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Die Sehnsucht nach dem Erlöser
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Die Sehnsucht nach dem Erlöser

Dr. Joachim Schmidt
Ein Beitrag von Dr. Joachim Schmidt, Evangelischer Pfarrer, Darmstadt
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Autor: Pfarrer Dr. Joachim Schmidt, Sprecher der Zitate: Bastian Korff

Vermutlich spielt die Geschichte vor Jahrtausenden, vielleicht irgendwo in der grenzenlosen Weite einer Wüste, ein Stück abseits uralter Karawanenwege. Eine Geiselnahme, vielleicht als Räuber eine Gruppe von Kaufleuten überfallen. Die Geiseln werden verschleppt, in ein verschwiegenes Tal oder eine Höhle. Es geht um Lösegeld, soviel ist klar. Das Leben der Gefangenen hat einen hohen Preis. Wenn sie überleben sollen, muss jemand zahlen. Sie hoffen und bangen, dass es diesen Jemand gibt.

Die Geiseln kommen frei

Man muss keine Krimis gelesen oder Abenteuerfilme gesehen haben, um sich die entsetzliche Situation vorzustellen. Für die Geiseln vergehen Wochen voller Ungewissheit. Aber irgendwann funktioniert die Erpressung, jemand bezahlt das Lösegeld, die Geiseln kommen frei. Und wahrscheinlich suchen sie als erstes den, der sie gerettet hat. Der ihnen das Leben neu geschenkt hat. Ihren Erlöser.

Die Geschichte verschwindet, ein Wort beleibt: "Erlöser"

Wir Menschen denken am liebsten in Bildern. Oder besser: In Geschichten, die Bilder im Kopf entstehen lassen. Manchmal werden dann die Bilder zu einem einzigen Wort. Die Geschichte verschwindet, das Wort bleibt übrig, und keiner käme mehr auf die Idee, die Geschichte dahinter zu erzählen. "Erlöser" ist so ein Wort.

Ein Narrativ

Schon lange hat sich das Wort Erlöser von der Erinnerung an eine Geiselgeschichte gelöst. In der Tradition des jüdischen Glaubens steht es für den verheißenen Messias und im Christentum ganz ähnlich für die Macht Jesu, uns Menschen am Ende des Lebens vor dem ewigen Tod zu erretten. Ein Narrativ, würde man heute vielleicht dazu sagen.

Eine positive Hoffnung oder die Sehnsucht nach einem starken Führer

Ursprünglich eine positive Hoffnung: Irgendwann einmal wird Gott das Leben zu einem guten Ziel bringen. Doch so, wie die Menschen nun einmal sind, haben sie diese uralte Hoffnung der Juden und der Christen in ihr Gegenteil verkehrt. Deshalb hat die Erwartung eines endzeitlichen Erlösers für mich auch eine tief dunkle Kehrseite: Die Sehnsucht, ein starker Führer möge das komplizierte Leben endlich einfacher machen. Mir scheint, dass diese Sehnsucht in vielen Teilen der Welt gerade wieder stärker wird, auch bei uns in Deutschland. Die Krisen der letzten Jahre haben jenen Auftrieb gegeben, die schon immer behauptet haben, einfache Antworten auf komplizierte Fragen zu haben. Darüber denke ich heute Morgen nach. Denn morgen ist der Tag der Deutschen Einheit.

Musik: Ernst Bloch, Suite Hebraique - III. Affirmation: Maestoso   

Mose steigt auf den Berg Sinai                              

Weit vorne in der Bibel, im zweiten Buch Mose, gibt es eine merkwürdige Geschichte. Mose führt das biblische Volk Israel aus der Knechtschaft in Ägypten. Nun befinden sich die Israeliten auf dem langen Marsch in das gelobte Land, das Gott ihnen verheißen hat. Bei dem Berg Sinai verlässt Mose seine Leute und steigt hinauf, um Gott nahe zu sein. Das Kommando überlässt er für diese Zeit seinem älteren Bruder Aaron. Und hier setzt nun die Geschichte ein:

Als aber das Volk sah, dass Mose ausblieb und nicht wieder von dem Berge zurückkam, sammelte es sich gegen Aaron und sprach zu ihm: Auf, mach uns einen Gott, der vor uns hergehe! Denn wir wissen nicht, was diesem Mann Mose widerfahren ist, der uns aus Ägyptenland geführt hat.Aaron sprach zu ihnen: Reißt ab die goldenen Ohrringe an den Ohren eurer Frauen, eurer Söhne und eurer Töchter und bringt sie zu mir.Da riss alles Volk sich die goldenen Ohrringe von den Ohren und brachte sie zu Aaron.
Und er nahm sie von ihren Händen und bildete das Gold in einer Form und machte ein gegossenes Kalb. Und sie sprachen: Das sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführt haben!
Als das Aaron sah, baute er einen Altar vor ihm und ließ ausrufen und sprach: Morgen ist des HERRN Fest. (2. Mose 32,1-6)

Der Tanz um das Goldene Kalb

Diese Geschichte aus der Bibel ist sprichwörtlich geworden: der Tanz ums Goldene Kalb. Sie wird meist einfach als blinde Verehrung von Geld und Reichtum verstanden. Ich meine, es gibt noch eine viel tiefer liegende Ebene. Denn getanzt wurde ja ziemlich sicher nicht um ein harmloses Kalb, sondern um das Abbild eines jungen Stieres. Die Israeliten waren lange in Ägypten gewesen. Dort kannte jedes Kind den heiligen Apis-Stier. In der Götterwelt der Ägypter war Apis der Inbegriff männlicher Potenz, stark, fruchtbar und unbegrenzt zeugungsfähig. So einen Gott wollten die Israeliten auf ihrem Weg durch die Wüste auch haben. Sie träumten von dem einen mächtigen Anführer, einem Erlöser aus der Not des Lebens.

Mose stellt die alte Ordnung wieder her

Bald nach dem orgiastischen Apis-Fest kehrte Mose vom heiligen Berg Sinai zurück, so steht es in der Bibel. Er beendete den Stierkult schnell und blutig und stellte die alte Ordnung wieder her. Denn mit den damals gängigen Fruchtbarkeitsreligionen des Vorderen Orients wollte der Gott Israels nichts zu tun haben. Vielmehr glaubte man an den einen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und an Gottes allumfassende Liebe zu seiner Schöpfung. In der Geschichte Israels blieb aber die Episode mit dem Goldenen Kalb als ernste Mahnung erhalten: Wir alle sind schnell verführbar, wenn man uns nur einen machtvollen Erlöser verspricht.

Musik: Ernst Bloch, Suite Hebraique  II. Processional: Andante Con Moto   

Die Psalmen: Lieder und Gebete gegen den Frust einer trostlosen Gegenwart

Nirgends in der Bibel erscheint das Bild von der Erlösung so oft wie in den Psalmen, dem Lieder- und Gebetbuch des jüdischen Volkes und später auch der Christen. Oft genug wurden diese Texte fast trotzig gegen den Augenschein in einer trostlosen Gegenwart gesungen und gebetet. So steht zum Beispiel im Psalm 130:

Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen …. Hoffe Israel auf den HERRN! Denn bei dem HERRN ist die Gnade und viel Erlösung bei ihm.Und er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.

Das jüdische Volk lebt lange unter fremder Besatzung

Wer einmal eine Nacht durchwacht hat, kennt das: Wie quälend langsam die Stunden vergehen und wie man auf den neuen Morgen, das Licht nach der Dunkelheit wartet, wenn mit dem Tag das Leben wieder neu beginnt. Aber Geduld ist gefragt. Das Morgenlicht lässt sich nicht erzwingen. Das hat das biblische Israel in seiner Geschichte viele Jahrhunderte lang erfahren müssen. Die Königreiche Davids und Salomos und die beiden folgenden Kleinstaaten Israel und Juda hatten jeweils nur sehr kurze Blütezeiten. Sie haben nicht lange bestanden. Die übermächtigen Nachbarn Babylon, Assur, Ägypten und wie sie alle hießen, waren militärisch und politisch jedes Mal stärker. Bis zur Zeit Jesu lebten die Juden unter fremden Besatzern.

