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Von Heilung und Dankbarkeit
Bild: lucie_pixabay

Von Heilung und Dankbarkeit

Simone Gerlitzki
Ein Beitrag von Simone Gerlitzki, Katholische Pastoralreferentin, Frankfurt
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Wer in seinem Leben selten oder nie die Erfahrung von Krankheit gemacht hat, den trifft eine ärztliche Diagnose sehr. Aber auch für Menschen, die oft mit Krankheit zu tun haben, ist eine Untersuchung, bei der ein Befund im Raum steht, schwer.

Seitdem ist nichts mehr wie vorher

Krankheiten gehören zum menschlichen Dasein dazu. Das körperliche Wohlbefinden kann von heute auf morgen einbrechen. Die Leistungsfähigkeit schwindet. Auch ich spüre das am eigenen Leib, dass die Schwachheit über die Kräfte und Stärke siegt, als ich nach einem Wanderunfall Probleme mit meinem Knie bekommen habe. Seit dieser Zeit ist nichts mehr wie vorher. Das Knie wird mit verschiedenen Methoden behandelt, aber irgendwann werde ich wohl um eine Operation nicht herumkommen.

Auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein, fällt schwer

Leider bleibt dann auch oftmals nicht aus, dass ich auf die Hilfe anderer angewiesen bin. Eine solche Erfahrung zu machen, fällt schwer und weist einen Menschen in Grenzen. Neben körperlichen Schmerzen schmerzt dann meist auch noch der Umstand, anderen zur Last zu fallen. Und es folgen weitere Schmerzen, die nicht zu unterschätzen sind: die mitmenschlichen und sozialen Kontakte, die bisher so gut funktionierten, werden weniger, und nicht selten stellen sich Einsamkeit, Isolation und Depressionen ein. Das Leben gerät plötzlich total aus den Fugen.

Erfahrungen der zehn Aussätzigen im Lukasevangelium

Eine ähnliche Erfahrung haben wohl auch die zehn Aussätzigen im Lukasevangelium machen müssen, von ihnen ist im heutigen Evangelium, welches in allen katholischen Gottesdiensten verlesen wird, die Rede.

Musik 1: David Garrett, Classic Romance, Zigeunerweisen 2 Un peu plus lent, Pablo de Sarasate, 2:02

Krankenversicherungen gab es nicht zu biblischen Zeiten

Krankheit kann sozial isolieren: Das war zu biblischen Zeiten noch viel stärker. Die zehn Aussätzigen, von denen die Bibel erzählt, hatten keine Kranken- oder Arbeitslosenversicherung.

Von Gott gestraft und keinen Platz mehr in der Gesellschaft

Die zehn Aussätzigen waren in Palästina zur Zeit Jesu unterwegs. Sie waren nicht nur körperlich schwach, sondern auch noch unansehnlich, von üblem Geruch befallen, galten als von Gott gestrafte und verfluchte Menschen. Ihnen stand kein Platz mehr in der Gesellschaft zu. Vor den Toren der Stadt sollten sie ihr Dasein fristen und auf das Mitleid und die Barmherzigkeit der Reichen angewiesen sein.

Lauf weg von mir, denn ich bin unrein und ansteckend

Ich stelle mir die Situation so vor: Da kommen die Aussätzigen gerade von ihrer täglichen Almosensammlung aus dem Zentrum der Stadt. In der einen Hand die abgenutzte Holzklapper, mit der sie alle Herannahenden warnen müssen: Lauf weg von mir, denn ich bin unrein, ansteckend; meide mich, es könnte dir und mir sonst schlecht ergehen. In der anderen Hand haben sie vielleicht ein wenig Essbares in einer Schale, die andere ihnen an den Straßenrand gestellt haben.

Einer ärmer als der andere

Sie haben sich zusammengetan, diese zehn. Einer ärmer dran als der andere, geplagt von äußerer und innerer Not, ausgeschlossen von der Glaubensfamilie und aus der Dorfgemeinschaft. Sie sind mehr als verzweifelt. Was bin ich noch wert? Niemand denkt mehr an mich. Wer liebt mich noch? Vermutlich kennt jeder Mensch auch heute solche Fragen, solche Zeiten des Zweifelns, Situationen des Ausgeschlossenseins oder die Erfahrung, abgeschrieben zu sein.

