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Fronleichnam: Im Alltäglichen das Besondere sehen
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Fronleichnam: Im Alltäglichen das Besondere sehen

Stefan Wanske
Ein Beitrag von Stefan Wanske, katholischer Pfarrvikar im Pastoralraum Gießen-Stadt
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Heute ist Fronleichnam. Ein Fest, bei dem für mich jedes Jahr schöne Erinnerungen an zu Hause in Buseck wachwerden, wo ich aufgewachsen bin.

Los ging es morgens früh auf dem Schulhof

Dort, in Buseck bei Gießen, fing zu meiner Schulzeit, so vor dreißig Jahren, der Fronleichnamstag für uns von der katholischen Jugend auf dem Dorf äußerst zeitig an. Der Gottesdienst fand draußen statt, auf dem Schulhof, nicht wie sonst in der Kirche. Wer immer helfen konnte, kam schon morgens um halb sechs zum Aufbauen. Bänke und Stühle waren zu stellen, der Altar und die Mikrofonanlage aufzubauen und der Schulhof samt der Straße zur Kirche zu schmücken.

Ein Blumenteppich und Fahnen zierten Kirche und Straßen

Vor dem Kircheneingang wurde ein Blumenteppich gelegt, an manchen Häusern wurden Fahnen rausgehängt, die Feuerwehr hat nicht nur die Straße abgesperrt, sondern später auch mit ihrer Blaskapelle im Gottesdienst gespielt.

Für uns ist Jesus Christus in diesem Brot gegenwärtig

Nach all dem Aufbau und Schmücken haben wir dann den festlichen Gottesdienst gefeiert. Dann kam die Fronleichnamsprozession: Eines der flachen Brote aus der Eucharistie, dem Abendmahl, wurde in ein kostbares Schaugefäß, eine Monstranz, eingesetzt und in einer feierlichen Prozession vom Schulhof zurück zur Kirche begleitet. Für katholische Christen ist Jesus Christus selbst in diesem Brot gegenwärtig. Es ist der „Leib des Herrn“, und das bedeutet auch das Wort „Fronleichnam“.

Weihrauch und Blasmusik statt Verkehrstreiben

Der Weg ging vorbei an dem kleinen Bekleidungsgeschäft und der Drogerie, am Blumenladen, an der Post und an der Sparkasse. Wo sonst Geschäftsbetrieb und Alltagsbegegnung waren, wo man sonst einkaufte, und für einen längeren oder kürzeren Schwatz stehenblieb, wo sich sonst Autos und LKWs durchs Dorf quetschten, da war an diesem Tag plötzlich Kirche, da waberte Weihrauch, und die Feuerwehrkapelle spielte. Man merkte sofort: Das ist ein hohes Fest für die katholischen Christen. Ich möchte heute in dieser Morgenfeier diesem Fest nachgehen. Manches am äußeren kirchlichen Fronleichnamsbrauchtum mag heute oft seltsam aus der Zeit gefallen erscheinen. – Die Innenseite und die Botschaft dieses Festes, die sind so wichtig wie eh und je.

Musik 1: Jean-Baptiste Senaillé, Allegro spiritoso; CD: Maurice André / Jane Parker-Smith / Alfred Mitterhofer / Hedwig Bilgram: „Trumpet & Organ“, Label Warner Classics (50999 6 36560 2 2), Track 09

Fronleichnam – gar nicht so leicht zu erkennen

Auf den ersten Blick ist es an Fronleichnam gar nicht so leicht zu erkennen: Das viele Gold, die festlichen Gewänder, die Prozession mit der Monstranz, die Blumenteppiche und der Weihrauch, all das ist in Gedanken mit dem letzten Abendmahl Jesu verbunden, damals, wie es in der Bibel heißt, in einem Obergemach in Jerusalem. Am Abend vor seinem Tod teilt Jesus Brot und Wein mit seinen Jüngern und sagt ihnen: Brot und Wein sind mein Leib und mein Blut für Euch. Und er lädt sie ein, immer wieder Brot und Wein miteinander zu teilen und sich dabei an ihn zu erinnern.

Schaffen wir mit dem prunkvollen Aufzug mehr Distanz als Nähe?

Manchen Glaubenden erscheint das heute besonders spannungsvoll. Jemand sagte mir mal: Wissen Sie, Herr Pfarrer, ich kann mit dem ganzen prunkvollen Brimborium an Fronleichnam nicht mehr viel anfangen. Eigentlich reicht mir der Gründonnerstag in der Karwoche zur Erinnerung. An Fronleichnam hab immer das Gefühl, Jesus sucht im Abendmahl unsere Nähe, und wir schaffen mit all den Formen von Mittelalter bis Barock und dem ganzen Glitzer eine unglaubliche Distanz!

Jesus zeigte in aller Öffentlichkeit, dass Gott bei uns ist

Das hat mich schon nachdenklich gemacht. Ich finde, man kann es aber auch andersrum sehen: Jesus hat ja nicht erst beim letzten Abendmahl gezeigt: Gott ist uns Menschen nahe. Nicht erst in dieser Nacht, die so sehr von seinem nahen Tod überschattet ist. Er hat schon vorher so oft mit dem Menschen Mahl gehalten. Er ist an die Orte gegangen, wo die Menschen waren. Er hat in aller Öffentlichkeit gezeigt: Gott will uns nahe sein!

