Beitrag anhören:
7 mal 7 ist 50
Bild: pixabay

7 mal 7 ist 50

Dr. Paul Lang
Ein Beitrag von Dr. Paul Lang, Diakon und Lehrer für Latein, Musik und Religion in Amöneburg
Beitrag anhören:

"Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort. Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Und alle wurden vom Heiligen Geist erfüllt und begannen, in anderen Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab."

Das berichtet die Apostelgeschichte, ein Buch im Neuen Testament. Dieses Ereignis feiern Christen heute: Pfingsten. Sieben Wochen sind seit Ostern vergangen. Sieben mal sieben Tage also; damit ist heute der 50. Tag seit Ostern. "Pentekoste" heißt "der fünfzigste" auf Griechisch. Das deutsche Wort "Pfingsten" stammt daher.

Sieben ist eine heilige Zahl: Seit Jahrtausenden rechnen wir Menschen unsere Tage in dieser Einheit. Die Phasen des Mondes dauern etwa sieben Tage lang. Das erlaubt Orientierung in der Zeit. Die 7 ist noch mehr: Als Summe aus der göttlichen Zahl 3 und der Weltzahl 4 schöpft sie tiefe Symbolik. Sie verbindet Himmel und Erde, Gott und Mensch.

Sieben Wochen lang feiern Christen Ostern: bis heute also! Eigentlich ist heute erst so richtig Ostern, der Höhepunkt des Festes, der Paukenschlag. Davon spricht, ja sprudelt die Apostelgeschichte über: Sturm und Feuer, Aufbruch.

Als Verfasser der Apostelgeschichte sieht die Tradition den Evangelisten Lukas an. Mit starken Bildern versucht er begreiflich zu machen, was mit den Anhängern Jesu passiert. Sein Prozess und seine Hinrichtung am Kreuz sind einige Zeit vorbei. Wie geht es ihnen - jetzt, Wochen später?

Lukas antwortet anschaulich. Das ist seine Inszenierung: Alle, die zum engen Kreis Jesu gehören, sind zusammen. In einem Haus sind sie - und sie sitzen, schreibt er. Das spricht Bände: Lukas zeigt Menschen, die Geborgenheit und Schutz suchen. Beides finden sie in ihrer Gemeinschaft und den bergenden Mauern eines Hauses. Die Tradition weiß sogar noch mehr: Es ist das Haus in Jerusalem, in dem die Apostel das letzte Mahl mit Jesus gefeiert haben - Wochen liegt das zurück. Alle sitzen. Sitzen sagt: Da ist nichts von Aufbruch. Sitzen bedeutet hier: Starre, nicht weiterkommen, sich eingerichtet haben.

Da, plötzlich: Brausen - Schluss mit der Abgeschiedenheit, der Tristesse, ja der Depression der Gemeinschaft im geschlossenen Haus. Haus bedeutet nicht nur Schutz, es ist auch Abgrenzung. Jetzt, endlich geschieht etwas Neues: Vom Himmel her! Das ist nicht von Menschen gemacht, urteilt Lukas. Hier ist Gott am Werk.

Und dann: Zungen von Feuer. Ein seltsames Bild - jedenfalls auf den ersten Blick. Warum "Zungen"? Die Zunge steht für Sprache. Sie hat aber ebenso mit dem Schmecken zu tun, mit der Aufnahme und dem Schlucken von Nahrung. Zunge ist Vitalität, voller Leben. Und dazu noch Feuer: Feuer ist gewaltig, beseitigt Kälte und Dunkel; im Feuer verbrennt Dürres, Lebloses. Das Feuer ermöglicht einen Neuanfang.

Alle beginnen neu, können in anderen Sprachenreden. Es geht nicht um ein Fremdsprachen-Mirakel; das merkt man beim Lesen. Das wäre doch sehr oberflächlich. "Anders sprechen" ist viel mehr und tiefer. Es bedeutet: Da ist ein neues Denken auf dem Weg, eine neue Sicht der Dinge. Und das drängt nach Ausdruck. Auch das, ist Lukas überzeugt, ist nicht selbst gemacht. Im neuen Sprechen wirkt Gottes Geist. Gott selbst ist am Werk.

