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Kreuz-Gespräche
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Kreuz-Gespräche

Dr. Dr. h.c. Volker Jung
Ein Beitrag von Dr. Dr. h.c. Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt
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Sprecherin: Nicole Abraham

Drei Kreuze stehen auf dem Hügel vor der Stadt. Gezimmert aus dicken Holzbalken. Stark genug einen erwachsenen Mann zu tragen, denn dafür sind sie gemacht. An den Kreuzen werden drei Männer hingerichtet. In der Mitte steht das Kreuz, an dem Jesus von Nazareth hängt. An seinen Tod denken Christinnen und Christen heute am Karfreitag. Er war ein besonderer Mensch. So wie Gott die Menschen liebt, so lebte Jesus und liebte Jesus die Menschen. Am Kreuz stirbt er den qualvollen Tod eines zum Tode verurteilten Verbrechers.

Drei Männer im Todeskampf verbunden

Zwei andere Menschen sterben neben ihm. Sie sind wie Jesus zum Tod verurteilt – von der römischen Besatzungsmacht. Deren Soldaten haben sie an die Kreuze geschlagen. Der Kampf mit dem Tod dauert Stunden. Entsetzlich lange Zeit für Angst und Schmerz. Auch für drängende Gedanken und sogar für Gespräche. In ihren letzten Stunden, in ihrem Todeskampf, reden die drei Männer an den Kreuzen miteinander. Das erzählt der Evangelist Lukas:

Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! Da antwortete der andere, wies ihn zurecht und sprach: Fürchtest du nicht einmal Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.

Jeder stirbt seinen eigenen Tod

Hier reden drei Menschen miteinander, von denen jeder auf seine Weise den eigenen Tod stirbt. So wie jeder Mensch den eigenen Tod sterben muss. Doch in der Todesstunde sind sie eine Schicksalsgemeinschaft.

Was hat der Tod der Verbrecher mit dem Tod Jesu zu tun?

Die beiden links und rechts schauen auf den in der Mitte. Sie fragen danach, was ihr Tod mit seinem Tod zu tun hat. Das machen sie ganz unterschiedlich. Was sie sagen, steht stellvertretend für menschliche Gedanken im Angesicht des Todes. Es geht um Hoffnung und Verzweiflung, um Wut und Einsicht. Und um Glauben. Können Menschen in ihrer Todesstunde glauben? Werde ich dann glauben können?

Musik: Kay Johannsen, Wenn meine Sünd' mich kränken

Wenn Menschen den Tod vor Augen haben, ist die die Sehnsucht nach Hilfe groß

Sterben macht große Angst, der Tod macht Angst. Gibt es eine Chance, dem Tod zu entkommen? Das fragen Menschen, wenn sie vom Tod bedroht sind. Wenn sie eine Diagnose bekommen, dass die Krankheit sehr ernst ist und zum Tod führen kann. Es ist einfach menschlich, sich dann nach allem auszustrecken, was Hilfe und Heilung bringen kann: medizinische Behandlung, seelischer Beistand, auch Gebete. Wie groß ist die Sehnsucht nach Hilfe, wenn Menschen den Tod vor Augen haben!

Auch im Krieg - wie jetzt gerade in der Ukraine. Es ist so furchtbar, wenn Menschen andere Menschen mit dem Tod bedrohen. Wie viel Angst ist da in den U-Bahn-Schächten in Kiew und anderswo, in Kellern, in Schutzräumen und in den Kampfzonen!

Hinrichtungen zelebrieren die Ohnmacht und die Todesangst der Verurteilten

Ich bin sicher: Solche Todesangst erleben auch die drei Männer an den Kreuzen auf Golgatha. Hinrichtungen zelebrieren das geradezu: die Ohnmacht und die Todesangst. Sie sind zutiefst unmenschlich. Ich bin froh, dass drei Viertel aller Staaten auf dieser Welt Hinrichtungen abgeschafft haben – getragen von der Überzeugung: Menschen haben nicht das Recht, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen – auch nicht als Strafe. Für mich gehört dieser Gedanke ganz fest zu dem Blick auf die drei Todgeweihten auf Golgatha am Karfreitag.

"Gott, wenn es dich gibt, dann hilf mir jetzt!"

Einer der Mitgekreuzigten bäumt sich gegen sein Schicksal auf. Er will leben. Wütend und gleichzeitig verängstigt sehnt er jedwede Hilfe herbei. In seiner Todesangst geht er Jesus direkt an: „Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns.“ Das heißt: Wenn Du der Messias bist, dann zeig uns das doch jetzt. Rette uns!

Sagt er das, weil er die echte Hoffnung hat, dass Jesus die drei mithilfe eines Wunders vom Kreuz befreit? Oder ist das der beißende Spott eines Todgeweihten, der keine wirkliche Hoffnung mehr hat? Das bleibt offen.

Seine Verzweiflung kann ich jedenfalls gut verstehen. Wie viele Menschen kennen nicht genau diese Gedanken? Gott, wenn es dich gibt, dann hilf mir jetzt! Und manche sagen auch in ihrer Not: An einen Gott, der mir das antut, kann ich nicht glauben.

