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Seltsame Heilige
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Seltsame Heilige

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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Im Winter hat sie oft blaue Finger vor Kälte. Und die Füße tun ihr manchmal weh vom vielen Laufen. Die Frau, die in einer sächsischen Kleinstadt die Post und die Zeitungen bringt, ist besonders. Sie ist eine gute Seele. Kennt jede und jeden im Viertel. Weiß, wer Geburtstag hat und wer gerade krank ist. Weiß, wer ganz allein ist und keine Post mehr bekommt. Manchmal dreht sie ihre Route um. Nur damit jemand, der schon lange auf Post gewartet hat, besonders früh dran ist. Wenn sie kommt, wird der Himmel blau. Sie bringt Sonne fürs Herz mit.

Seltsame Heilige sind Menschen, die Gutes tun, ohne es richtig zu wissen

So beschreibt der Liederdichter Gerhard Schöne in einem seiner Lieder die Zeitungsfrau seiner Heimatstadt. Vor mehr als 20 Jahren hat er eine CD gemacht, die heißt: Seltsame Heilige. In den Liedern würdigt Gerhard Schöne Menschen, die ungewöhnlich sind oder mutig. Oder die Gutes tun, ohne es richtig zu wissen.

Die Friseurin als Seelsorgerin

Außer von der Zeitungs-Austrägerin erzählt er von Tante Hanna, seiner Friseurin in Kindertagen. Außer ihm als kleinem Jungen kommen damals fast nur ältere Menschen in den Friseur-Salon. Tante Hanna ist eine Seelsorgerin und kennt ihre Lebensgeschichten. Sie weiß: Herr Seibt vermisst seine Frau immer noch, obwohl sie schon seit drei Jahren tot ist. Spricht ihm Mut zu. Zeigt ihm den Katalog mit neuen Frisuren.

Tante Hanna kennt auch Frau Klemm und ihren Hund. Gerade ist der Hund krank und sie macht sich Sorgen. Und Frau Seliger, die eigentlich gern sterben würde. Abends betet Tante Hanna dann für alle ihre Kundinnen und Kunden.

Gerhard Schöne holt die ins Rampenlicht, die sonst im Schatten stehen

Gerhard Schöne holt mit seinen Liedern die ins Rampenlicht, die sonst im Schatten stehen. Menschen, denen man nur kurz und alltäglich begegnet. Und wo es trotzdem sehr gut tut, sie kurz gesehen zu haben.

Die gute Laune der Gymnastiklehrerin ist ansteckend

Ich denke dadurch auch an Menschen, die für mich besonders, ja heilig sind. Meine neue Gymnastiklehrerin zum Beispiel. Ich nenne sie hier mal Kathrin. Mit ihr turne ich einmal in der Woche 45 Minuten. Online. Eine Freundin von mir hat früher live bei ihr geturnt. Von ihr habe ich den Tipp. Kathrin ist rund 40 Jahre alt, sonst weiß ich wenig über sie. Einmal in der Woche strahlt sie mich aus dem Bildschirm mit breitem Lächeln an. Ihre gute Laune ist ansteckend. Und sie beobachtet die Kursmitglieder genau.

Besondere Heilige können jedem begegnen, wenn man die Augen offen hält

Die Gruppe ist klein. Bei manchen Übungen verbessert sie mich: „Du könntest die Beine mehr strecken. Falle nicht ins Hohlkreuz. Und halte durch, nur noch 4 Wiederholungen.“ Manchmal bekomme ich auch hinterher eine Mail: „Du hast heute nicht so glücklich ausgesehen. Ist etwas nicht in Ordnung?“ Kathrin motiviert mich unglaublich. Und dafür bin ich dankbar. Eine wichtige kleine Oase mitten in der Woche. Danke, liebe Kathrin. Und danke, lieber Gott, für diese besonderen Heiligen, die uns begegnen, wenn wir die Augen offenhalten.

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