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Advent: Zeit, die Herzenstüren aufzumachen
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Advent: Zeit, die Herzenstüren aufzumachen

Stefan Wanske
Ein Beitrag von Stefan Wanske, katholischer Pfarrvikar im Pastoralraum Gießen-Stadt
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Ich mag die Zeit, die jetzt anbricht. Es ist der erste Advent! Weihnachtsmärkte laden ein, ich freu mich auf die kleine Verabredung am Abend, eine Tasse Glühwein, auf die Stimmung in dem kleinen Lichterdorf mitten in der Stadt, auf all die Gerüche und Sinneseindrücke. 

Der Advent kommt gerade richtig, mitten in der dunklen Jahreszeit und in den Wochen, in denen es auf die längste Nacht zugeht. Gerade im Büro merk ich das jeden Tag: Immer früher muss ich auf den Lichtschalter drücken, um Helligkeit in meinen Arbeitstag zu bringen. 

Start von etwas Neuem

Die Adventszeit dagegen steht im Zeichen des Lichts: Anbrechendes Licht, auch wenn es ganz schwach ist, lässt mich aufatmen. Die erste Kerze am Adventskranz gibt mir Zuversicht und Kraft, auch wenn die Tage einstweilen weiterhin kurz bleiben. 

Eine frohe Erwartung liegt mit einem Mal in der Luft: Das mag mit daran liegen, dass heute auch ein neues Kirchenjahr anfängt. In der Kirche liegt der Jahresbeginn nämlich nicht auf dem 1. Januar, sondern heute: auf dem ersten Advent. 

Für mich heißt das: Advent ist nicht einfach nur der Countdown zum Weihnachtsfest. Wie am Silvesterabend und Neujahrsmorgen im bürgerlichen Jahr, so ist die Adventszeit Start von etwas Neuem – aber auch die Zeit, in der ich mich erinnere an das, was war. Für Christinnen und Christen heißt das auch: sich erinnern an die Lichtblicke, die Gott immer wieder in alles Dunkel der Geschichte gebracht hat. Jesus schließlich ist in der Sicht des Glaubens dann als „das Licht der Welt“ schlechthin erschienen. Mit ihm und seiner Geburt, die wir dann in vier Wochen an Weihnachten feiern, ist über den Menschen die Sonne aufgegangen. 

Ich soll mich dafür öffnen

Die Lieder im Advent sprechen immer wieder davon: Gott will das Leben der Menschen hell machen durch seine Nähe. – und ich soll mich dafür öffnen, mich davon berühren lassen. Die Musik in dieser Morgenfeier hab ich passend dazu ausgewählt. Ein bekanntes Adventslied singt davon. Es stellt die Adventsfrage: „Wie sollt ich dich empfangen und wie begegn‘ ich dir?“ Die Melodie komponierte 1653 der Berliner Nikolai-Kantor Johann Crüger. Er vertonte einen Liedtext seines Freundes Paul Gerhard, der zur dieser Zeit Pfarrer an der Nikolaikirche war. 

Hier ist es: In einer Aufnahme mit dem Dresdner Bläserensemble Ludwig Güttler.  

Musik 1: Johann Crüger: „Wie sollt ich dich empfangen.“; Blechbläserensemble Ludwig Güttler; CD: „Bläsermusik zur Weihnacht. Brass music for Christmas“; Label Berlin Classics (0115152BC); Track 03; 1:37 

Ein Retter...der groß macht

„Wie sollt ich dich empfangen“ – ein Lied, das im Advent von einer besonderen Hoffnung erzählt. Mitten im Dreißigjährigen Krieg dichten und singen Pfarrer Nicolai und Kantor Crüger: 

„Als mir das Reich genommen, da Fried und Freunde lacht,

da bist du, mein Heil, kommen und hast mich froh gemacht.

Ich lag in schweren Banden, du kommst und machst mich los.

Ich lag in Spott und Schanden, du kommst und machst mich groß!“ 

In der Adventszeit steht diese Erwartung im Mittelpunkt: dass Gott selbst als Retter kommt. Wenn Manchmal begegne ich in meinem Alltag solchen Menschen, deren Welt aus den Fugen geraten ist. Die von Schicksalsschlägen getroffen sind, oder anderen, die sich von ihrer Umwelt verachtet und erniedrigt fühlen, die mit so vielem nicht mehr schritthalten können und denen alles immer mehr über den Kopf wächst, Und dann spüre ich selbst auch heute eine solche Sehnsucht: Dass ein Retter kommt, der wieder froh macht, der von allem befreit, was am Leben hindert, und der aufrichtet und groß macht. 