Draußen auf die Straßen bringen, was uns wichtig und kostbar ist

Über Form und Ästhetik von Fronleichnam kann man geteilter Meinung sein. Ich finde es aber gut, dass an Fronleichnam die Kirchengemeinden symbolisch zeigen: Eigentlich gehören wir mit dem, was uns so wichtig und kostbar ist und was wir sonst oft eher „drinnen“ und „unter uns“ feiern, raus auf die Straßen.

Staunende, fröhlich nachdenkliche Kirchenmusik zu Fronleichnam

Die Kirchenmusik zu Fronleichnam ist übrigens oft auch gar nicht laut und triumphal, sondern eher staunend, meditativ und von einer fröhlichen Nachdenklichkeit getragen. Ein besonders bekanntes Stück, das mancher Kirchenchor in seinem Repertoire hat und das bestimmt auch heute landauf landab in manchen Gottesdiensten erklingt, ist dafür ein gutes Beispiel: Die Motette „Ave, verum corpus“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Mozart komponierte sie für Fronleichnam in Salzburg ein knappes halbes Jahr vor seinem Tod. Das Autograf ist auf den 17. Juni 1791 datiert, und es trägt zu Beginn die Anweisung: „sotto voce“, mit gedämpfter Stimme. 

Musik 2: Wolfgang Amadeus Mozart, Motette „Ave verum corpus“ (KV 618). CD 1/3 „Ein geistliches Konzert”, Tallis Chamber Choir / English Chamber Orchestra / Philip Simms, MPO Sonatina (165 074-21), Track 20

Jesus ist unsere Nahrung auf unserem Weg

„Wahrer Leib, sei uns gegrüßet!“ Das bedeutet dieses lateinische „Ave verum corpus“. So, wie Mozart das hier singen lässt, spür ich deutlich: Fronleichnam, das ist nicht zuerst kirchliche Machtdemonstration oder „Marschtritt-Katholizismus“, sondern ein Fest, das mich mit Leib und Seele erleben lassen will: Gott ist uns nahe. Und die Eucharistie, das Abendmahl, das ist ein heiliges Zeichen dafür. Das Brauchtum zu Fronleichnam, die Prozessionen und die festlichen Gottesdienste, die wollen mit den Mitteln traditioneller katholischer Festlichkeit sagen: Jesus ist unsere Nahrung auf dem Weg und unsere Freude.

Das Brot der Mahlfeier durch die Straßen tragen

Die Zeiten, als besonders das Fronleichnamsfest der konfessionellen Profilierung durch Abgrenzung und Ausgrenzung dienen musste, die hab ich zum Glück selbst nicht mehr erlebt. Jesu Abendmahl, Jesus gegenwärtig in Brot und Wein, das feiern Christinnen und Christen aller Konfessionen weltweit immer wieder. Und Katholiken feiern das noch einmal besonders heute, mit diesem Festtag, an dem sie das Brot der Mahlfeier durch die Straßen tragen.

Wie schön, wenn unsere ökumenischen Schwestergemeinden mitfeiern

Ich hab mich schon als Jugendlicher zuhause und dann auch später als katholischer Pfarrer immer wieder besonders gefreut, wenn das eine oder andere Mal die evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer am Ort bei der Prozession dabei waren; - aus Respekt für den ökumenischen Partner, aus Mitfreude mit den katholischen Schwestergemeinden.

Die Freude über das Fest musikalisch ausgeschmückt

In der Kirchendichtung und auch in der Musik hat diese Festfreude Ausdruck gefunden. Thomas von Aquin, der große hochmittelalterliche Theologe, hat eigens für die Einführung des Fronleichnamsfests im Jahr 1246 einen lateinischen Festhymnus geschrieben. Die bekannteste vorletzte Strophe ist in den folgenden Jahrhunderten und besonders im Barock immer wieder vertont und musikalisch reich ausgeschmückt worden. Auch heute wird sie ganz sicher in vielen katholischen Gottesdiensten gesungen: „Tantum ergo sacramentum“.

In einer modernen Nachdichtung klingt der Hymnus so:

Sakrament der Liebe Gottes!
Leib des Herrn, sei hoch verehrt,
Mahl, das uns mit Gott vereinigt,
Brot, das unsre Seele nährt,
Blut, in dem uns Gott besiegelt
seinen Bund, der ewig währt.

„Ökumenische“ Kirchenmusik

Hier ist der Gesang, und zwar als Chor- und Orchesterkomposition des sächsisch-hamburgischen Barock-Komponisten Johann Adolf Hasse. – Übrigens auch mit ökumenischem Brückenschlag: Geschrieben um 1780 für die katholische Hofkirche, aufgenommen 2009 in der evangelischen Markuskirche in Dresden.