Hilfsbedürftig, einsam und allein gelassen

Aus Gesprächen weiß ich, dass vor allem ältere Menschen oft solche oder ähnliche Gedanken haben. Sie fühlen sich oft einsam und allein gelassen, wenn sie kinderlos sind oder die Kinder weit verstreut sind in der Welt. Gesundheitliche Probleme verstärken dann diese Gedanken noch. Eine Spirale der Unzufriedenheit beginnt, aus der man nur schwer wieder den rettenden Ausgang findet. Wer kann da noch helfen?

Jesus geht an der Not dieser Menschen nicht vorüber

Diese Frage stellten sich sicher auch die zehn Aussätzigen aus der Bibel. Doch eines Tages, da kommt dieser Jesus vorbei. Sie haben von ihm gehört. Ein Wanderprediger, mit dem Gott ist. Einer, der Menschen heilen kann. Schon von weitem winken sie ihm zu, und Jesus geht an der Not dieser Menschen nicht vorüber und wendet sich diesen zehn Kranken zu. In der Begegnung mit Jesus ist wahrscheinlich von einem Augenblick auf den anderen alle Hoffnungslosigkeit und alle Aussichtslosigkeit von ihnen gewichen, und sie bündeln alle ihre Kräfte zusammen, um ihm zuzurufen: „Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns!“ (Lukas 17, 13)

Er hilft, ohne langes Hinterfragen

Jesus führt mit diesen Menschen kein ausführliches oder auseinandersetzendes  Gespräch. Er geht nicht, wie viele seiner Zeitgenossen, davon aus, dass sie selbst etwas für ihre Krankheit könnten. Fragt sie nicht, ob sie sich etwas zu Schulden kommen ließen oder ob sie gegen die geltenden Gebote verstoßen hätten, er lässt auch die Kranken nicht zu Wort kommen in dieser Begegnung, sondern er wendet sich ihnen einfach nur zu. Und er fordert sie auf: Geht zu den Priestern und zeigt euch ihnen!.

Musik 2: Frédéric Chopin „Sternenregen“, Für Elise Romantische Klavierstücke, 2:53

Auf ihr Rufen und Bitten hin, werden sie gesund

Heilung erfahren die zehn Aussätzigen aus der Bibelstelle, die heute in den katholischen Gottesdiensten gelesen wird. Ohne Jesus etwas dafür zu geben, einfach auf ihr Rufen und Bitten hin, werden sie gesund. Sie wurden geheilt, weil sie an die Macht Jesu glaubten und sich auf sein Wort vertrauensvoll einließen. Denn Jesus „machte“ sie nicht auf der Stelle gesund, sondern forderte sie auf, sich den Priestern zu zeigen, damit ihre Heilung – wie es damals üblich war – öffentlich festgestellt würde. Sie mussten sich also auf den Weg machen und wurden auf diesem Weg geheilt.

Dein Glaube hat dir geholfen

Wichtig scheinen mir in der Geschichte zwei Dinge: zum einen: Ich soll mich Gott ganz anvertrauen, zum anderen aber auch: Ich soll selbst bereit sein mitzuwirken, um die Heilung wirksam werden zu lassen. Auch die heutige Medizin weiß: Wenn der Wille des Patienten gehört wird, wenn er auch an selbstheilende Kräfte glaubt, dann ist das gut für die Heilung. Man ist sich weitgehend einig, dass psychosomatische Vorgänge in einem Menschen Heilungsprozesse fördern können. Häufig ist dies auch mit dem Glauben an Gott verbunden. Ich bin davon überzeugt: Die Macht Gottes und der Glaube des Menschen wirken in solchen Fällen zusammen. In der Sprache der Bibel und Jesus heißt das dann:

 „Dein Glaube hat dir geholfen.“ (Lukas 17, 19) Ich glaube, das gilt so ähnlich auch heute: Es gibt zwar keine Wunderheilung von jetzt auf gleich wie in dieser Geschichte aus der Bibel. Aber wenn ich an Heilungskräfte in mir glaube und Heilungskräfte der Liebe und der Göttlichkeit, dann bewirkt das etwas. Dann kann das Heilung bewirken.