Musik: Gregorianischer Hymnus - "Veni creator spiritus" - Schola Bellarmina (Brüssel) 

Trauerarbeit wird zum Jubel

"Was sind das für Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet?" Am Abend des Ostersonntags sind zwei Freunde Jesu zusammen unterwegs. Zu Fuß. Ihr Ziel: Emmaus. Ein kleines Dörfchen bei Jerusalem. Gut zwei Stunden Weg sind es bis dahin. 60 Stadien lautet die antike Entfernungsangabe. Ein Passant schließt sich den beiden an; sie sehen in ihm einen Fremden. Trotzdem trifft seine Frage sie: "Worüber redet ihr?""Sie bleiben traurig stehen", berichtet der Evangelist Lukas. Ostern ist mit dem Abend des Ostersonntags nicht erledigt. Auferstehung? Osterjubel? Fehlanzeige!

So schnell können die Jünger, kann niemand ein schlimmes Ereignis verarbeiten. Der Verrat des Judas, die nächtliche Verhaftung, Verhöre - kurzer Prozess. Kreuzigung unmittelbar vor dem Pesach-Fest in Jerusalem. Jesus ist tot! Alles ist düster, dunkel. Solche Situationen kennen wir Menschen zu Genüge. Wenn alles ausweglos erscheint.

Der Künstler Thomas Zacharias hat die Wanderung in einem Holzschnitt eingefangen. Im unteren Teil seines Bildes erkennt man zentral die beiden Jünger; mit dem Rücken zum Betrachter. Zwischen ihnen der Begleiter, den sie nicht kennen, besser: erkennen. Um sie herum: alles dunkel, düster, schwarz.

Der Weg der drei führt geradeaus; im Bild von Zacharias ist das nach oben. Der vorgezeichnete Weg führt durch eine Landschaft mit schwarzen Linien und Schatten. Sonst aber ist in diesem zentralen Teil des Bildes alles grün - voller Hoffnung. Und dieser grüne Bereich füllt den größten Teil des Bildes aus.

Auf dem Weg, dem grünen Weg durch die grüne Umgebung sind etliche rote Flecken zu erkennen: kleine Flammen. Sie züngeln auf, Glutkügelchen, Glühwürmern gleich säumen sie den Weg. Woher kommen solche Funken, wenn alles dunkel und kalt ist? Der Evangelist Lukas verrät: Es ist Erinnerung. Die beiden Männer reden miteinander - das tut gut, wenn man traurig ist. Der Dritte, der unerkannt dazu kommt, der kritisiert sie: "Ihr seid träge, unverständig." Und dann erzählt er ihnen Dinge, die sie sämtlich kennen - aber die sie vergessen haben. Da brennt es in ihrem Herzen, berichten sie später.

Eine Ostergeschichte. Heute an Pfingsten? Auf jeden Fall: Denn Ostern passiert heute, vollendet sich heute. Diese Vollendung geschieht im Verstehen, im Begreifen, im Ergriffenwerden davon. Funkenflug auf dem Weg. Das kennen wir, das erleben wir manchmal, wenn wir traurig sind. Die Emmausjünger werfen den Blick zurück: Da wandelt sich Trauer zum Jubel. Zacharias zeigt das in einem schmalen Streifen am oberen Bildrand. Hier wandelt sich in seinem Bild die grüne Farbe in orange und goldene Töne. In der Mitte die aufgebrochene Umrandung eines Hauses, in ihrer Mitte ein oranger Kreis. Die Ostersonne möchte man darin sehen.

Einen solchen Sonnenaufgang können wir nicht machen. Den können wir nur geschehen lassen und erleben. Der Tod behält nicht das letzte Wort. Christus ist auferstanden! Da ist Gott am Werk, sagt der Glaube. Das ist sein Wirken, sein Geist, das ist Pfingsten! Das glauben Christen seit 2000 Jahren. Das ist die Erfahrung des 50. Tages, der Vollendung von Ostern.

Der Weg der beiden Trauernden hat ein Ziel. Ein ganz anderes, als die beiden sich denken: Er führt über Emmaus zurück nach Jerusalem, in das Obergemach des Letzten Mahles Jesu. Der Weg führt sie in die Gemeinschaft Jesu. Aber das Haus ist ab heute zu eng; die Mauern des Hauses sind zu starr. Das markieren Sturm, Feuer und Aufbruch: Hinaus aus dem Haus! Die Botschaft in die Welt tragen. Das ist Pfingsten. So wird Kirche. Heute feiern wir ihren Geburtstag.

