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Ein Leben nach dem Tod
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Ein Leben nach dem Tod

Prof. Dr. Karlheinz Diez
Ein Beitrag von Prof. Dr. Karlheinz Diez, Katholischer Weihbischof, Fulda
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Der Monat November macht viele Menschen melancholisch. Der lange Winter steht bevor, der goldene Oktober mit seinen in diesem Jahr milden Temperaturen und seiner Farbenpracht, der Indian Summer, ist mit den letzten Blättern von den Bäumen gefegt. Die Natur hat ihre Leichtigkeit verloren. Noch stehen die Gemütlichkeit der Adventszeit und die Vorbereitung auf Weihnachten aus, und der Frühling ist weit entfernt. November, das ist Totensonntag, Allerheiligen und Allerseelen, Besuche auf den Friedhöfen; November, das ist Tristesse und für nicht wenige ein Symbol des Lebens: geboren werden und sterben. Ein ewiger Kreislauf des Kommens und Gehens.

Leben nach dem Tod – das sagt Jesus

In dieser Novemberstimmung wird heute in den katholischen Kirchen der folgende Abschnitt aus dem Lukasevangelium (Lk 20, 27-38) vorgetragen:

Von den Sadduzäern, die bestreiten, dass es eine Auferstehung gibt, kamen einige zu Jesus und fragten ihn: Meister, Mose hat uns vorgeschrieben: Wenn ein Mann, der einen Bruder hat, stirbt und eine Frau hinterlässt, ohne Kinder zu haben, dann soll sein Bruder die Frau nehmen und seinem Bruder Nachkommen verschaffen. Nun lebten einmal sieben Brüder. Der erste nahm sich eine Frau, starb aber kinderlos. Dann nahm sie der zweite, danach der dritte und ebenso die anderen bis zum siebten; sie alle hinterließen keine Kinder, als sie starben. Schließlich starb auch die Frau. Wessen Frau wird sie nun bei der Auferstehung sein? Alle sieben haben sie doch zur Frau gehabt. Da sagte Jesus zu ihnen: Die Kinder dieser Welt heiraten und lassen sich heiraten. Die aber, die gewürdigt werden, an jener Welt und an der Auferstehung von den Toten teilzuhaben, heiraten nicht, noch lassen sie sich heiraten. Denn sie können auch nicht mehr sterben, weil sie den Engeln gleich und als Kinder der Auferstehung zu Kindern Gottes geworden sind. Dass aber die Toten auferstehen, hat schon Mose in der Geschichte vom Dornbusch angedeutet, in der er den Herrn, den Gott Abrahams, den Gott Isaaks und den Gott Jakobs nennt. Er ist doch kein Gott von Toten, sondern von Lebenden; denn für ihn leben sie alle.

Musik: II. Allegro aus dem Concerto B-Dur für Trompete und Streicher von Georg Friedrich Händel

Fällt der Mensch mit dem Tod in ein Nichts oder lebt er nach dem Tod in irgendeiner Form weiter? Solchen Fragen haben sich denkende Menschen von jeher gestellt. Ein Beispiel dafür:

Im März 2018 ist der berühmte britische Wissenschaftler Stephen William Hawking gestorben. Er war Astrophysiker und Inhaber eines renommierten Lehrstuhls für Mathematik in Cambridge. 1942 wurde er geboren und hat bahnbrechende Forschungen über den Urknall und die schwarzen Löcher durchgeführt. Eine schwere Nervenerkrankung zwang ihn in den Rollstuhl, später hat er auch noch die Fähigkeit verloren zu sprechen. Er war komplett auf Hilfe angewiesen und kommunizierte mit einem Sprachcomputer. Dennoch hat er weiter geforscht, weiter gelehrt. Auf eine Frage nach dem Leben nach dem Tod hat er so geantwortet: "Ich sehe das Gehirn als einen Computer an, der aufhört zu arbeiten, wenn seine Einzelteile nicht mehr funktionieren." Und weiter: "Es gibt kein Leben nach dem Tod für kaputte Computer; das ist ein Märchen für Leute, die Angst im Dunkeln haben." Zugleich aber sei er selbst mit Blick auf seine erstaunliche Lebens- und Forschungsgeschichte trotz seiner Krankheit, wie er sagte, "der beste Beleg, dass manchmal Dinge zwischen Himmel und Erde möglich werden, die man mit dem `gesunden` Menschenverstand nicht für möglich hält." Von Gott ist allerdings nicht die Rede. Und in einem anderen Zusammenhang sagte Hawking: "Gott ist der Name, den Menschen dem geben, was sie nicht verstehen." (Vgl. Die ZEIT, Danke, Stephen, 14. März 2018). Stephen Hawking kam also ohne den Gedanken an ein Leben nach dem Tod aus. Sein Körper, so muss man daraus schließen, würde in die Erde zurückgehen und verwesen. Mehr passiert nicht. Eine Auferstehung von den Toten? Für ihn undenkbar.

Auch die Sadduzäer glauben nicht an ein Leben nach dem Tod

So ähnlich wie Stephen William Hawking sehen es die Sadduzäer zur Zeit Jesu, von denen im heutigen Sonntagsevangelium die Rede ist. Natürlich verfügen sie nicht über die wissenschaftlichen Erkenntnisse der heutigen Zeit, sie sind auf die Erkenntnisse ihrer Lehren und Schriften angewiesen. Bekannt ist von den Sadduzäern, dass sie die Hoffnung auf eine Auferstehung von den Toten nicht teilen. Sie sind Anhänger einer innerweltlichen Vergeltungslehre, das heißt, sie rechnen damit, dass der Mensch schon in seinem irdischen Leben Lohn und Strafe erhält. Sadduzäer sind Mitglieder der vornehmen und einflussreichen Gesellschaft, einer Religionspartei, die alle Lehren ablehnt, die über das wortwörtliche in der Tora Enthaltene hinausgeht, so eben auch der Glaube an die Auferstehung. Sie stehen weit oben im jüdischen Leben.

Jesus auf dem Glatteis?

Dieser Jesus und seine neue Lehre vom Reich Gottes, vom ewigen Leben wird ihnen merkwürdig, vielleicht sogar gefährlich vorgekommen sein. Sie versuchen, ihn mit einer Frage ein Stück weit zu provozieren. Sie, die nicht an ein Leben nach dem Tod glauben, fragen genau dort nach. Als wollten sie ihre Finger in die Wunde legen, die für sie selbst eine Wunde ist. Aufhängen tun sie ihre berühmte Sadduzäerfrage mit einem sehr konstruierten Fall: Wessen Frau ist die Frau in der Ewigkeit, die nacheinander mit sieben Brüdern verheiratet war? Damit greifen sie auf eine Stelle aus dem alttestamentlichen Buch Tobit zurück (Tob 3, 7), die von Sara berichtet, die sieben Männern zur Frau gegeben worden war und alle überlebt hatte. Jetzt versuchen die Sadduzäer, mit der Frage nach der Schwagerehe den Glauben an die Auferstehung ad absurdum zu führen. Eine Frau kann in der Ewigkeit schließlich nicht mit sieben Männern gleichzeitig verheiratet sein. Sie fordern eine Antwort von Jesus.

Etwas ungeahnt Neues

Aber Jesus lässt sich mit dieser Fangfrage nicht aufs Glatteis führen.

Er unterbricht den Gedankengang der Sadduzäer und differenziert ihn. Jesus spricht von den "Kindern dieser Welt" auf der einen Seite und von denen, die teilhaben an der Auferstehung, von den Toten auf der anderen Seite. Die einen, die Kinder dieser Welt, heiraten; die anderen, die schon auferstanden sind, heiraten nicht mehr. Sie sind, so sagt Jesus, den Engeln gleich und zu Kindern Gottes geworden. Jesus setzt damit einen wesentlichen Unterschied zu den Überlegungen der Sadduzäer; diese führen das irdische Leben sozusagen weiter fort in die Ewigkeit, die sie ja eigentlich ablehnen. Heiraten, das ist für sie irdisch erfahrbar und sie übertragen dies hypothetisch in die jenseitige Welt. Sie denken den Himmel mit irdischen Maßstäben.