Einer kehrte um und dankte Jesus für seine Heilung

Die Antwort der Kranken in der Bibel auf die Heilung ist: Dankbarkeit! In der Geschichte heißt es: „Und während sie zu den Priestern gingen, wurden sie rein. Einer von ihnen aber kehrte um, als er sah, dass er geheilt war; und er lobte Gott mit lauter Stimme. Er warf sich vor den Füßen Jesu zu Boden und dankte ihm. Dieser Mann war aus Samarien.“ (Lukas 17, 14-17).

Aber neun der zehn Geheilten zeigten keine Dankbarkeit

Ich kenne es aus dem zwischenmenschlichen Bereich, wie wichtig es ist, sich gegenseitig Wert zu schätzen und aufeinander zu achten. Aber im heutigen Evangelium wird die Dankbarkeit nicht als einzig mögliche Schlussfolgerung aus der Heilung beschrieben. Im Gegenteil sogar – neun der zehn rein gewordenen Aussätzigen zeigen keine Dankbarkeit: „Da sagte Jesus: Es sind doch alle zehn rein geworden. Wo sind die übrigen neun?“ (Lukas 17, 17)

Freude und Trauer ausdrücken können

Die Antwort auf die Heilung sagt aber etwas auf die Grundhaltung gegenüber Gott aus. Für mich ist es im Glauben wichtig, dankbar zu sein gegenüber Gott, ihm gegenüber meine Freude und Trauer auszudrücken. Ich rufe ihn nicht nur an, wenn es mir schlecht geht – bitte, lieber Gott, mach doch! -, sondern auch, wenn ich erleichtert und froh bin, dass etwas gut gegangen ist: Danke, Gott! Kurz gesagt: Gott ist für mich kein Etwas, kein „Es“, sondern ein „Du“.

Dankbarkeit ist frei vom Kosten-Nutzen-Denken

Zu meinem Glauben gehört Dankbarkeit, denn in ihr zeigt sich eine Beziehung zu Gott, die frei ist vom Kosten-Nutzen-Denken. In der biblischen Geschichte lese ich: Der Glaube an die göttliche Macht Jesu war bei allen Aussätzigen irgendwie da. Aber anscheinend gab es nur bei einem der Aussätzigen eine so tief empfundene Dankbarkeit Gott gegenüber, dass er umkehrte, um ihm zu danken.

Es tut mir gut, wenn mir jemand dankt

Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie gut das Gefühl der Dankbarkeit tut und wie es Herz und Seele für das Leben und andere Menschen aufschließen kann. Wenn ich zum Beispiel jemandem, der in einer Beziehungskrise steckt, einen Rat gegeben habe und dieser Rat dann zu einem guten Ende geführt hat. Wenn dieser hilfesuchende Mensch dann mir gegenüber Dankbarkeit zeigt, dann ist das ein erhebendes Gefühl für mich. Ich kann Jesus also gut verstehen, dass er enttäuscht ist, dass nur ein geheilter Mensch zu ihm kommt, um ihm zu danken.

Musik 3: Albrecht Mayer, Vocalise, Largo from Violin Concerto in F minor, “L’inverno” op. 8/4, 2:03

Danken fällt nicht immer leicht

Dankbar sein, das fällt nicht immer leicht. Sei es, weil man einen Menschen, dem man eigentlich etwas verdankt, nicht leiden kann; sei es, weil man selbst so von der Vorstellung vereinnahmt ist, man selbst habe das alles aus eigner Kraft geschafft;  sei es, weil man nicht achtsam genug war, um das Empfangene als Verdanktes zu erkennen; sei es, weil man durch andere Dinge oder Ereignisse so besorgt ist, dass anderes in den Hintergrund tritt; oder sei es, weil die Not des Lebens, das Leid oder die Schuld zu groß sind, als dass Dankbarkeit hier noch berechtigt seinen Platz haben könnten.