Die Botschaft der Liebe und des Friedens

Gott kommt zu uns Menschen: Das ist die zentrale Botschaft am Weihnachtsfest, zu dem die Adventszeit hinführt. Darauf freue ich mich. 

Christinnen und Christen glauben bis heute: Damit, dass Jesus geboren wurde, ist etwas völlig Neues in die Welt gekommen, das tatsächlich die Kraft hat, Menschen aufzurichten, groß zu machen und froh werden zu lassen, nämlich die Botschaft der Liebe und eines Friedens, der die ganze Welt umgibt. Jesus stand für dieses Programm; er lebte es. Und er hat landauf und landab gepredigt: Gott liebt die Menschen und geht ihnen entgegen. Gott will mit den Menschen eng verbunden sein. Und wenn das so ist, dann kann der Mensch daraus Kraft schöpfen und aufblühen. 

Ein modernes Adventslied bringt es auf den Punkt. Es stammt aus den sechziger Jahren und versucht, diese Botschaft in die Gegenwartssprache zu übersetzen. „Nahe wollt der Herr uns sein, nicht in Fernen thronen.“ Ich mag dieses Lied - weil es geradezu stocknüchtern und ganz ohne aufgesetzte Weihnachtsmarkt-Sentimentalität davon erzählt, worum es im Advent, dem Ausblick auf Weihnachten geht: „Überall ist Gott uns nah, menschlich uns zugegen. Unerkannt kommt er zu uns auf verborgenen Wegen.“ Hier ist das Lied, in einer Aufnahme mit dem Würzburger Domchor. 

Musik 2: Bernhard Huijbers: „Nahe wollt der Herr uns sein“; Würzburger Domchor / Siegfried Koesler, CD „Macht hoch die Tür. Adventsmusik aus alter & neuer Zeit“, Label Christopherus CHE 0065-2, Track 17, 02:33 

Ein Bild dieser Hoffnung

„Freuet euch, Gott ist uns ganz nahe und wohnt in unserer Mitte.“. Was dieses moderne Adventslied besingt, das ist für mich eine ganz wichtige Perspektive für die kommenden Wochen: Gott und dem kommenden Retter kann ich jeden Tag in anderen Menschen begegnen, in jemandem, der zu mir hält. Oder in jemandem, der mich braucht. 

Zum Advent gehört für mich die Hoffnung: Gott selbst kommt in mein Leben. Die vielen kleinen Lichter des Advents in unseren Straßen und Häusern, die Kerzen am Adventskranz können ein Bild dieser Hoffnung sein. Wenn Gott auf uns Menschen zugeht, dann heißt das für mich aber nicht, dass ich einfach nur dösig abwarten könnte. Sondern vielmehr: Ich soll die Ohren aufmachen, und die Augen, und das Herz. 

Zeit und Aufmerksamkeit zum Geschenk

Im Alltag gibt’s so Vieles, was mich für die Hoffnung verschließt: Mitten im stumpfen Funktionieren erzählt mir jemand was. – Und ich hör nur mit halbem Ohr hin und antworte in Floskeln. Oder ich kreise gedanklich nur um die nächsten Termine und Aufgaben, aber hab für die anderen gar keinen Blick. Oder fühl mich mit einem Anliegen oder einer Idee so missverstanden, dass ich am liebsten ganz resignieren möchte. 

Was mir dann mitten im Alltag immer wieder adventlichen Mut einflößt, das kann ich erleben, wenn ich bewusst mit offenen Ohren, Augen und offenem Herzen unterwegs bin. Da ist die Nähe von Menschen, denen ich vertraue, und auch das Vertrauen, das andere mir entgegenbringen. Leute, die sich umeinander kümmern und sich Zeit und Aufmerksamkeit zum Geschenk machen. All das sind Lichtblicke, die ich vor lauter Stress oftmals ganz übersehe. 

Fast 400 Jahre ist es alt

Mich zu öffnen für diese ganz besondere Ankunft Gottes, auch in meinem Alltag und in meinem Leben: Dieser Appell kommt für mich auch noch in einem anderen, weit bekannteren Adventslied zum Ausdruck: Das Lied „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“. Es wird auch heute Vormittag ganz sicher in vielen katholischen und evangelischen Gottesdienten gesungen. Fast 400 Jahre ist dieses Lied schon alt. Ich mag seinen beschwingten Rhythmus, seine eingängige Melodie. 

„Gelobet sei mein Gott“, so wird in jeder Strophe wiederholt. In der letzten Strophe wandelt sich die Szenerie zu einem Dialog zwischen den gläubigen Sängerinnen und Sängern und dem kommenden Retter: "Komm, o mein Heiland, Jesu Christ, mein Herzens Tür dir offen ist". 

