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Seltsam stille Zeiten
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Seltsam stille Zeiten

Sabine Müller-Langsdorf
Ein Beitrag von Sabine Müller-Langsdorf, Evangelische Pfarrerin, Zentrum Oekumene, Frankfurt
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Manchmal habe ich das Empfinden, die Corona-Situation hat meine Zeit still gemacht. Weniger Begegnungen in echt, alles irgendwie reduziert und gedämpft. Ich bin etwas verdrießlich geworden in diesen Zeiten. Kann mich nicht recht freuen und sehne mich zugleich nach leichten Momenten und überraschenden Begegnungen. Zum Glück gibt es die tatsächlich. Manchmal kommen sie sehr alltäglich daher.

Die Frau mit der besonderen Stimme

In unserem Viertel wohnt eine Frau, die oft mit ihrem Hund an unserem Haus vorbeigeht. Ich kenne sie nur vom Sehen oder genauer gesagt vom Hören. Sie hat nämlich eine besondere Stimme, mit der sie ihrem Vierbeiner die Welt erklärt: „Guck emal Pfiffi, es wird bald Frühling. Da treiwe schon die Knospe…“

Ich habe die Frau lange nicht mehr gesehen, aber auf meinem Weg zum Altglasbehälter hörte ich über die Straße hinweg plötzlich den Satz: „Ei ihr Buwe, das macht ihr awwer schön.“

Ein Lob auf Hessisch

Ich musste lächeln. Ich wusste sofort, wer da auf der anderen Straßenseite steht. Ohne Hund und mit den Händen in den Hüften schaut die Frau auf zwei Handwerker, die auf einem Gerüst das Haus anstreichen. Sie schickt ihnen mal schnell ein Lob auf gut Hessisch hinauf aufs Gerüst. Von oben kommt zum Dank ein Lachen.  

Der Dialekt gibt ein heimatliches Gefühl

Ich habe mich gefreut über die vertraute Stimme mit den zugewandten Worten. Der Dialekt gibt ein heimatliches Gefühl. Obwohl ich die Frau nur aus der Ferne kenne, hat sie es vermocht, einen Moment lang meine Tristesse zu durchbrechen. In ihrem „Ei ihr Buwe“ liegt für mich die Botschaft: „Hallo, hier gibt es echte Menschen. Da ist ein Leben, jeden Tag neu. Du lebst nicht allein. Hör nur hin. Nutz die Chance, einfach mal Hallo zu sagen.“

Eine vertraute Stimme in schwierigen Zeiten

Auf dem Rückweg vom Altglasbehälter habe ich mich wegen meiner Verdrießlichkeit ein wenig vor mir selber geschämt. Und mich gefragt, warum diese kleine Begebenheit mich angerührt hat. Ich glaube, weil die vertraute Stimme, die zuverlässige Art, die überraschende Wohltat der Worte mich zu meiner Sehnsucht gebracht haben: In schweren Zeiten brauche ich Zuverlässiges, Zuspruch. Eine Stimme, die sagt: „He, du bist nicht allein.“ Eine Stimme, die es vermag, mich froh zu machen. Die mich aus dem Grau lockt.

Manchmal ist Gott für mich diese Stimme. Vielleicht ist sie mir auf dem Weg zum Altglas im „Ei ihr Buwe“ begegnet.

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