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Liebe ist nachhaltige Energie
Bild: congerdesign

Liebe ist nachhaltige Energie

Helmut Schlegel
Ein Beitrag von Helmut Schlegel, Franziskanerpater, Exerzitienbegleiter und Geistlicher Begleiter, Frankfurt
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Wie verrückt ist das denn! Einerseits die bange Frage: Haben wir genug Energiereserven? Können wir im Winter unsere Wohnungen heizen und unsere Tankrechnungen bezahlen? Kann die Wirtschaft die Industrieanlagen am Laufen halten? Andererseits weiß jedes Kind: Wir müssen uns so schnell wie möglich von den fossilen Energieträgern Gas, Öl und Kohle verabschieden. Es geht um das Überleben unseres Planeten.

Langsam entdecken wir: Wir haben nur diese Erde

Ich weiß: Meine Aufgabe in einer katholischen Morgenfeier ist es nicht, ein pessimistisches Zukunftsbild zu malen. Meine Aufgabe ist es, die Frohe Botschaft zu verkünden. Sie dürfen zurecht ein aufmunterndes, tröstendes Wort erwarten. Genau das ist auch meine Absicht. Tatsächlich haben Energie- und Klimakrise auch eine Kehrseite. In unseren Gesellschaften wächst ein neues Bewusstsein. Wir entdecken: Unsere Schöpfung ist ein großartiges Gut. Unsere Erde ist die einzige, die wir haben. Darum müssen wir mit allen Kräften für ihre Gesundung kämpfen. Mehr und mehr Menschen machen sich auf den Weg. Sie kaufen umweltbewusst ein, sie stellen ihre Fahrzeuge auf Elektromobilität um. Sie planen Urlaub im Nahbereich.

Einblicke in das Universum, die die Menschheit noch nie zuvor hatte

Mir selbst ist vor wenigen Wochen wieder einmal die Größe und das Wunder der Natur vor Augen geführt geworden. Die US-Raumfahrtbehörde NASA präsentierte die neuesten Bilder aus dem Universum, aufgenommen vom James-Webb-Teleskop, das vor einem halben Jahr in den Weltraum gestartet war. NASA-Chef Bill Nelson sagte dazu: „Jedes Bild ist eine neue Entdeckung, und jedes gibt der Menschheit einen Einblick in das Universum, den sie noch nie zuvor gehabt hat“. Gleichzeitig machen die Wissenschaftler deutlich: Was die moderne Astronomie bisher entdeckt, ist nur ein winziger Bruchteil des riesigen Universums. Aber schon das ist überwältigend. Gleiches gilt für die Vielfalt des Lebens auf unserer Erde. Allein schon der Anblick einer winzigen Amöbe im Mikroskop ist faszinierend. Im Psalm 139 der Bibel heißt es „Ich weiß es genau: Wunderbar sind deine Werke, Gott“. (Psalm 139,14) Ich kann dem nur zustimmen.

Musik 1: J.S. Bach, Triosonate G-Dur BWV 1039, Presto (CD: J.S. Bach, Trio Sonatas (für Flöten und Cembalo), Ars Produktion 2020, Kaspar Zehnder/Ana Olltean/Vital Julian Frey, Nr. 4, 0:00 – ca. 1:30)

Öl hatte schon zu biblischen Zeiten eine besondere Bedeutung

In der Bibel ist von den modernen Energieträgern keine Rede. Allerdings kommt das Wort „Öl“ nicht weniger als 176-mal dort vor. Schon vor Jahrtausenden haben Menschen begonnen, Öle zu benutzen – das Pflanzenöl als Nahrungsmittel und als Salböl, das Erd- oder Steinöl als Brennstoff oder – vermischt mit Kalk – als Material zum Abdichten der Schiffe. Seit Urzeiten haben die Religionen Öl zu kultischen Zwecken gebraucht. Dem Öl wurde eine spirituelle Kraft zugeschrieben. Das ist bis heute so. In der Bibel wird beispielsweise erzählt, wie der Hirtenjunge David von der Viehherde weg geholt und dann im Kreis seiner Familie vom Propheten Samuel zum König gesalbt wurde. Auch Propheten und Priester wurden durch eine heilige Salbung in ihren Dienst eingeführt. Und nicht zu vergessen: das hebräische Wort „Messias“ bedeutet „der Gesalbte“. Die junge christliche Gemeinde bekannte Jesus als den von Gott gesandten Messias.