Wer Furchtbares erlebt hat, kann nicht mehr dankbar durch Leben gehen

Ja, es gibt tragische Momente und schwere Erfahrungen im Leben, die es schwer machen, dankbar durchs Leben zu gehen. Ich kenne eine Frau, die ihren Sohn verloren hat: Dass sie nicht dankbar sein kann, finde ich völlig nachvollziehbar. Da entstellt eine tödliche Krankheit einen Menschen und beraubt ihn Stück für Stück all dessen, was ihn und seine Würde, wie er sagt, ausmacht. Da reißt ein Amokläufer viele Menschen aus dem Leben in den Tod. Ich kann verstehen, wenn Menschen, die Furchtbares erlebt haben, nicht dankbar sein können für das Leben und gegenüber Gott.

Der Mensch ist verletzbar

Es gibt Verletzungen, Verwundungen, Schulderfahrungen und Gebrochenheit im Leben eines Menschen, die sich nicht verharmlosen lassen. Der Mensch ist verletzbar.

Das Leben in seiner Vielschichtigkeit sehen

Was könnte dann Dankbarkeit angesichts der Verletzbarkeit aller Menschen bedeuten? Für mich heißt das: Ich will das Leben in all seiner Vielschichtigkeit wahrnehmen: also nicht einfach nur das Positive sehen, indem das Negative ausgeblendet und verleugnet wird; aber auch nicht einfach nur das Negative sehen, indem das Gute aus dem Blick gerät oder ignoriert wird.

Abschied geschieht am besten mit Dank

So gibt es auch aus der Trauerarbeit eine ganz wichtige Erfahrung: Abschied geschieht am besten mit Dank. Menschen, die von einem geliebten Menschen Abschied nehmen müssen, gelingt es besser, wenn sie auch Dinge oder Begebenheiten mit in den Blick bekommen, die sie mit Dank verbinden. Das darf nicht von außen verordnet werden. Wenn es aber im Prozess von innen heraus erwächst, dann kann sich ein Spalt für einen neuen Lebensraum eröffnen, für neue Möglichkeiten, mit dem Tod des geliebten Menschen umzugehen.

Musik 4: David Garrett, Encore, O mio Babbino caro, 3:10

Dankbarkeit ist eine Antwort des Glaubens

Dankbarkeit – eine wichtige Haltung im Leben. Die Bibelstelle, die von der Heilung der Aussätzigen erzählt, saqt außerdem: Dankbarkeit ist eine Antwort des Glaubens.

Was er geschenkt bekommen hat, kann er niemals vergelten

Die Aussätzigen wurden von Jesus geheilt. Sie waren von einer Krankheit befallen, die sie ins soziale Abseits stellte, die sie aus dem Leben ausschloss und für die es nach damaligem medizinischen Kenntnisstand keine Hilfe gab. Doch Jesus lässt sich vom Leid der Aussätzigen berühren und heilt sie von ihrer Krankheit. Er gibt ihnen ihr Leben zurück. Einer von den zehn Aussätzigen weiß: Das, was er geschenkt bekommen hat, kann er niemals vergelten. Er kann es niemals ausgleichen, so dass seine Antwort die des Dankes und des Glaubens ist. Die Dankbarkeit verbindet sich mit dem Lob und der Verehrung Gottes – anders als die neun geheilten Aussätzigen, die, nicht mehr zu Jesus umgekehrt sind.

Achtsamer sein und danken, wenn ich beschenkt werde

Die heutige Bibelstelle ermutigt mich, im Alltag genau hinzusehen und dafür achtsam zu sein, wo überall ich Empfangende bin und wo ich beschenkt werde. Wo ich angewiesen bin auf andere und ich anderen so manches zu verdanken habe. Ich kann auch versuchen die Spuren Gottes in meinem Leben zu entdecken. Glauben heißt für mich, Gott dem letzten Grund meines Lebens, dankbar zu sein und aus Dankbarkeit heraus zu leben.

Musik 5: David Garrett, Classic Romance, Zigeunerweisen 3, Allegro molto vivace, 1:49

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