Musik 3: Macht hoch die Tür“. CD „Tauet Himmel, den Gerechten. Lieder zum Advent“, Chor der Kirchenmusikschule Regensburg / Karl Norbert Schmid, Label Christophorus, CHE 0014-2, Track 1, 03:58 

"Willkommen im Hause des Herrn"

Die Geschichte hinter dem Lied spielt in Königsberg in Ostpreußen vor 400 Jahren. 1623 war es, da sollte im Advent in der Stadt eine neue Kirche eingeweiht werden. Als der Pfarrer und Musiker Georg Weissel einige Tage zuvor im dichten Schneetreiben am Dom der Stadt vorbeiging und ein schneidend kalter Wind den Menschen um die Ohren pfiff, da hörte er eine vertraute Stimme. 

Sein Küster stand da und rief den Leuten auf dem Vorplatz zu: „Willkommen im Hause des Herrn! Hier ist jeder in gleicher Weise willkommen, ob Patrizier oder Tagelöhner! Sollen wir nicht hinausgehen auf die Straßen, an die Zäune und alle hereinholen, die kommen wollen? Das Tor des Königs aller Könige steht jedem offen.“ 

Es kommt der Herr der Herrlichkeit

Georg Weissel, so wird erzählt, hätte sich umgehend bei seinem Küster bedankt und zu ihm gesagt: „Er hat mir eben eine ausgezeichnete Predigt gehalten!“ Später, zu Hause, hätte er sich gleich an seinen Schreibtisch gesetzt und nach den Worten des 24. Psalms der Bibel gedichtet: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit". 

Schon Martin Luther hatte diesen Psalm – Psalm 24 – mit kraftvoller Sprache ins Deutsche übersetzt. „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehet!“ Ich finde, das ist eine ideale Bibelstelle für die Einweihung eines neuen Gotteshauses: Christus soll einen würdigen Platz finden. Sicher in der neuen Kirche, aber mehr noch im Herzen von jedem Gemeindemitglied. 

Türen, die sich öffnen

Im Advent hat dieser Psalm aus der Bibel dann für mich noch mal einen ganz eigenen Klang. Ich höre ihn jedes Jahr wie einen Weckruf: Steh auf, öffne alles, was du verschlossen hast! Dann kann der ersehnte Retter zu dir reinkommen! 

In der Musik hat der 24. Psalm noch andere bemerkenswerte Spuren hinterlassen. Hören wir die Chorkomposition „Machet die Tore weit“. Andreas Hammerschmidt, ein Kirchenkomponist im sächsischen Zittau, veröffentlichte sie 1649. 

Musik 4:Andreas Hammerschmidt: „Machet die Tore weit“.CD „Macht hoch die Tür. Adventsmusik aus alter & neuer Zeit“, Magdeburger Domchor / Günther Hoff; Label Christopherus CHE 0065-2, Track 19, 02:40 

Heute beginnt ein neues Kirchenjahr. Es ist 1. Advent. Was gibt es da Schöneres als Türen, die sich öffnen! 

Ganz bewusst die Augen offenhalten

Ich wünsche mir, dass sich für viele Menschen Türen öffnen in diesem Advent, neue Wege eröffnen, neue Chancen. Und ich wünsche mir auch, dass wir Menschen füreinander Türen öffnen. Aufmerksam sind füreinander. Gerade in dunkler Jahreszeit und in Krisenzeiten tut das ja gut, wenn Menschen füreinander da sind. 

Ich will mir das für die nächsten Wochen neu vornehmen: Dass ich auf meinen Wegen durch die Stadt und in meinen Begegnungen und Gesprächen aufmerksam bin. Und dass ich ganz bewusst die Augen offenhalte für das, was um mich herum geschieht. Dass ich hinhöre und dabei Ohren und Herz öffne für die, die mit mir unterwegs sind und um mich herum leben. 

Jeder ist ihm wichtig!

Und ich kann schauen, ob und was ich für sie tun kann. Vielleicht wieder jemanden besuche oder anrufe, der gerade in Trauer und einsam ist. Oder einen Brief schreibe, wenn ein Kontakt einzuschlafen droht. 

Heute haben wir die erste Kerze angezündet. Ein bescheidener Anfang. Eine zweite, dritte, vierte Kerze werden dazukommen. Gott möchte bei uns Menschen sein, jede und jeder ist ihm wichtig! 

Das Licht wächst. 

Musik 5: Sigfrid Karg-Elert:„Macht hoch die Tür, aus: Choralimprovisationen op. 65“, CD: „Dominikus Trautner: Die Lebenskunst der Klöster. Festliche Orgelmusik zur Weihnachtszeit.“, Label Vier Türme (ISBN 978-3-89680-439-6), Track 03, 03:18 

 

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