Eine Frau salbte Jesus mit kostbarem Öl

Auffällig ist: Alle vier Evangelisten erzählen die Geschichte von der Salbung Jesu. Er war zu einem Gastmahl eingeladen. Während des Essens kam unaufgefordert eine Frau ins Haus des Gastgebers. Sie ließ sich vor Jesus nieder, öffnete ein Alabasterfläschchen und träufelte Öl auf sein Haupt. Der Evangelist Markus betont eigens: Es war Nardenöl. Das ist ein sehr kostbarer Duftstoff, gewonnen aus den Wurzeln und Stängeln der Narde, einer Pflanze, die an den 4000 m hohen Hängen des Himalaja-Gebirges wächst. Kein Wunder, dass es so teuer war: 300 Denare für ein kleines Fläschchen. Dass die Evangelien diese Geschichte so ausführlich erzählen, hat seinen Grund. Es geht um die Salbung des Messias. Wohlgemerkt: Es ist eine Frau, die Jesus salbt. Was für ein Zeichen! Es müsste denen zu denken geben, die noch heute in der katholischen Kirche die Frauenordination ablehnen.

Bereits damals meldete sich Widerspruch

Aber schon damals meldete sich Widerspruch. Markus erzählt, wie der Gastgeber und die geladenen Gäste entsetzt reagieren:

„Wozu diese Verschwendung? Man hätte das Öl um mehr als dreihundert Denare verkaufen und das Geld den Armen geben können. Und sie fuhren die Frau heftig an. Jesus aber sagte: Hört auf! Warum lasst ihr sie nicht in Ruhe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn die Armen habt ihr immer bei euch und ihr könnt ihnen Gutes tun, sooft ihr wollt; mich aber habt ihr nicht immer. Sie hat getan, was sie konnte. Sie hat im Voraus meinen Leib für das Begräbnis gesalbt. Amen, ich sage euch: Auf der ganzen Welt, wo das Evangelium verkündet wird, wird man auch erzählen, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis. (Markus-Evangelium 14, 4b-9)

Eine tiefe, salbungsvolle und heilsame Erfahrung

Welch tiefe Erfahrung es sein kann, einen Menschen mit Öl zu salben oder selbst gesalbt zu werden, ist mir bei einem Gruppengottesdienst am Ende eines Seminars deutlich geworden. Das Seminar hatte das Thema „Heilung und Versöhnung“. Beim Gottesdienst lasen wir diese Geschichte von der Salbung Jesu. Die Lesung wurde immer wieder von Zeiten der Stille und Meditation unterbrochen. Die anschließende Predigt bestand darin, dass je zwei einander mit wohlriechendem Öl in Stille die Handflächen eingerieben haben. Eine sehr dichte Atmosphäre war im Raum, nicht nur durch den Duft bedingt, sondern durch die heilende und heilsame Kraft der Berührung.

Musik 2: J.S. Bach, Triosonate C-Dur BWV 1037, Adagio (CD: J.S. Bach, Trio Sonatas (für Flöten und Cembalo), Ars Produktion 2020, Kaspar Zehnder/Ana Olltean/Vital Julian Frey, Nr. 5, 0:00 – 1:14 oder bis 1:35)

Öllampen erleuchteten Häuser und Tempel zu biblischen Zeiten

Öl als Brennstoff hat eine lange Geschichte. Um auch am Abend oder in frühen Morgenstunden in den Häusern leben und arbeiten zu können, wurden in biblischen Zeiten Öllampen angezündet. Ebenso damals im Tempel und in anderen Gebetshäusern.