Die Hoffnung auf einen künftigen Messias wächst

Lange Zeit war wenig von Erlösung zu sehen. Da entstand die Hoffnung auf einen künftigen Messias. Messias bedeutet aus dem Hebräischen übersetzt Gesalbter. Eines Tages, erzählte man sich, würde er erscheinen und endlich den Willen Gottes auf Erden verwirklichen, die Not Israels beenden. Dann würde er ein Reich der Gerechtigkeit und der Freiheit aufrichten, und alle Welt würde die Herrlichkeit Gottes sehen.

Jesus verkündet das nahe Reich Gottes und wird hingerichtet

Jahrhunderte später zog Jesus von Nazareth durch das jüdische Land und verkündete, das Reich Gottes sei nahe herbeigekommen. Seine Anhänger sahen in ihm den erhofften Messias. Das führte zu schweren Konflikten mit der amtlichen Priesterschaft in Jerusalem. Durch allerlei Intrigen überzeugten die Frommen die römischen Besatzer, dass dieser Jesus am Kreuz hingerichtet werden müsse. Und so geschah es. Wieder eine Hoffnung weniger, so schien es.

Jesus hat dem Tod die Macht genommen

Aber schon nach wenigen Tagen begannen sich die verstörten Jünger zu erzählen: Jesus ist nicht im Grab geblieben, sondern ins Leben zurückgekehrt, auferstanden von den Toten. Viele bezeugten, sie hätten ihn gesehen und mit ihm gesprochen. Der Glaube breitete sich aus, die erste Christengemeinde entstand. Seitdem lautet das uralte Bekenntnis der Christen: Durch seinen Tod und seine Auferstehung hat Jesus Christus dem Tod die Macht genommen.

Ein Machtkampf und Christus ist der Sieger

Wie beim Wort Erlösung steckt auch hinter diesem Bekenntnis ein Bild. Es ist das Bild eines Machtkampfes. Zwei Starke ringen miteinander, und einer nimmt dem anderen am Ende all seine Macht. Die Geschichte des Christentums ist voll theologischer und künstlerischer Versuche, sich diesen Kampf plastisch auszumalen, wo am Ende Christus der Sieger über den Tod bleibt – und mit ihm alle, die an ihn glauben. In dem evangelischen Kirchenlied „Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude“ aus dem 18. Jahrhundert heißt es denn auch dramatisch:

Jesus ist kommen, der starke Erlöser,
bricht dem gewappneten Starken ins Haus,
sprenget des Feindes befestigte Schlösser,
führt die Gefangenen siegend heraus.
Fühlst du den Stärkeren, Satan, du Böser?
Jesus ist kommen, der starke Erlöser.

Jesus ein unbesiegbarer Kriegsheld

In Liedern wie diesem haben sich die Christen den Sieg des Guten über das Böse, Gottes über den Teufel, ausgemalt. Ganze Schlachtengemälde stehen zu diesem Thema heute noch in den Gesangbüchern, besonders in den evangelischen. Da ist dann aus Jesus, dem armen Wanderprediger in Palästina, der die Liebe und das Erbarmen Gottes verkündigte, auf wundersame Weise ein unbesiegbarer Kriegsheld geworden.

Im Namen Gottes gegen das Böse kämpfen

Der Gedanke, Christus der Erlöser sei geradezu eine Super-Waffe, ist schon sehr früh in der Geschichte des Christentums entstanden. Das war im vierten Jahrhundert zu der Zeit, als der christliche Glaube die privilegierte Religion im Römischen Reich wurde. Da soll der römische Kaiser Konstantin vor einer entscheidenden Schlacht ein Kreuzeszeichen am Himmel gesehen und die Worte gehört haben: „In diesem Zeichen wirst du siegen!“ Eine fromme Legende, vermutlich. Aber im gleichen Geist stand später jahrhundertelang auf den Koppelschlössern deutscher Soldaten „Gott mit uns“. Wobei im christlichen Abendland Europa immer alle Kriegsparteien genau das Gleiche für sich auch in Anspruch nahmen. Klar war: Wir sind die Guten und kämpfen gegen die Bösen und Gott ist auf unserer Seite.