Aber mit der Botschaft Jesu beginnt etwas ungeahnt Neues.

Musik: II. Largo aus dem Concerto B-Dur (F. XII, 16) für Trompete (Oboe), Violine, Streicher und Basso continuo (RV 548) von Antonio Vivaldi

Mit der Auferstehung von den Toten, mit dem ewigen Leben verkündet Jesus DIE Botschaft der Hoffnung und Zukunft schlechthin. Wer von den Toten auferstanden ist, wird auf ewig nicht mehr sterben. Er wird auf ewig leben bei Gott. Denn Gott, so sagt das heutige Evangelium, ist nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebenden. Ja, das ist in den Ohren der Sadduzäer, und sicher auch vieler Menschen heute, schon eine gewaltige Aussage, fast eine Zumutung. Von den Toten auferstehen bedeutet, es ist mit dem Ende des irdischen Lebens nicht alles aus. Christen glauben an ein Leben, das unvorstellbar schöner, besser wird, ein Leben in Gottes Barmherzigkeit, für das es eigentlich keine Worte gibt.

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Liebe Hörerinnen und Hörer, glauben Sie an die Auferstehung von den Toten? Bei Meinungsumfragen unter Christinnen und Christen ist herausgekommen, dass selbst sie Schwierigkeiten haben mit der Vorstellung von dem Leben nach dem Tod. Warum ist das so? Nun, ich denke mir es so: Die Vorstellung des Übergangs vom irdischen Leben in das Leben bei Gott ist ein ganzes Stück aus unserer aufgeklärten, auf wissenschaftlichen Fakten beruhenden Sicht auf die Dinge verloren gegangen. Bei öffentlichen Trauerfeiern wird in würdigem Rahmen auf den oder die Verstorbene eingegangen, das Lebenswerk für die Gesellschaft gewürdigt und sein oder ihr Andenken in Ehren gehalten. Aber so wirklich traut man sich doch nicht, den Glauben an das ewige Leben bei Gott als Trost und Hoffnung zu bekennen. Sehr viel ist dann von "bleibender Erinnerung" die Rede, im Strom des Vergessens und Vergehens. Schämt man sich des Glaubens an den Gott der Lebenden? Steht bei dem Gedanken an die Ewigkeit die Wissenschaft im Weg? Da gibt es auch andere Erfahrungen.

Religion und Naturwissenschaft schließen sich nicht aus

Ich denke zum Beispiel an den berühmten Naturwissenschaftler Max Planck, den Physiker und Nobelpreisträger, Begründer der Quantentheorie. Er sagt zu dem Begriffspaar Glaube und Naturwissenschaft: "Religion und Naturwissenschaft schließen sich nicht aus, wie heutzutage manche glauben und fürchten, sondern sie ergänzen und bedingen einander. Für den gläubigen Menschen steht Gott am Anfang, für den Wissenschaftler am Ende aller seiner Überlegungen. "Und ein weiteres Zitat von Werner Heisenberg, dem Physiker und Nobelpreisträger – und das ist so etwas wie mein Lieblingszitat: "Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch. Aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott."