Seid wachsam und vorbereitet

Im Matthäus-Evangelium steht die folgende „Brennstoff“-Geschichte. Jesus spricht wie so oft, wenn er von Gottes Reich spricht, in Bildern. Hier schildert er das Himmelreich als eine Hochzeit und erzählt von den zehn jungen Frauen: Sie haben den Auftrag, dem Bräutigam bei Nacht entgegenzugehen und ihm abzuholen. Alle zehn nehmen ihre Lampen mit, allerdings haben nur fünf von ihnen so viel Öl, dass es für die ganze Nacht reicht. Mitten in der Nacht ertönt dann der Ruf: Der Bräutigam kommt! Weiter erzählt Matthäus:

Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus. Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder für uns noch für euch; geht doch zu den Händlern und kauft, was ihr braucht. Während sie noch unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal, und die Tür wurde zugeschlossen. Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf! Er aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde. (Matthäus-Evangelium 25,1-13)

Spart nicht mit der Liebe

Was Jesus da sagt, stellt mir einige Fragen: Ist denn Klugheit eine Zulassungsbedingung für das Himmelreich? An anderer Stelle sagt Jesus, Gott habe sein Reich den Klugen verborgen. Ich glaube, es ist verkehrt, diese Geschichte wörtlich zu verstehen. Auch hier finde ich den Schlüssel zum Verständnis in dem kleinen Wort „Öl“. Ähnlich wie in der Geschichte der Salbung Jesu steht es als Symbol für die Liebe. „Seid also wachsam!“ sagt Jesus. Also: Seid ganz präsent, wenn euch eure Mitmenschen brauchen. Macht es so wie die fünf klugen Mädchen: Spart nicht an der Liebe!

Musik 3: J.S. Bach, Triosonate C-Dur BWV 1037, Alla breve(CD: J.S. Bach, Trio Sonatas (für Flöten und Cembalo), Ars Produktion 2020, Kaspar Zehnder/Ana Olltean/Vital Julian Frey, Nr. 6, 0:00 – 1:26)

Mit der Liebe dürfen wir verschwenderisch umgehen

Spart nicht an der Liebe! Auf diese gemeinsame Formel möchte ich die beiden Geschichten bringen - jene von der Salbung Jesu durch eine Frau und jene von den zehn jungen Frauen, die nachts den Bräutigam abholen sollen. Beide Male steht das Öl für die Liebe. Mit der Liebe dürfen wir verschwenderisch umgehen wie die Frau, die Jesus mit dem kostbarsten Öl salbt. Und wir sollen mit der Liebe nicht sparen – so wie es die klugen Frauen im Gleichnis tun.

Mit den realen Brennstoffen sollten wir sehr sparsam sein

Heute ist das mit den realen Brennstoffen ganz anders. Heute ist es ein Zeichen von Solidarität, wenn wir Öl und Gas sparen. Die Verbrennung von Erdgas, Erdöl und Kohle setzt gewaltige Mengen von Treibhausgasen frei, eine der Hauptursachen für die Erderwärmung. Noch besteht die Chance, dass wir eine der größten Katastrophe unseres Planeten verhindern. Vorausgesetzt, dass wir alle unser Konsumverhalten verändern und unseren Energieverbrauch umstellen.

Die frohe Botschaft: Wir haben Alternativen zur „Todesenergie“

Öl gehört zu den fossilen Energien. Es wird aus abgestorbenem Biomaterial gewonnen. Tief in unserer Erde lagern die Reste von toten Pflanzen und Tieren, die sich im Lauf der Jahrmillionen zu energiehaltigen Stoffen zersetzt haben. So wichtig und lebensnotwendig Öl einmal gewesen sein mag, heute erweist es sich - genau besehen - geradezu als Todesenergie. Im Gegensatz dazu stehen die erneuerbaren Energien. Sie wachsen nach und belasten das Ökosystem der Erde nicht. Das ist eine Frohe Botschaft: Wir haben Alternativen. Es gibt praktikable Wege, den Energieverbrauch in Haushalt, Verkehr und Wirtschaft umzustellen. Viele, vor allem junge Menschen, drängen zu Recht darauf, dass wir diese Umstellung schneller und entschiedener vorantreiben.

