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Der Mai und die Frauen
pixabay/Hans Braxmeier

Der Mai und die Frauen

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
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Jetzt geht der Mai schon langsam wieder zu Ende: Für mich ist er einer der schönsten Monate im Jahr. Ich liebe vor allem das kräftige Grün an den Bäumen. Es ist so schön, wenn alle Pflanzen wieder austreiben, wenn Blätter und Blüten großartig frisch leuchten – und eben noch nicht vertrocknet sind wie später im Sommer. Die Linden hinter meinem Haus haben im Mai noch eine wunderbar dichte Krone. Ich genieße aber auch die Gerüche der Natur jetzt im Mai: Wie das Grün duftet nach einem Gewitter! Die Rosen, die auf meinem Balkon zu blühen beginnen! Oder der Flieder Anfang des Monats.

Der Mai ist Muttertags- und Marienmonat zugleich

Den Flieder im Mai verbind ich immer auch mit dem Muttertag. In meiner Kindheit haben wir meiner Mutter oft einen großen Strauß von selbst gepflücktem Flieder gebracht. Und meistens stand dann nicht nur einer auf dem Küchentisch, sondern auch in unserer Küchenecke. Dort nämlich hatte in meiner Kindheit eine Marienfigur aus Holz ihren Platz. Die „Gottesmutter Maria“ bekam damals Blumen wie unsere eigene Mutter. Der Mai ist Muttertags-Monat. Und auch Marienmonat. Und irgendwie ist mir der Mai darüber hinaus immer mehr zu einem Monat der Frauen geworden. Vielleicht gerade, weil es der Monat der Pflanzenkraft, der Lebenskraft, der Grünkraft ist. Die verbinde ich besonders mit Frauen.

Musik 1: W. A. Mozart, Komm lieber Mai (CD: Volkslieder, Carus-Verlag, / SWR 2, Volume 1, Track 17, Gesang: Sibylla Rubens, Klavier: Elisabeth Föll).

Die heilige Hildegard und die Grünkraft

Grünkraft: Das ist ein Wort der heiligen Hildegard von Bingen. Sie hat ihren Gedenktag nicht im Mai, sondern im September. Und trotzdem muss ich in diesen Wochen oft an sie denken. Die heilige Hildegard ist ja vor allem bekannt für ihre Kräuterkunde und medizinischen Ratschläge. Frische Kräuter genieße ich jetzt im Mai besonders, Petersilie im Salat oder Frankfurter grüne Sauce. Und Hildegard-Kräutertee hab ich auch zuhause. Ausgerechnet der Kräuter-Teil des Werks der heiligen Hildegard ist am wenigsten historisch gesichert. Trotzdem: Die Grünkraft ist ein Begriff, den ich mit ihr verbinde. Die Kraft der Natur – sie ist für Hildegard auch die Kraft, mit der Gott die Welt erschaffen hat. Die Grünkraft ist die Kraft, die in der Schöpfung steckt und die ich deswegen auch in der Schöpfung und in der Natur erleben kann.

Teil meines christlichen Glaubens...

Die Momente, in denen ich jetzt im Mai das Grün genieße – sie sind für mich auch spirituelle Momente. Wie die heilige Hildegard von Bingen erfahre ich die Grünkraft auch als göttliche Kraft. Manchmal stelle ich mich bewusst unter einen Baum, schaue hinauf in die hell leuchtende grüne Baumkrone und genieße das. Ich spüre eine Verbindung zu diesem Baum, zur Schöpfung, zu Gott. Manche belächeln so etwas vielleicht als esoterisch. Für mich ist es Teil meines christlichen Glaubens, meiner Frömmigkeit, meiner Spiritualität. „Alles ist miteinander verbunden, alles steht in Beziehung“, das hat Papst Franziskus in seinem Schreiben über die Schöpfung gesagt.

