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Himmelfahrt: Gott verbirgt sich und bleibt doch nah
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Himmelfahrt: Gott verbirgt sich und bleibt doch nah

Dr. Udo Markus Bentz
Ein Beitrag von Dr. Udo Markus Bentz, Erzbischof des Erzbistums Paderborn
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In den vergangenen Wochen konnte ich häufig hören, wie Experten der Politik und Wirtschaftsfachleute auf ein Sprachbild zurückgegriffen haben: das Bild der dunklen Wolke. Man sagt, das Wirtschaftsklima trübe sich ein, dunkle Wolken stünden am Horizont angesichts der Konjunkturentwicklung durch den Krieg in der Ukraine. Und ich dachte oft: Ok, diese Sprachbilder sind anschaulich.

Habe ein Unbehagen gespürt

Und doch habe ich ein Unbehagen gespürt. Angesichts der schwarzen Rauchwolken über den ukrainischen Städten wie Mariupol, Charkiw, rund um Kiew und anderen Städten wäre ich zurückhaltender. Ich wünschte mir manchmal mehr Sprachsensibilität. Denn in der Ukraine sind die dunklen Wolken kein Bild, sondern bittere Realität. Unter diesen dunklen Rauchwolken herrscht Zerstörung und Elend - vom Krieg geschundene Menschen hoffen auf ein Ende der Gewalt.

Die Folgen spüren wir schon jetzt!

Das ist eben kein Vergleich zu dem, was es für uns bedeutet, wenn wir von dunklen Wolken an unserem Horizont sprechen. Aber wir verstehen sofort, was gemeint ist. Denn der Krieg dort löst auch viele Ängste bei uns aus. Und die sind nicht unbegründet. Die Folgen dieses Krieges spüren wir schon jetzt. Und die Unsicherheit, wie massiv die Konsequenzen sein werden, je länger der Krieg dauert, wächst sich zu wirklich existentiellen Ängsten der Menschen aus, die durch die zähe und lange Belastung der Covid-Pandemie sowieso sehr dünnhäutig geworden sind.

"Da braut sich etwas zusammen"

Also stimmt es doch: Dunkle Wolken am Horizont - real und bildlich -  verheißen nichts Gutes. Wenn es schwarz wird am Himmel - wie man so sagt -, dann wird es ungemütlich. Dunkle Wolken am Horizont heißt: Es gibt Ärger. Oder: Der Blick auf die Zukunft verfinstert sich. Und wir sagen: Da braut sich etwas zusammen.

Seit jeher muss der Wolkenhimmel herhalten, um besondere Erfahrungen des Menschen zu umschreiben. Das ist auch verständlich: In der Kulturgeschichte des Menschen war es zum Überleben unabdingbar, den Wolkenhimmel frühzeitig deuten zu können, um sich zu schützen: für die Landwirtschaft, erst recht für die Seefahrt auf offenem Meer. Nicht nur die dunklen Wolken mussten rechtzeitig als drohende Gefahr erkannt werden. Auch die Deutung der Schönwetterwolken gehörte dazu. Kein Wunder, dass die Wolken des Himmels so sehr zu einer „elementaren Erfahrung“ wurden, dass sie in allen Kulturen sprichwörtlich geworden sind.

Musik 1: Heinrich Scheidemann, Praeambulum ex g in g (CD: Stylus Phantasticus, Volker Ellenberger, Ifo records, 2.54 min).

Diese Erscheinungen hatten ein abruptes Ende

Heiterer Himmel oder bedrohliche dunkle Wolken - Wolken beschreiben nicht nur Naturphänomene, sondern auch Stimmungen. Sie versinnbildlichen existentielle Situationen des Menschen. Diese Überlegungen helfen mir, einen Zugang zum heutigen Feiertag - Christi Himmelfahrt - zu finden. Auch da geht es um Wolken und Himmel und noch viel mehr… Ich lese dazu in der Bibel: Jesus war nach seinem Tod und seiner Auferstehung den Jüngern mehrfach sichtbar erschienen. Er hat mit ihnen gesprochen. Es heißt sogar: Er hat mit ihnen gegessen. Dann jedoch gab es eine Zäsur. Diese Erscheinungen des auferstandenen Jesus hatten ein abruptes Ende. Und die Bibel erzählt: Jesus ist in den Himmel aufgenommen worden. Und weiter lese ich: „Als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken.“ (Apg 1,9)

Er ist nicht weg!

Einige Zeit nach Ostern machen die Jünger anscheinend eine schwer zu beschreibende innere Erfahrung. Sie erleben Jesus als Auferstandenen nicht mehr so spontan und unmittelbar wie bisher. Trotzdem scheint er für sie nicht einfach weg zu sein. Da hat das Bild der Wolke seinen Platz: Sie schiebt sich zwischen die Jünger und Jesus. Sie sehen ihn nicht mehr. Und das sollte sich auch nicht mehr ändern. Er bleibt auch künftig ihren Augen verborgen. Und dennoch spüren die Jünger. Er ist nicht weg. Er ist er da – anders, innerlich.

Es gibt noch viele andere Beispiele...

Das deckt sich mit der biblischen Erzähltradition des Volkes Israel. Der unsichtbare Gott wird - obwohl nicht sinnlich erfahrbar - dennoch als lebendig und nah erfahren. Manchmal schützend und bergend, manchmal wie Naturgewalten furchteinflößend. Ich will ein paar Beispiele nennen: Über Mose, dem man eine besondere Nähe zu Gott zusprach, heißt es: „Ich werde zu Dir in einer dichten Wolke kommen.“ (Ex 19,9) Mose macht innere Erfahrungen mit Gott, die für Außenstehende nicht wahrnehmbar waren. An einer anderen Stelle heißt es in der Bibel: „In einer dunklen Wolke war Gott.“ (Ex 20,21) Inmitten einer bedrückenden und bedrohlichen Situation zeigt sich Gott als der nahe und schützende Gott - im Bild der dunklen Wolke. Als Jesus im Jordan getauft wird, hört er eine Stimme aus einer Wolke, die für die Umstehenden zu hören ist und die sagt: „Dieser ist mein geliebter Sohn.“ (Mt 3,17) Am Kreuz, als Jesus stirbt, verfinstert eine Wolke die Sonne mitten am Tag. Es gibt noch viele andere Beispiele in der Bibel. Die Botschaft ist dieselbe: Gott ist für den Menschen verborgen und dennoch ganz da. Wo eine innere, spirituelle Erfahrung gemacht wird, die nicht mit menschlichen Sinnen erfasst werden kann, da greift die Bibel auf das Bild der Wolke zurück. Gott ist verborgen und doch ganz nah!

Musik 2: Viri Galilaei (hr-Musikarchiv, 3.00 min).

"Was schaut ihr in den Himmel?"

Eine Wolke ist in der Bibel oft ein Bild für die Verborgenheit und zugleich die Nähe Gottes zugleich. Deshalb taucht auch die Wolke bei der Himmelfahrt Jesu als Motiv auf. Es geht um die innere Erfahrung der Jünger Jesu: Der Auferstandene wird verborgen und ist nicht mehr sichtbar. Aber er ist dennoch lebendig und nah erfahrbar. Wenn ich in der biblischen Erzählung von der Himmelfahrt Jesu weiterlese, dann heißt es da: Zwei Männer in weißen Gewändern standen bei den Jüngern und sagten: „Was schaut ihr in den Himmel?“ (Apostelgeschichte 1,11) Und im Evangelium nach Matthäus heißt es: „Geht und macht alle zu meinen Jüngern. … Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Matthäus 28,20)

Eine österliche Bewegung, die fortdauert...

Wie reagieren die Jünger auf den Abschied und die Tatsache, dass sie Jesus nicht mehr so unmittelbar erfahren? Sie kehren keineswegs deprimiert nach Jerusalem zurück. Im Evangelium nach Lukas heißt es: voll Freude! (Lk 24,52) Die Jüngerinnen und Jünger haben die innere Gewissheit: Jesus hat den Tod überwunden. Er ist zwar nicht mehr wie bisher bei ihn. Sie erleben ihn nicht mehr direkt. Aber sie spüren: Er ist auf eine neue Art immer noch bei ihnen. Dieser Abschied lässt sie nicht resignieren, sondern er gibt ihnen Kraft und setzt neue Energien frei: Sie gehen hinaus. Sie teilen das Leben mit den Menschen - und: Sie teilen mit ihnen ihre Hoffnung. Damit beginnt die Botschaft der christlichen Hoffnung sich ihren Weg zu bahnen zu den Menschen über den engen Kreis der Jüngerinnen und Jünger hinaus. Diese Botschaft ergreift immer mehr Menschen. Es entsteht eine österliche Bewegung, die fortdauert bis heute.

Aber Gott bleibt verborgen

Verborgen und dennoch nah: Ich kann gut mit den Jüngerinnen und Jüngern damals in Jerusalem mitfühlen, denn ich erlebe es ähnlich: Gott kann ich nicht augenscheinlich erfahren. Er bleibt meinen Sinnen verborgen. Gerade in den schweren, dunklen Momenten meines Lebens würde ich mir das zwar anders wünschen. Aber Gott bleibt eben verborgen. Das stellt meinen Glauben auf eine Probe. Gerade auch jetzt angesichts des Krieges und des unsäglichen Leids, das dieser Krieg verursacht. Ich ringe dann damit, wie Gott inmitten des Leids dennoch unter uns sein kann. Und ich frage mich, ob das wirklich so ist.

Mit dieser Erfahrung bin ich nicht alleine

Aber das ist nicht alles. Ich trage nämlich trotz allem auch noch eine andere Erfahrung in mir: In schwierigen Situationen meines Lebens haben mir mein Glaube und meine Hoffnung, dass Gott stärker als der Tod ist, wirklich schon viel Halt, Kraft und echte Ermutigung gegeben. Und ich weiß: Mit dieser Erfahrung bin ich nicht allein. Ich teile sie mit so vielen, die ebenfalls an Jesus, den Auferstandenen, glauben.

Musik 3: J.S. Bach, Sonate B-Dur, „Allegro assai“ (CD: J.S. Bach: Suites – Sonata, Göran Söllscher, 2.57 min).

Die Hoffnung auf neue Orientierung

Menschen teilen ihre eigene Hoffnung des Glaubens mit anderen. Und sie erfahren, welch ermutigende Kraft der Glaube geben kann. Das geschieht seit gestern Abend bis zum Sonntag auch beim Katholikentag in Stuttgart. Tausende Menschen kommen zusammen. Sie sind nicht nur katholisch. Auf den Katholikentagen treffen sich Menschen aus vielen Konfessionen, aber auch Menschen aus anderen Religionen oder solche, die keiner Konfession angehören. Auf einem solchen Treffen geht es darum, gemeinsam den Glauben zu feiern. Die Besucher des Katholikentages diskutieren die bedrängenden Fragen der Gegenwart. Viele erhoffen sich neue Orientierung für ihr Leben. Und die meisten bewegt die Frage: Wie kann ich heute als glaubender Mensch Verantwortung miteinander und füreinander in unsrer Gesellschaft übernehmen?

Was heißt derzeit "Leben" für mich?

„Leben teilen“ heißt dann auch das Leitwort dieses Katholikentages: Die Jünger hatten bei der „Himmelfahrt“ Jesu den Auftrag erhalten, zu allen Menschen zu gehen und mit allen den Glauben zu teilen. Das gilt bis heute: Was heißt es, das Leben zu teilen und Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen? So viele Anknüpfungspunkte liegen offenkundig auf dem Tisch – nur ein paar will ich benennen, die mich momentan persönlich umtreiben: 

-  Derzeit heißt für mich Leben mit allen teilen und Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen: Wie kann ich persönlich ganz konkret in der Not der geflüchteten Menschen helfen und welchen Beitrag kann ich persönlich dazu leisten?

Welche Signale gehen vom Katholikentag aus?

-  Leben teilen und als Christ Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen, heißt für mich derzeit aber auch: Welche Haltung habe ich im Blick auf die friedensethischen Herausforderungen? Deshalb verfolge ich z.B. mit Aufmerksamkeit und Spannung, wie sich andere Christen zum Thema „Waffenlieferungen an die Ukraine“ positionieren. Kommt der christliche Glaube zu anderen Antworten als andere gesellschaftliche Diskurspartner? So bin ich gespannt, welche Signale vom Katholikentag in Stuttgart dazu ausgehen werden.

Da erlebe ich eine große Not

-  Die Frage, was „Leben teilen“ konkret heißt, fordert mich momentan durch Erfahrungen in meinem persönlichen Umfeld besonders heraus. Mich beschäftigt die Frage: Was kann ich tun, dass Menschen mit Demenz, aber auch ihre Angehörigen, die für sie sorgen, besser am Leben teilhaben können? Da erlebe ich eine große Not. So war ich dankbar, dass die Kirchen diese Frage vor einigen Tagen in der sogenannten „Woche für das Leben“ als gemeinsame, gesellschaftliche Herausforderung benannt und konkrete Anregungen und Projekte dazu ins Leben gerufen haben.

Was sagt mein Glaube dazu?

-  Als Vorsitzender des Aufsichtsrates unseres Caritasverbandes beschäftigt mich noch in einer anderen Hinsicht, was „Leben teilen“ heißen kann, in der drängenden Frage eines assistierten Suizids. Was sagt mein Glaube dazu? Wie gehen wir in unseren kirchlichen Einrichtungen damit um? Wie können unsere Einrichtungen besondere Schutzräume sein, damit Menschen besser als bisher an der Hand von Menschen sterben und nicht durch die Hand von Menschen!

Dennoch nahe bei uns Menschen

Der Feiertag Christi Himmelfahrt ist ein Mut-Mach-Fest! Gott ist verborgen und bleibt dennoch nahe bei uns Menschen. Er ist im Himmel wie auf Erden. Und gerade bei den Menschen, die Armut und Angst erleben. Deshalb soll ich als Christ auch nicht in den Himmel starren, sondern im wahrsten Sinne des Wortes „bodenständig“ die Hoffnung des Himmels den Menschen um mich herum vermitteln – am besten, indem ich mit ihnen das Leben teile.

Musik 4: Robert Schumann, „Mondnacht“ (hr-Archiv, 4.10 min).

(Hochfest Christi Himmelfahrt / Katholikentag Stuttgart)

Musikauswahl: Thomas Drescher, Mainz

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