Vollendung bei Gott

Gläubige Menschen bauen darauf, bei Gott die Vollendung zu finden. Es ist keine vage Hoffnung, es ist die Gewissheit des Glaubens. Christen glauben und vertrauen darauf, diejenigen wiederzufinden, die ihnen lieb und teuer waren und ihnen vorausgegangen sind. Das ist eine sagenhafte Botschaft! Vereint und versöhnt mit allen in einem Leben ohne Raum und Zeit in der Liebe Gottes zu sein, das ist die Erwartung der Christen nach dem irdischen Tod. Ich gebe zu, es fällt schwer, sich die "Engelsgleichheit" vorzustellen, von der Jesus spricht. Wie kann das sein? Es gibt ein Wort des bekannten Kirchenlehrers, des hl. Augustinus, das Menschen in ihrer Trauer Trost und Hoffnung bringt. Es heißt: "Unsere Toten sind nicht abwesend, nur unsichtbar. Sie schauen mit ihren Augen voller Licht in unsere Augen voller Trauer." Vielleicht hilft es bei der Vorstellung, wie das Leben in der Ewigkeit Gottes, den Engeln gleich, aussehen kann. Gewiss wird es eine unmittelbare Gemeinschaft mit Gott sein, im eigenen ganz persönlichen Menschsein, nicht als namenloses, unpersönliches Wesen.

Musik: I. Andante aus der Sonata c cinque No. 1 D-Dur für Trompete, Streicher und Basso continuo von Giuseppe Torelli 

Mir hat sich ein bestimmtes Bild von Tod und Leben fest eingeprägt. Das Bild hat in meiner Erinnerung schon seit meinen Studienjahren in Rom einen festen Platz. Wer von Ihnen schon einmal in Rom den Petersdom besichtigt hat, hat vielleicht die sogenannte "Tür des Todes" wahrgenommen, ganz links im Eingangsbereich der Vorhalle. Diese Bronzetür wurde von Giacomo Manzù im Auftrag von Papst Johannes XXIII. in 1964 geschaffen, also bis nach dem Tod des Papstes, mit dem er befreundet war. Traditionell wurde sie für Trauerzüge genutzt, weil auf ihr Symbole von Leben und Tod abgebildet sind. Ich stand schon oft vor dieser Tür, die für mich zu einem Zeichen der Hoffnung und des Lebens geworden ist. Alle Abbildungen auf ihr symbolisieren dieses: Jedes Leben geht zu Ende, aber nicht ins Nichts, sondern in Gottes bergende Hände. Die Tür des Todes wird zur Tür zum Leben, das Leben durchschreitet die Dunkelheit, auch die des Monats November.

Licht des Lebens bei Gott

Ich durfte dies bei meinem eigenen Vatererleben, der 19 Jahre lang als blinder Mensch leben musste. Immer ging er mit einem bangen Gefühl auf den Monat November zu, er mochte ihn einfach nicht. Und er ist schließlich an einem Novembertag ganz schnell und friedlich eingegangen in die Ewigkeit. Der Monat wurde für ihn, der das Licht nicht mehr sehen konnte, zum Licht des Lebens bei Gott. So ist es bedeutsam, in diesem Monat November auf den Gräbern Lichter zu entzünden. Sie flackern in der Dunkelheit auf den Friedhöfen und werden zu einem kleinen Meer von hellen tanzenden Punkten. Auf mich wirken sie immer wie ein kleines "Trotzdem". Trotz aller Dunkelheit gibt es Licht, trotz aller Sterblichkeit gibt es Leben.

Das Leben erblüht neu bei Gott

So ist der Monat November für gläubige Menschen nur äußerlich und vielleicht auch mit Blick auf die ruhende Natur ein Totenmonat. Aber so gewiss wie die Bäume wieder grün werden, die Vögel wieder zu hören sind und die Natur neu erblüht, so gewiss erblüht das Leben der Toten neu bei Gott. So heißt es auch im letzten Buch des Neuen Testamentes, in der Offenbarung des Johannes: "Seht die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein, und er, Gott, wird bei ihnen sein. Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal." (Offb 21, 23.4). Welch eine adventliche Zusage!

Musik: III. Allegro aus dem Concerto B-Dur (F, XII, 16) für Trompete (Oboe), Violine, Streicher und Basso continua (RV 548) von Antonio Vivaldi

Die von Regionalkantor Oskar Roithmeier (Marburg) ausgewählten Musikstücke stammen aus der CD „Die 3 Trompeter“.

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