Das ganze Universum von Musik durchdrungen

Für die heilige Hildegard ist der ganze Kosmos auch durch die Musik miteinander verbunden, durch Klänge. Ihr erstes großes Hauptwerk mündet in eine himmlische Symphonie, in Lob- und Freudengesänge. Der Kosmos ist für Hildegard entstanden durch das tönende Wort, das Verbum. Und das ganze Universum ist für sie von Musik durchdrungen. Auch die Seele des Menschen ist „symphonisch gestimmt“, schreibt sie. Der Mensch erinnert sich in der Musik daran, dass seine Seele „der himmlischen Harmonie entstammt“ und „selbst etwas von dieser Musik in sich hat“, sagt sie.

Das ist ungewöhnlich und besonders

Hildegard von Bingen hat großartige Kompositionen geschaffen. Das wusste ich lange Zeit nicht. Sie ist dafür auch weniger bekannt als für die Kräuterkunde. Aber eine Frau aus dem 12. Jahrhundert, von der wir Kompositionen überliefert haben – das ist ungewöhnlich und besonders. Es gibt ja kaum namentlich bekannte Komponistinnen bis ins 20. Jahrhundert hinein. Hildegards Kompositionen strahlen für mich etwas von großer Kraft aus – auch von dieser göttlichen Kraft, dieser Grünkraft, die alles durchdringt und alles miteinander verbindet.

Musik 2: Hildegard von Bingen: „Nunc aperuit nobis“, Sequentia, Ensemble für Musik des Mittelalters (CD: canticles of ecstasy, hildegard von bingen, sequentia, BMG, Track 2).

"Selbstbewusst und streitlustig"

Die heilige Hildegard von Bingen, ihre Kompositionen, ihre Grünkraft: Sie gehören für mich zum Mai, zu meinem „Monat der Frauen“, auch wenn ihr Gedenktag eigentlich im September ist. Die heilige Hildegard inspiriert mich auch durch die Art und Weise, wie sie als Frau in der Kirche gewirkt hat. Selbstbewusst und streitlustig. Sie wäre gar nicht die heilige Hildegard von Bingen geworden, hätte sie sich damals im 12. Jahrhundert nicht mit den Männern der Kirche angelegt.

Ihr Glanz strahlte auf seine Abtei

Ihr Klosterleben begonnen hat sie auf dem Disibodenberg. Das ist ein Hügel bei Bad Sobernheim, zwischen Mainz und Trier. Es gab dort damals zwei Klöster nebeneinander: eines für Männer und eines für Frauen. Und natürlich hatte der männliche Vorsteher, Abt Kuno, das Sagen auf dem ganzen Hügel. Vielleicht auch deswegen hatte Hildegard eines Tages die Vision: Wir ziehen mit den Frauen weg von dort, hinüber nach Bingen, und bauen uns dort ein neues, unabhängiges Kloster auf. Abt Kuno allerdings war von der Idee keineswegs begeistert. Hildegard hatte nämlich schon eine gewisse Berühmtheit erlangt zu der Zeit, und ihr Glanz strahlte auch auf seine Abtei ab. Der Abt verlangt, Hildegard soll auf dem Disibodenberg bleiben - und er spricht ein entschiedenes Nein zu ihren Plänen.

Sie gibt nicht auf!

Hätte sich Hildegard diesem Nein brav und gehorsam gefügt: Aus ihr wäre wohl nie die heilige Hildegard von Bingen geworden. Aber Hildegard gibt nicht auf. Zwei Jahre streitet sie mit den Männern auf dem Disibodenberg. Sie sichert sich Unterstützung zu, von einer einflussreichen Markgräfin und vom Erzbischof von Mainz. Und schließlich setzt sie ihre Vision durch. Sie zieht mit ihren Mitschwestern auf den Hügel bei Bingen.

"Keine gehorsame Dienerin"

Eine streitbare, starke Frau also war sie, diese heilige Hildegard. Keine demütige, gehorsame Dienerin, wie man sich christliche Frauen oder vor allem Ordensfrauen manchmal vorgestellt hat. Und wie man zum Beispiel auch Maria oft gesehen hat, die Mutter Jesu. Als gehorsame Magd. Aber auch sie war revolutionärer, als mancher meint. Hildegard von Bingen hat – natürlich – auch über Maria komponiert. Zum Beispiel dieses Stück: Hier nennt sie Maria „Mediatrix“, „Mittlerin“.

Musik 3: Hildegard von Bingen: „Alleluia! O virga mediatrix“, Sequentia, Ensemble für Musik des Mittelalters (CD: canticles of ecstasy, hildegard von bingen, sequentia, BMG, Track 10).

Es ist fast ein Revolutionslied

Musik zu Maria, der Mutter Jesu, gibt es viel, nicht nur von der heiligen Hildegard von Bingen, von der dieses Stück stammt, aus dem 12. Jahrhundert. Bekannt sind vor allem Vertonungen des Magnificats, des biblischen Lobgesangs von Maria. Das Magnificat von Johann Sebastian Bach oder auch das von Antonia Vivaldi sind berühmt. Im Magnificat ist auch Maria ganz und gar nicht die demütige Magd, die manche in ihr sehen. Gott „stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen,“ singt sie darin zum Beispiel (Lukasevangelium 1,52) Es ist fast ein Revolutionslied, das diese Maria in der Bibel anstimmt.

Die ewige Jungfrau und demütige Magd

Es waren auch diese Töne aus dem Magnificat, die meinen Blick auf Maria im Laufe meines Lebens verändert haben. Als Kind in einer ziemlich katholischen Familie hab ich Maria im Marienmonat Mai Flieder gebracht, zur Marienfigur in der Küchenecke. Und wir haben Marienlieder in der Kirche geschmettert, „Wunderschön prächtige“ zum Beispiel. Aber als ich älter wurde und Theologie studiert habe, wurde mir Maria eher suspekt – als ewige Jungfrau und demütige Magd. Das hat sich wieder geändert, und zwar tatsächlich auch durch das Magnificat, diesen Mariengesang aus der Bibel.

Gott lässt auch sie groß sein

Maria stimmt ihn an, als sie ihrer Cousine Elisabeth begegnet, die beiden Frauen sind schwanger (vgl. Lukas-Evangelium 1,46-55). Elisabeth mit Johannes, dem Täufer, und Maria mit Jesus. Es ist also der Gesang einer jungen, schwangeren, wenig mächtigen Frau aus Nazareth – aber bescheiden und demütig, wie man es vielleicht erwarten könnte, klingt dieser Lobgesang ganz und gar nicht. „Von nun an preisen mich selig alle Geschlechter,“ (Lukasevangelium 1,48) singt da Maria über sich selbst. Oder: „Der Mächtige hat Großes an mir getan“ (Lukasevangelium 1,49), „quia fecit mihi magna“, heißt es auf Latein. Ganz schön groß also sieht Maria sich selbst. Sie lässt nicht nur Gott groß sein, „Magnificat“ heißt ja übersetzt: „Groß sein lässt meine Seele den Herrn.“ Es gilt auch umgekehrt: Gott lässt auch sie, die Maria, groß sein.

Ein Streik und Forderungen nach mehr Teilhabe

Diese selbstbewusste Maria, die weiß: Gott macht sie groß: Sie ist mir sympathisch. Es ist auch die Maria, auf die sich die Frauen von Maria 2.0 berufen. Vor drei Jahren im Mai hat diese katholische Fraueninitiative gestartet – mit einem Streik und mit Forderungen nach mehr Teilhabe von Frauen in der katholischen Kirche. Die Frauen von Maria 2.0 sind davon überzeugt: Gott beruft immer wieder starke Frauen. Er will die Frauen groß sehen, auch heute.

Musik 4: Johann Sebastian Bach, Quia fecit mihi magna aus dem Magnificat in D, BWV 243 (CD: J.S. Bach, Magnificat und Cantata „Ich habe genug“, Schola Cantorum of Oxford, Track 5).

Bis heute von Ämtern ausgeschlossen

Im Marien- und Frauen-Monat Mai beschäftigt mich natürlich auch besonders die Frage: Wie sieht es aus für die Frauen in meiner römisch-katholischen Kirche? Trotz heiliger Frauen wie Hildegard von Bingen, trotz starker Frauen der Kirche über die Jahrhunderte hinweg, trotz Initiativen wie Maria 2.0: Frauen werden in der katholischen Kirche bis heute diskriminiert, von Ämtern ausgeschlossen. Begründet wird das zum Beispiel damit, dass die zwölf Apostel, die Jesus berufen hat, ja allesamt Männer gewesen wären.

Sie wurden auch Apostelinnen genannt

Das Argument haben allerdings Bibelwissenschaftlerinnen und –wissenschaftler lange schon widerlegt. Sie erklären: Die zwölf Apostel damals standen für die zwölf Stämme Israels, deswegen waren Zahl und Geschlecht wichtig. Aber in seine Nachfolge gerufen hat Jesus natürlich auch Frauen – und sie wurden in der frühen Kirche auch Apostelinnen genannt. Apostelin und Apostel waren Menschen, die den auferstandenen Jesus gesehen und bezeugt haben. Maria von Magdala zum Beispiel. Sie wurde sogar „Apostola Apostolorum“ genannt, also „Apostelin der Apostel“, weil sie Jesus als erste an Ostern begegnet war.

Daraus entstand der Männername Junias

Und der Apostel Paulus grüßt in seinen Briefen ganz selbstverständlich auch Mitarbeiterinnen – und nennt eine von ihnen Apostelin. Junia heißt sie. Späteren Männergenerationen war das so suspekt, dass sie daraus den Mann Junias gemacht haben. Junias waren allerdings gar kein Name damals. Erst vor ein paar Jahren hat man auch in der deutschen Bibel-Übersetzung wieder richtig „Junia“ geschrieben.

Ich spürte eine große Kraft

Diese Apostelin Junia nun: Sie hat ihren Gedenktag tatsächlich im Mai, am 17. Mai. Rund um diesen Tag gab es dieses Jahr Aktionen und Gottesdienste von Frauen in der katholischen Kirche. Ich war bei einem Gottesdienst im Mainzer Dom dabei, der mich beeindruckt und der mir gut getan hat. Im ehrwürdigen Mainzer Dom standen vorne im Altarraum mal nicht nur Männer, sondern: ausschließlich Frauen. Eine Frau hat auch gepredigt. Und wir sind dann in einer Prozession mit Hunderten von Frauen vom Dom in den Kreuzgang gezogen und haben dort Brot und Trauben miteinander geteilt. Es war eine große Kraft für mich zu spüren in diesem Gottesdienst und in dieser Gemeinschaft von Frauen.

Kämpfen für die eigenen Rechte

Auch dadurch ist der Mai für mich in diesem Jahr besonders zu einem Monat der Frauen geworden. Ich denk im Mai so viel an die Frauen. Auch an meine Mutter, die übrigens auch eine starke Frau war. Die als junge Frau in Nachkriegszeiten und in einer Flüchtlingsfamilie Geld verdient hat, um Mutter und Geschwister durchzubringen. Die sich mit Mitte 20 selbstständig gemacht. Und die mich und meine drei Geschwister zu starken Menschen erzogen hat. Kämpfen für die eigenen Rechte, vor niemandem den Kopf einziehen, auch das hab ich von ihr gelernt.

Gleiche Rechte...und gleiche Ämter

Ich denke an sie, ich denke an starke und heilige Frauen in meinem Leben, in der Kirchengeschichte und in der Bibel. Und ich bete und engagiere mich dafür, dass Frauen gleiche Rechte und gleiche Ämter bekommen, in der Gesellschaft und in der katholischen Kirche. Ich bete auch darum, dass Frauen vor Flucht, vor Gewalt und Krieg bewahrt werden. Und ich bitte bei all dem um die Unterstützung der Mittlerin Maria, der Mutter Jesu, besonders in diesem Marien- und Frauenmonat Mai.

Musik 5: aus: John Rutter, Magnificat (CD: Rutter, Gloria, Magnificat, Psalm 150, Choir of King`s College, Cambridge, Track 6).

 

 

 

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