Musik: Kurt Atterberg, Suite No. 7 (Incidental music to Shakespeare's Antony & Cleopatra) - IV. Doloroso    

Zuviel Krisen auf einmal

Vielleicht ist das ja alles ein bisschen viel gewesen. Die letzten drei schwierigen Jahre mit Corona und überlastetem Gesundheitssystem, mit Krieg in der Ukraine und Inflation, mit Klimakrise und hoch schießenden Energie- und Lebenshaltungskosten und jetzt der Sorge vor einem kalten Winter mit zu wenig Gas und Strom. Könnte die Welt bitte nicht etwas weniger kompliziert sein? Und könnte nicht bitte jemand kommen, der von einer höheren Warte aus mit tieferer Erkenntnis das Chaos der vielen, sich täglich widersprechenden und durcheinanderschreienden Stimmen für uns ordnet? Einer mit Durchblick und Durchgriff? Der auf Anhieb das Richtige tut und keine Kompromisse machen muss, wie ständig unsere Politiker? Einfach – ein Erlöser eben?

Für oder gegen die Erlösung?

Der Traum von einer einfachen Welt mit einem starken Erlöser an der Spitze war schon immer verführerisch. Alle Diktatoren der Welt haben ihn zu allen Zeiten geträumt. Denn dann gibt es ja nur noch zwei klare Möglichkeiten: Für oder gegen, Erlösung oder Verdammnis, Ja oder Nein, Hell oder Dunkel, Gut oder Böse, Freund oder Feind. Nicht so anstrengend und kompliziert wie das normale Leben um uns herum mit seinen vielen Problemen und Meinungen, nein: Leicht zu verstehen und einfach zu ordnen. Für sehr viele Menschen ist das wohl hoch attraktiv. In Deutschland hatten wir das schon mal während der Diktatur der Nationalsozialisten in den dunklen braunen zwölf Jahren. Heute können die Menschen in Russland ein Lied davon singen, wie das geht, und auch in China und in vielen anderen Ländern, bei denen der eine oder eine Clique ganz da oben sich als eine Art Erlöser ihres Volkes sieht und deshalb grenzenlose Macht beansprucht.

Die stabile Welt mit dem großen Erlöser an der Spitze ist reines Wunschdenken

Doch es ist ein furchtbares, dunkles Zerrbild von Erlösung. Denn da wird eben niemand befreit zu einem selbstbestimmten, menschenfreundlichen, zuversichtlichen Leben, sondern gefangen, und die Fesseln werden immer stärker angezogen. Das funktioniert erstaunlich oft, eben weil viele Menschen ihre Welt möglichst einfach haben möchten: So, wie man es gewohnt ist, wie sie schon immer war und wie sie sich bitte nicht ändern soll. Aber die Welt bleibt nicht stehen, die Geschichte geht weiter. Es gibt ständig neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Ständig ändern sich die Verhältnisse. Die stabile Welt mit dem großen Erlöser an der Spitze ist reines Wunschdenken. Wer sich dem verschreibt, wird zu einer Geisel seiner eigenen Bequemlichkeit. Und ein Erlöser aus Denkfaulheit muss erst noch gefunden werden.

Hitler hatte kurz vor der Machtergreifung eine besonders religiöse Sprache

Aber angesichts der riesigen Probleme, vor denen die Welt steht, scheint im Gegenteil vielerorts die Sehnsucht nach Erlösern dieser Art gerade wieder zu wachsen. Wir in Deutschland sollten uns daran gegenseitig immer wieder erinnern, wenn von Ewiggestrigen und Querdenkern scheinbar einfache Lösungen für komplizierte Fragen propagiert werden, auch wenn sie manchmal fromm daher kommen. Auch Hitler hat sich in den letzten Monaten vor der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 bei seinen Reden einer besonders religiös dekorierten Sprache bedient, bis hin zu unverhohlenen Anleihen beim christlichen Glaubensbekenntnis oder beim Vaterunser. Das heißt gar nichts.