Musik: John Rutter - "I will sing with the spirit"  -  Coro Gabriel Fauré und Instrumentalisten der Musikhochschule "G. Verdi" Mailand

Geburtstag der Kirche

Über 2000 Jahre ist die Kirche nun auf dem Weg, seit dem Aufbruch damals, am Pfingsttag in Jerusalem. 2000 Jahre Weg mit allem, was dazu gehört: Höhen und Tiefen, Begeisterung und Enttäuschung, Streit und Versagen. Das gab und gibt es dabei auch. Unterwegssein bedeutet Ungewissheit. Oft genug auch, nicht wissen, was als Nächstes geschieht.

Kirche ist auf dem Weg. Eine Pilgerin.

Vor einigen Jahren bin ich zu Fuß nach Santiago gepilgert. Wandern tue ich gerne; die Berichte so vieler Pilger hatten mich neugierig gemacht auf diesen Weg. Also habe ich geplant, organisiert und dann bin ich losgezogen. Pamplona, am Fuß der Pyrenäen, auf der spanischen Seite des Camino Francés, war mein Startpunkt. Sonniges Wetter, Begegnungen mit Pilgern - die ersten Etappen waren großartig. Die Zeit verging wie im Fluge. Ich war beeindruckt, wie viele Kilometer ich am Tag abspulen konnte. Bis zu 40 waren nach etwas Einlaufen in den ersten paar Tagen für mich drin.

Nach 300 Kilometern aber ein ziehender Schmerz im Fuß. Ich beachte ihn zunächst kaum. Am Abend aber sind es deutliche Schmerzen geworden. Ein Foto des geschwollenen Knöchels und ein paar Details zum Problem schicke ich per Handy an einen befreundeten Arzt: „Bleib, wo du bist, keinen Schritt weiter!“, ist seine prompte Antwort nach einer vorsichtigen Ferndiagnose. Und jetzt? "Aber ich will doch nach Santiago." Ich habe doch alles geplant - und will zügig am Ziel sein. Gleich am nächsten Morgen der erste Fluchtversuch: Er endet am Ortsschild: Tränen in den Augen vor lauter Schmerzen - nichts zu machen. Ich bin schließlich drei Tage in Astorga geblieben - und dann zwei Wochen später sehr behutsam und vorsichtig gehend, vor allem aber sehr dankbar in Santiago angekommen. Alles war viel besser so. Die zweite Hälfte des Weges nach Santiago war ganz anders als die erste. Sie war viel schöner. Behutsam und achtsam. Es ging nicht nach meinem Kopf. Ich musste mich arrangieren, Dinge geschehen lassen.

Einen Weg kann man nicht machen. Man muss ihn gehen und sich ereignen lassen. Dabei entdeckt man Unerwartetes. Man muss Pläne revidieren, bereit sein für Begegnungen und so viel Neues. Der Weg ist nicht das Ziel; er hat eines. Aber das Gehen des Weges ist wichtig. Das gilt auch für die Kirche. Sie ist unterwegs - seit Pfingsten. Sie hat einen Auftrag, eine Wegbeschreibung: Sie soll das weiter machen, was Jesus begonnen hat. Gut zu den Menschen sein, egal wer sie sind. Ihnen die Botschaft Jesu von der unendlichen Liebe Gottes weitersagen, charmant, unaufdringlich. Sie soll helfen, dass diese Welt immer besser wird. Dass das Leid weniger wird, Krankheiten geheilt werden.

Da ist vieles schief gegangen auf dem Weg. Das ist heute so offensichtlich und wird so klar ausgesprochen wie vielleicht noch nie in der Geschichte der Kirche in unserem Land. "Ecclesia semper reformanda", lehrt die Theologie über die Kirche: "Die Kirche muss immer reformiert werden." Das meint: Sie muss sich immer wieder neu nach dem ursprünglichen Auftrag gestalten und ausrichten.

Kurskorrekturen sind nicht schlimm, sie sind heilsam. Dass sie verunsichern, ist nicht zu ändern. So ein bisschen Unsicherheit gehört dazu, wenn man unterwegs ist.