Musik 4: J.S. Bach, Sinfonia 13 a-Moll BWV 799, Intermezzo I (CD: J.S. Bach, Trio Sonatas (für Flöten und Cembalo), Ars Produktion 2020, Kaspar Zehnder/Ana Olltean/Vital Julian Frey, Nr. 9, komplett / 1:30)

Kopf und Herz frei machen für neue Erfahrungen

Ich finde, auch im geistigen, sozialen und spirituellen Leben ist die Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energien geboten. Abgestorbene Altbestände – ich schleppe eine Menge davon mit mir herum. In meinem Kopf und in meinem Herzen. Ich denke zum Beispiel an mein Sozialverhalten. Da sind Erfahrungen, die ich vor langer Zeit mit diesem oder jenem Menschen gemacht habe. Bis heute belasten sie mich. Und sie behindern mich, neue Erfahrungen zu machen.

Mut und Neugier, weiter zu lernen

Ähnliches gilt für meinen Arbeitsstil. Manchmal stelle ich erschrocken fest: Mein Mut, mich auf Neues einzulassen, hat nachgelassen. Und auch meine Neugier. Ich zehre in vielen Bereichen vom dem, was ich mir früher angeeignet habe an Lernstoff, Fähigkeiten, Wissen. Da bewundere ich einen meiner Mitbrüder, der sich mit fast 90 Jahren ein Tablet zum Geburtstag gewünscht hat. Er meinte: „Ich bin ja nicht mehr so mobil wir früher, aber mit diesem Gerät kann ich meinen Geist lebendig halten. Ich bleibe in Verbindung und das hält mich jung und“.

Auch die Altbestände meines Glaubens sollen mit nicht bremsen

Selbst in meinem Glaubensleben finde ich fossile Reste. Mitunter denke ich an meine Kindheit zurück. Aufgewachsen in einem oberschwäbischen Dorf, hat mich ein festes religiöses Umfeld sozialisiert. An vieles erinnere ich mich sehr gerne: an Prozessionen und Wallfahrten, an bewegende Weihnachtsgottesdienste und an die feierliche Osternacht. Ich weiß aber auch: So wenig wie mir die Schuhe des 12-jährigen Jungen heute noch passen, so wenig kann ich aus den Altbeständen meines Glaubens leben.

Denn auch die Kirche braucht dringend neue Energien

So hat mir in meiner Studienzeit der Aufbruch des II. Vatikanischen Konzils gut getan. Damals haben Papst und Bischöfe dazu ermuntert, Neues zu wagen. Heute erlebe ich in der Kirche eher Müdigkeit, Angst und Festhalten am Alten. Die Art und Weise, wie erst kürzlich der Vatikan auf den Synodalen Weg der Katholischen Kirche in Deutschland reagiert hat, ist enttäuschend und verletzend. Da heißt es, die deutsche Kirche habe keine Befugnis, Lehre, Moral und Leitung für Bischöfe und Gläubige verpflichtend zu ändern. Tatsächlich geht es den Reformern gar nicht darum, Lehre und Moral zu ändern, sondern Strukturen und Praxisregelungen….Die Kirche braucht dringend neue Energien.Im Grunde haben wir ja genug davon, man denke an die vielen sprudelnden Quellen der Mystik und Spiritualität. Wir müssen sie nur nutzen.

Jesus setzte sich über Altes hinweg und schöpft aus dem Lebendigen

Mich ermutigt der Blick auf Jesus. Ihm wurden immer wieder heftige Vorwürfe gemacht: Zersetzung des Gesetzes und der Sitten. Mangelnder Respekt vor der althergebrachten Glaubenssubstanz. Aber Jesus lässt sich nicht irritieren. Er schöpft aus einer tiefen geistlichen Quelle, sie bestimmt all sein Denken und Tun. Er nennt sie ABBA. Mutter und Vater des Seins. Urgrund alles Lebendigen. Jesus weiß um den Namen, den Gott uns geoffenbart hat: „Ich bin, der ich bin“. Oder auch „Ich bin, der ich sein werde“. In Gott fallen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eins zusammen. Er ist ewige Gegenwart. Regenerative Energie, die die mir immer wieder neue Energie gibt.

Musik 5: J.S. Bach, Triosonate D-Moll BWV 1036, Allegro (CD: J.S. Bach, Trio Sonatas (für Flöten und Cembalo), Ars Produktion 2020, Kaspar Zehnder/Ana Olltean/Vital Julian Frey, Nr. 11, 0:00 – 1:20)

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