Die russisch-orthodoxe Kirche deckt momentan die mörderischen Absichten Putins

Diese Art religiöser Verbrämung mörderischer Absichten betreibt derzeit auch die Leitung der russisch-orthodoxen Kirche angesichts des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine. Auf der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen Ende August in Karlsruhe hat Bundespräsident Steinmeier das einen „schlimmen, ja geradezu glaubensfeindlichen und blasphemischen Irrweg" genannt. Und er sagte weiter: „Dieser Nationalismus, der willkürlich Gottes Willen für die imperialen Herrschaftsträume einer Diktatur in Anspruch nimmt, muss unseren Widerspruch finden.“ Ich finde, dem ist wenig hinzuzufügen.

Der christliche Glaube, die Hoffnung der Christen auf ein gutes Ende des Lebens durch Gottes allmächtige Gnade, zeigt hier eine rabenschwarze Kehrseite. Wenn Kriegstreiber sich selbst zynisch als Opfer darstellen oder wahlweise als die, die ein Land von den Bösen erlösen, wenn Gewalt kirchenamtlich gerechtfertigt und gesegnet wird, wenn Hass und Hetze die Köpfe und Herzen mit dem Trommelfeuer einer allgegenwärtigen Propaganda betäuben, dann sollten Christen sich abwenden. Da mag Putin sich noch so oft bekreuzigt haben.

Musik: Ernst Bloch, Suite Hebraique - I. Rapsodie: Andante Moderato 

Für einige war die Wiedervereinigung Deutschland nicht die erhoffte Erlösung

Der Tanz um das Goldene Kalb: So nannten damals nach der Wende manche oberschlauen Wessis herablassend den Wunsch vieler DDR-Bürger nach jenen Freiheiten, die den Bundesbürgern seit Jahrzehnten völlig selbstverständlich waren. Jetzt wollten, sagte man, die Ossis endlich mal alles selber sehen, was sie bisher nur aus dem West-Werbefernsehen gekannt hätten. Der gleiche, herablassende Geist bestimmte dann auch die schmerzhaften wirtschaftlichen und politischen Prozesse nach der Wiedervereinigung. Nur langsam verheilen bei vielen Menschen in den östlichen Bundesländern die Wunden, die damals geschlagen wurden. Für sie war die Wiedervereinigung nicht die erhoffte Erlösung, ganz im Gegenteil. Und die „blühenden Landschaften“, die Helmut Kohl versprochen hatte, ließen lange auf sich warten. Erst jetzt, mehr als 30 Jahre später, nähern sich Löhne und Renten in Ost und West endlich spürbar einander an.

Hoffnung auf den politischen Erlöser: Er soll einfache Antworten auf komplizierte Fragen geben

Das mag ein Grund sein, warum die Verachtung für eine freiheitliche, aber leider anstrengende Demokratie und die Sehnsucht nach radikalen politischen Lösungen in den östlichen Bundesländern heute stärker ausgeprägt sind als in den westlichen. Aber auch im Westen zeigt sich, offen oder verdeckt, immer wieder rechtsradikales Gedankengut. Der alte braune Ungeist lebt weiter: Die dumpfe Hoffnung auf den politischen Erlöser, der einfache Antworten auf die komplizierten Fragen des Lebens hat und die Seinen endlich in eine bessere Zukunft führt.

Christen leben gewissermaßen in einer Zwischenzeit

Ja, diese Welt sucht nach Erlösung, aber sie ist noch nicht erlöst. Das Leben ist nicht einfach, sondern unüberschaubar vielfältig. Das wird so bleiben, und auch bei bestem Willen ist die Erkenntnis von heute vielleicht morgen schon die nächste Dummheit. Christen leben gewissermaßen in einer Zwischenzeit: Erlöst im Geist des Glaubens und zugleich als irdische Menschen in den Dunkelheiten dieser Welt. Simul iustus et peccator, Gerechter und Sünder zugleich, hat Martin Luther diese merkwürdige Doppelexistenz einmal genannt.

"Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet"

Vor fast zweitausend Jahren schrieb der Apostel Paulus an die Christen in Rom: Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. Es klingt so harmlos, doch Hoffnung, Geduld und Gebet sind stille, aber wirksame Kräfte, auch gegen Hass, Hetze und Gewalt. Noch sind wir in dieser Welt nicht erlöst.

Musik: Ernst Bloch, From Jewish Life - 1. Prayer                                     

 

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