Musik 3: Johann Adolf Hasse: Tantum ergo; CD: „Sächsisches Vocalensemble / Batzdorfer Hofkapelle: Johann Adolf Hasse. Te Deum. Sacred Works“, Label cpo (777 462-2), Track 14

Unsere Freude aus der Kirche auf die Straßen tragen

An Fronleichnam mit dem „Allerheiligsten“ auf die Straßen hinauszuziehen, das ist für mich jedes Jahr ein ganz besonderes Erlebnis. Seit seiner Wahl im Jahr 2013 denke ich, wenn die Prozession losgeht, immer auch an Papst Franziskus. Vor seiner Wahl zum Papst soll er vor dem Kardinalskollegium gesagt haben:

„Wenn die Kirche nicht aus sich selbst herausgeht, um das Evangelium zu verkünden, kreist sie um sich selbst. Dann wird sie krank.In einem Bibeltext sagt Jesus, dass er an der Tür steht und anklopft. Dort geht es offensichtlich darum, dass er von außen klopft, um hereinzukommen ... Aber ich denke an die Male, wenn Jesus von innen klopft, damit wir ihn herauskommen lassen.“

Papst Franziskus: Die Kirche muss aus sich selbst herausgehen

Für mich ist seitdem Fronleichnam ein symbolischer, festlicher Ausdruck dafür, was Papst Franziskus immer wieder anmahnt: Nicht als selbstbezogene Kirche in den eigenen Wänden bleiben! Und vor allem: Nicht glauben, dass man Gott an noch so heiligen Orten einsperren kann.

Jesus ins Alltagsleben der Menschen bringen

Wo immer wir in der Stadt mit der Prozession vorbeiziehen: Er ist schon dort, mitten im Alltag: dort, wo Menschen zusammenkommen und sich erzählen, was gerade los ist, einander zuhören und teilen, was zu teilen ist. An so vielen Orten, an denen wir vorbeiziehen, finden Menschen zu einander, erfahren Gemeinschaft und setzen sich für einander ein. Für mich ist Gottes Kraft an vielen Plätzen zu erkennen:

Kraft, um die alltäglichen Herausforderungen zu stemmen

Wenn wir an den Mehrfamilienhäusern in der Nachbarschaft vorbeiziehen, denk ich an manchen chaotischen Abendbrottisch in den Familien an ganz normalen Donnerstagen, an die Eltern, die in vielfältiger Belastung für ihre Kinder da sein wollen. Vor der Schule denk ich an die Kinder und Jugendlichen, die hier jeden Tag herkommen, aber auch an die Lehrenden, die versuchen, junge Leute mit Fachwissen, Fürsorge und Aufmerksamkeit fit zu machen für ein eigenständiges Leben. Am Krankenhaus denk ich an die Menschen, deren Leben beeinträchtigt ist und die besondere Zuwendung und Pflege brauchen. Und an die, die das Pflegen und Heilen zu ihrem Beruf gemacht haben.

Gott ist uns nah in den guten Dingen unseres Alltags

Wenn sich so viel Gutes im Alltagsleben zeigt, dann ist durch die Menschen in der Stadt und im Dorf, ob sie nun Christen sind oder nicht, Gottes Kraft und Gottes Nähe präsent, so wie es Jesus im Abendmahlssaal mit den Zeichen von Brot und Wein auf den Punkt gebracht hat. Mit dem alltäglichen und unscheinbaren Brot, das aber Kraft gibt und stärkt. Und mit dem Wein, dem Ausdruck der festlichen Freude als Zeichen dafür, dass Gott uns froh haben will.

Oft unbewusste Orte der Begegnung mit Gott

Fronleichnam erinnert mich daran: Gerade der Alltag und die Orte, an denen Menschen zusammenkommen, die sind, manchmal ausdrücklich, oft aber unbewusst Orte der Gottesbegegnung!

Musik 4: Anton Bruckner: Locus iste (WAB 23), CD: „Rupert Huber / Südfunkchor Stuttgart: F. Schubert – German Mass / J. Brahms – 3 Motets“, Label Hänssler Classic (91.106), Track 7

Der Weg an Fronleichnam raus aus dem Kirchenraum in die Alltagswelt sagt mir jedes Jahr: Achtung, Augen auf!

Jesus lässt Alltägliches und Banales kostbar werden

Jesus, der in der Gestalt des Brotes gegenwärtig ist, wohnt in dieser Welt. Durch ihn kann Alltägliches und Banales zum Kostbarsten werden: ein Stück Brot zum Leib des Herrn, eine Versammlung zu einer Kirche, eine Bevölkerung zu einer Gemeinschaft, eine moderne Stadt zu einem heiligen Ort.

Im Alltäglichen des Besondere wahrnehmen: Fronleichnam

Ich möchte den Glauben an solche Verwandlungen und den Glauben an die Kraft Gottes wachhalten.

Und ich wünsche Ihnen allen das ganze Jahr hindurch viele Fronleichnamsmomente im Alltag. Momente, in denen Sie im Alltäglichen das Besondere wahrnehmen. Momente, in denen Sie spüren: Gott ist da, mitten unter uns.

Musik 5: John Stanley:„Trumpet voluntary“, CD: „Trumpet & Organ“, Label Warner Classics (50999 6 36560 2 2), Track 11

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