Musik: Johann Sebastian Bach, Aus tiefer Not schrei ich zu dir (Raphael Alpermann und die Akademie für Alte Musik)

In Todesangst liegen Verzweiflung und Hoffnung oft nahe beieinander

In Todesangst liegen Verzweiflung und Hoffnung oft nahe beieinander. Dafür stehen die beiden Männer, die mit Jesus gekreuzigt werden. Der eine ist verzweifelt, er schaut auf sich und seine Not und auf irgendeine letzte Hilfe, die er jetzt braucht. Die ist nicht da. Auch Jesus hilft nicht. Deshalb lästert er: „Wenn du der Christus bist, dann hilf dir selbst und hilf uns.“ Abwegig ist das nicht. Offenbar hat er von Jesus gehört: Dass er Kranke geheilt hat und sogar Tote auferweckt. Jesus hat Menschen aus ihrer Not gerettet und hat sich aufgelehnt gegen die Ordnungen seiner Zeit. Der Verzweifelte am Kreuz denkt offenbar: Wenn Jesus das alles gemacht hat, kann er doch auch jetzt alles zum Guten wenden. Er hat doch die Macht, das zu tun!

Jesus läßt sich nicht in Versuchung führen

Schon einmal hatte jemand versucht, Jesus dazu zu überreden. In der Bibel wird die Geschichte erzählt, dass der Teufel Jesus in der Wüste begegnet. Der Teufel flüstert Jesus ein: Du bist doch der Sohn Gottes. Du kannst doch aus Steinen Brot machen. Der Teufel spornt Jesus an, damit die Menschen zu überzeugen. Und er provoziert: Jesus, Du kannst doch über alle Reiche dieser Welt herrschen! Doch Jesus weist den Teufel zurück. So will Jesus den Menschen nicht begegnen. So begegnet Gott nicht den Menschen.

Jesus bleibt an der Seite von allen Menschen, die Unrecht erleiden

Und so steigt Jesus auch nicht vom Kreuz herab, um Macht zu demonstrieren. Er leidet, er erträgt das Unrecht und die Todesangst. Jesus bleibt an der Seite von allen Menschen, die Unrecht erleiden, die Opfer werden von Terror, Gewalt und Krieg. So bleibt er an der Seite aller Menschen, die leiden und sterben. Ja, er hat in seinem Leben Menschen geholfen in ihrer Not.

Jesus hat das Leid und den Tod nicht aus der Welt geschafft

Aber er hat das Leid und den Tod nicht aus der Welt geschafft. Auch wenn Menschen sich das wünschen – in Krankheit und Not, die sie persönlich getroffen hat. Oder auch im Krieg, wenn Menschen Gewalt erfahren und Not leiden. Jesus ist keiner, der aller Not ein Ende bereitet. Das tut weh. Das lässt an Gott zweifeln. Aber er schenkt eine neue Hoffnung. Ich bleibe an deiner Seite und du an meiner. Dein Kreuz und mein Kreuz sind nicht das Ende.

"Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände."

Jesus selbst stirbt mit den Worten: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.“ Es sind Worte, mit denen er sich in hineingibt in das, was unausweichlich ist. Und es sind Worte, mit denen er sich und sein Leben voller Vertrauen in die Hände Gottes legt, von dem es kam.

Musik: O Lamm Gottes unschuldig (Stimmwerk)

Der eine Mitgekreuzigte von Jesus hadert mit seinem Schicksal und mit Jesus. Wütend fährt er Jesus an: „Wenn du der Christus bist, dann hilf dir selbst und hilf uns.“ Da mischt sich der dritte Mann ein, der gekreuzigt wurde. Dieser Mann weist ihn zurecht: „Fürchtest Du nicht einmal Gott! Dich hat doch die gleiche Strafe getroffen. Du hast etwas verbrochen, Jesus nicht.“

Dieses Ende wird nicht alles sein

Dieser andere Mitgekreuzigte sieht offenbar mehr: Selbst in seiner Not geht sein Blick weiter. Er schaut auf sich und sein Leben. Er schaut auf die Situation, in der er jetzt ist. Für sich kann er sagen: Ich weiß, warum ich bestraft werde. Und mit Blick auf Jesus sagt er: Ich habe es verdient, dieser nicht. Offenbar hat auch er bereits einiges über Jesus gehört, etwa von seinen Reden über das Reich Gottes. Jedenfalls verbindet er mit Jesus die Hoffnung, dass dieses Ende nicht alles sein wird. Seine Hoffnung reicht sogar über den Tod hinaus.

Unter dem Kreuz redet niemand darüber, dass es weitergehen wird

Damit gehen seine Gedanken viel weiter als die Gedanken der Frauen und Männer, die bis dahin bereits bei Jesus waren. Bei den Jüngerinnen und Jüngern. Weiter als alle, die dort unter dem Kreuz stehen und hinaufschauen. Sie sehen, dass Jesus gekreuzigt wird und stirbt. Von ihnen redet hier unter dem Kreuz niemand darüber, dass es weitergehen wird. Darüber, dass dann noch etwas kommt. Anders eben jener Verbrecher, der an der Seite von Jesus gekreuzigt wurde. Der spürt eine besondere Nähe zu ihm, Jesus verkörpert für ihn Hoffnung – Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod.

"Denke an mich, wenn du in dein Reich kommst"

Denn nachdem er den anderen zurechtgewiesen hat, wendet er sich direkt an Jesus und sagt: „Denke an mich, wenn du in dein Reich kommst.“ Das heißt: Erinnere dich an mich. Lass mich in deiner Nähe sein. So beten fromme jüdische Menschen zu Gott. Niemand weiß, was nach dem Tod sein wird und wie es sein wird. Aber das ist Glaube: „Bei Gott ist mein Leben nicht vergessen! Gott, der mich schuf, wird für mein Leben einen Platz haben in seiner Ewigkeit. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das sein wird, aber es wird ein guter Ort sein.“

"Heute wirst du mit mir im Paradies sein."

Das bestätigt ihm Jesus, als er antwortet: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Es wird nicht erzählt, was der Mann darauf erwidert. Aber es ist zu spüren, dass ihn die Worte trösten. Er hört die Worte eines Menschen, der seinen Tod mit stirbt und ihm dabei Trostworte zuspricht. Das glauben Menschen bis heute: Jesus stirbt seinen Tod und er stirbt auch meinen Tod. Und sein Tod trägt die Botschaft: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“

Der große geistliche Dichter Paul Gerhardt hat das in berührende Worte gefasst:

„Wenn ich einmal soll scheiden, / so scheide nicht von mir, / wenn ich den Tod soll leiden, / so tritt du dann herfür; wenn mir am allerbängsten / wird um das Herze sein, / so reiß mich aus den Ängsten / kraft deiner Angst und Pein.“ (EG 85,9)

"Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand."

Der Tod Jesu ist Trost im Sterben. Aber nicht nur. Mit seinem Tod ist auch die Botschaft einer anderen Gerechtigkeit verbunden. Das zeigt Jesus im Gespräch mit denen, die mit ihm gekreuzigt werden. Auch der Mensch neben ihm, der nach dem Urteil der Welt ein Verbrecher ist, wird an seiner Seite zu einem, der gerecht gesprochen wird. Diesem Menschen, der sich im Sterben Jesus anvertraut, ist offenbar die Gewissheit gegeben: „Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.“

Musik: Johann Crüger, O Haupt voll Blut und Wunden (Bach-Chor Siegen unter Ulrich Stölzel)

In der Nähe des Todes liegt beides oft dicht beieinander: auf der einen Seite die Verzweiflung, das Gefühl, ganz von Gott verlassen zu sein. Und auf der anderen Seite der Glaube, Gott nah zu sein und Gott entgegenzugehen.

Drei Kreuze, an denen Menschen durch die Hände von Menschen sterben

Das empfinden auch die drei, die an den Kreuzen auf dem Hügel vor der Stadt Jerusalem hängen. Drei Kreuze, an denen Menschen durch die Hände von Menschen sterben. Am Karfreitag schauen viele Menschen in Gedanken auf diese Kreuze.

Der christliche Glaube sagt: Mitten drin stirbt der Sohn Gottes und mit ihm stirbt Gott – mitten unter sterbenden Menschen. Dieser Tod ist Trost. Jeder Mensch muss den eigenen Tod sterben. Aber niemand ist im Sterben und im Tod ohne Gott. Mehr noch: Seine Worte, seine Kraft weisen über den Tod hinaus. Der Tod wird nicht das letzte Wort behalten.

Der Tod wird nicht das letzte Wort behalten

Als die Not des großen Dreißigjährigen Krieges im 17. Jahrhundert besonders groß war, hat Paul Gerhardt das ausgerückt mit den Bildern aus der Natur. Auch da ist das Leben vom Tod bedroht. Doch das Leben gewinnt.  

Kreuz und Elende, / das nimmt ein Ende; / nach Meeresbrausen / und Windessausen / leuchtet der Sonne gewünschtes Gesicht. /Freude die Fülle / und selige Stille / wird mich erwarten / im himmlischen Garten; / dahin sind meine Gedanken gericht´. (EG 449,12)

Der Blick auf Jesus am Kreuz, auf sein Sterben und seinen Tod, hat Menschen immer wieder Halt und Trost gegeben – in der eigenen Angst, im eigenen Todeskampf und im Sterben. Der Blick auf Jesus am Kreuz hat Menschen aber auch immer Kraft gegeben, zu sehen und zu erkennen, wie furchtbar es ist, wenn Menschen unter der Gewalt anderer leiden oder gar sterben. Deshalb hat der Blick auf Jesus am Kreuz Menschen immer wieder dazu gebracht, sich an die Seite der Opfer zu stellen, der Opfer von Hass und Gewalt, von Krieg und Tod. Und in seinem Namen suchen Christen zu allen Zeiten auch das, was diese Welt so sehr braucht: Frieden!

Musik: Heinrich Schütz, Verleih uns Frieden (Dresdner Kammerchor und Cappella Sagittariana Dresden unter Hans-Christoph Rademann)

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