühstück und die Frühstücksboxen der Kinder für die Schule vor und lüfte im ganzen Haus. Wenn ich meine große Tochter um 6.50 Uhr verabschiedet habe, ist mein Sohn meistens noch nicht wach. Dann habe ich 10 oder 15 Minuten für mich. Jetzt heißt es, die Zeit zu nutzen.

Die Zeit nutzen, um aufzuräumen oder Gymnastik zu machen

Meistens streife ich dann durch die noch dunklen Zimmer und räume auf, was herumliegt: Hausschuhe und Schulbücher, Sportkleidung, Zeitung, Stifte, der abgespülte Kochtopf von gestern. Ich sehe die Spinnweben am Bücherregal und den Stapel von Fotos, die seit einem Jahr darauf warten, eingeklebt zu werden.

Manchmal mache ich auch ein paar Rücken-Übungen und dehne mich etwas, denn irgendwo am Rücken ziept es immer bei mir. Oder ich setze schnell noch eine Wäsche auf oder schreibe mir einen Plan für den Tag, was alles zu tun ist, was ich nicht vergessen darf.

Einfach mal nichts tun ...

Vor einigen Tagen habe ich mir in diesen 10 Minuten einfach einen Tee gekocht, mich in den Sessel gesetzt und … nichts gemacht. Nur nach draußen geschaut, die Vögel gehört und gemerkt, wie es heller wird. Ich habe dem Impuls widerstanden, aufzustehen und schnell noch etwas Sinnvolles zu tun, bevor die Ansprüche des Tages auf mich einprasseln. Das war echt gut.

Nichts getan zu haben, darauf kann man nicht stolz sein. Oder doch?

Nichts zu tun, warum fällt mir das so schwer? Ich fühle mich besser, wenn ich am Ende des Tages sagen kann, was ich alles gemacht und geschafft und abgearbeitet habe. Ich merke: Ich bin geprägt von Pflichtbewusstsein und Leistungsdenken. Nichts getan zu haben, darauf kann man nicht stolz sein. Oder doch?

„Man dient Gott auch durch Nichtstun, ja durch keine Sache mehr als durch Nichtstun.“

Dabei höre ich es doch in der Kirche, lese es in der Bibel und predige es selbst von der Kanzel: „Bei Gott hast du deinen Platz schon sicher. Du musst gar nichts dafür tun.“ Vielleicht ist es gut zu wissen, was Martin Luther einmal gesagt hat: „Man dient Gott auch durch Nichtstun, ja durch keine Sache mehr als durch Nichtstun.“

Zehn Minuten nur für mich

Ich nehme mir also vor, das öfter zu machen. Die zehn Minuten für mich am Morgen nicht sinnvoll zu nutzen, sondern mit einem Tee ganz gemütlich … nichts zu machen. Und hinterher stolz darauf zu sein, nichts gemacht zu haben.

Nichtstun soll entstehen, einfach so

Aber ich werde auch nicht böse sein, wenn ich es mal vermassele und doch wieder nur aufräume, Listen schreibe oder turne. Ist ja nicht schlimm. Das Nichtstun soll gerade nicht auf einer Liste stehen als ein Punkt, den ich abarbeiten muss. Nein, dieser Moment des Nichtstuns soll entstehen, einfach so, immer wieder und immer öfter. Ich will ihm die Chance dazu geben.

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