Musik: Johann Sebastian Bach - „Komm, Gott, Schöpfer, Heiliger Geist“ (BWV 667) - Orgel: Bine-Katrine Bryndorf, Hillerod (Dänemark)

Kirche von morgen

Zwei ehemalige Schüler sind zum Kaffee gekommen. Vor Jahren saßen wir uns im Unterricht der Oberstufe gegenüber. Heute sitzen wir bei mir am Küchentisch, haben viel zu erzählen und zu lachen. Die beiden sind jetzt um die 30; ihre Berufsausbildung ist absolviert. Inzwischen haben sie verantwortliche Positionen in Wirtschaft und im öffentlichen Dienst.

Und sie verdienen entsprechende Gehälter. "Weißt du, wie viel Kirchensteuer ich im Jahr zahle?", sagt der eine schließlich. Und ich merke, das Thema brennt beiden auf den Nägeln. "Das ist mehr als das Dreifache, was ich für die Mitgliedschaft im Fitness-Club zahle. Und da gehe ich jede Woche mindestens viermal hin", fährt er fort. "Da bekomme ich eine Menge geboten! Und die Kirche?" Was bekomme ich für das viele Geld?

Wenn ich ein Kind taufe, kann ich begeisternd werben, dass dieser junge Mensch in Gott eintaucht, ganz eingehüllt wird von seiner Liebe. Wer getauft ist, empfängt Leben in Fülle. Er gehört jetzt zur Kirche. Er ist Kirche. Aber Kirchensteuer?

Die Kirchenaustrittszahlen jagen von einem Rekord zum anderen. In diesen Tagen werden die Zahlen für 2021 von der katholischen Kirche in Deutschland veröffentlicht. Hunderttausende beenden auf diese Weise in unserem Land jährlich die zahlende Mitgliedschaft in einer Großorganisation. Natürlich finanziert diese Steuer kirchliche Krankenhäuser und Altenheime, Schulen und Kindergärten. Soziale Aufgaben, die nur eine auch finanzstarke Gemeinschaft tragen kann. Was wird daraus werden? Die Krise ist abzusehen.

"Das Modell der über Steuern finanzierten Kirchen mit immer größeren Pfarreien ist ans Ende gekommen", sagt mir ein Benediktinermönch ungeschminkt. Wir sprechen gerade über eine Arbeit aus der Schmiede seines Klosters. Kirche von morgen? An die Stelle pfingstlicher Erfahrungen sind lange Berichte über Finanz- und Machtskandale getreten. Irritation über Verwaltungs- und Organisationsfragen, schlechte Kommunikation. Nein, das ist Kirche nicht. 

Was macht Kirche aus? Der Mönch zeigt mir Notizen seiner Mitarbeiter. Das sind ganz normale Handwerker und Angestellte. Aber sie gestalten religiöse Kunstwerke für Kirchen und Familien; Wandkreuze, Altäre, Tabernakel. Wie sie Kirche erleben, hat er gefragt. "Wir machen Kunst für besondere Orte und manchmal spüren wir, dass Menschen davon am Herzen berührt sind“, sagt einer. „Wir liefern irgendwie mehr als nur praktische Alltagsgegenstände", sagt ein anderer. Von Wertschätzung lese ich. Der Chef der Schmiede schreibt, wie viel Erfüllung es bedeutet, wenn ein mit Mühe hergestelltes Objekt sich im Dienst wandelt, wenn es Raum schafft für Heil.

Das ist Kirche: Raum, in dem Heilsames geschieht. Pfingsten ist ihr Geburtstag. Wenn jemand geboren wird, ist noch alles offen. Vieles bleibt lebenslang wandelbar. Das gilt genauso für die Kirche. Manches wandelt sich. Ich vertraue, dass Gott weiter am Werk ist. Genauso wie das Brausen und das Feuer am Pfingsttag vom Himmel herkommen und nicht von Menschen gemacht sind. Der Pilger trifft auf das Entscheidende unvermutet. Er kann es nicht machen, aber zulassen.

Nach Kälte, Dunkel und Winter hat die Farbenfülle des Frühlings machtvoll Einzug gehalten. Der Sommer steht vor der Tür. Das Leben siegt. Das ist Pfingsten.

Musik: "The Londonderry Air" (Irische Volksweise) - Christoph Mohr (Saxophon) und Paul Lang (Orgel); Arrangement: Heinz Both

 

Musikauswahl: Schul- und Kirchenmusiker Dr. Paul Lang, Amöneburg

 

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren