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Verklärung und das Gesicht Jesu
Bild: dimitrivetsikas1969_pixabay

Verklärung und das Gesicht Jesu

Simone Gerlitzki
Ein Beitrag von Simone Gerlitzki, Katholische Pastoralreferentin, Frankfurt
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Das Gesicht ist das Körperteil schlechthin. Auch auf meinem Ausweis ist nicht mein Rücken oder mein Bein zu sehen, sondern natürlich mein Gesicht. Es ist das Gesicht, an dem man mich normalerweise erkennt. Menschen haben die erstaunliche Fähigkeit, Tausende und Abertausende von Gesichtern unterscheiden zu können, selbst wenn manche Menschen sich sehr ähnlich sehen.

Mein Gesicht zeigt meine Gefühlsregungen

Durch die Maskenpflicht in der Corona-Krise wird ein wichtiger Teil des Gesichts verdeckt: der Mund und die Nase. Sie gehören natürlich zur Gesamtschau eines Gesichtes dazu – nur mit ihnen kann ich die Mimik eines Menschen richtig sehen und deuten. Hoffentlich dürfen die Schutzmasken der Corona-Krise bald fallen, denn man kann an den Gesichtern der Menschen ablesen, was in ihnen vorgeht. Ich kann eine Vielzahl von Gefühlsregungen wahrnehmen, indem ich nur den Gesichtsausdruck sehe. So spiegeln sich Wut, Ärger oder Freude in den Gesichtszügen wider, auch wenn die Sprechenden unter Umständen einen anderen Eindruck vermitteln möchten. Mein Gegenüber muss schon ziemlich gut schauspielern können, wenn sein Gesicht ihn nicht verraten soll. Bereits kleine Kinder lernen schnell, anhand der Mimik zu deuten, wie andere sich fühlen. Bereits im Alter von acht Monaten können Kinder zum Beispiel zwischen den negativen Gesichtsausdrücken Ärger und Schmerz unterscheiden. Sie verarbeiten beide gezeigten Gefühlsregungen unterschiedlich. Und das, obwohl sich Ärger und Schmerz zum Teil ähnlich in der Mimik äußern – zum Beispiel an den Augen.

Das Gesicht sagt eben oft ganz viel über mich selbst aus. Manche Gesichter „sprechen Bände“.

Musik 1:Albrecht Mayer in Venedig, Antonio Vivaldi, Largo aus „Der Winter“ (Die vier Jahreszeiten) Oboenkonzert in C-Dur, RV 447, 2:11

Manche Gesichter sprechen Bände

Das Gesicht ist ein „Aushängeschild“ meines Gefühlslebens. In den katholischen Kirchen wird heute ein für mich spannendes Evangelium verkündet: „Die Verklärung Jesu“ steht als Titel darüber. In diesem Evangelium bleibe ich an einem kleinen Satz hängen. Es heißt von Jesus, dass er mit drei Jüngern, Petrus, Johannes und Jakobus, auf einen Berg steigt. Und das Erste, was dort passiert, ist: Das Aussehen seines Gesichtes verändert sich (Lukas-Evangelium 9,29).

Die widerstrebenden Gefühle zeigen sich im Gesicht Jesu

Das Aussehen seines Gesichtes verändert sich. Was das genau für eine Veränderung ist, kann ich nur vermuten. Aber wenn ich in den Zusammenhang der Geschichte schaue, wird mir klar: Jesus steckt in einer Krisensituation. Für ihn steht im Evangelium eine wichtige Entscheidung an: Soll er es riskieren, nach Jerusalem zu gehen? Soll er sich seinen Gegnern direkt stellen? Soll er Mut zeigen oder soll er kneifen? Soll er gehen, auch wenn es ihn das Leben kosten kann?

Auf dem Berg weicht die Anspannung aus seinem Gesicht

Ich kann mir vorstellen, es ist seinen Jüngern nicht verborgen geblieben, dass sich auf dem Gesicht Jesu in diesen Wochen auch manche Sorgenfalte abgezeichnet hat. Vermutlich konnte man manchmal von seinem Gesicht ablesen, dass ihn auch Angst, Ratlosigkeit und Sorgen umtreiben. Und vielleicht ist es so, dass sich da oben auf dem Berg vieles klärt. Dass die Anspannung aus dem Gesicht Jesu weicht. Das sein Gesicht befreit, entspannt, strahlend wirkt.

Während er betete, wandelte sich sein Gesichtsausdruck

Was bewirkt diesen Umschwung dort oben auf dem Berg? Ganz einfach, das Gebet. Im Bibeltext heißt es: „Und während er betete, veränderte sich das Aussehen seines Gesichtes.“ (Lukas-Evangelium 9,29) Mir kommen die Bilder von Menschen vor Augen, die in Gebet oder Meditation versunken sind und deren Gesicht eine tiefe Seligkeit, eine innere Ausgeglichenheit, ein tiefes inneres Glücklichsein ausstrahlt. So wie auch die vielen Bilder, die mich zurzeit in den Medien begleiten. Menschen, die im Gebet um Frieden in der Ukraine versammelt sind. Deren Gesichter Verzweiflung aber auch Hoffnung ausstrahlen. Echtes Gebet wandelt mich. Es verändert mich. Es verändert mich so, dass man mir das sogar ansehen kann.

Der Dialog gibt Jesus Kraft und Zuversicht

Für sein „klärendes Gebet“ versenkt Jesus sich aber nicht nur in der Gegenwart Gottes, offensichtlich ist für ihn auch die Heilige Schrift, die religiöse Tradition seines Volkes, eine große Hilfe. Im Evangelium wird erzählt: Er tritt in ein Gespräch, in einen Dialog mit den großen Glaubensgestalten seines Volkes ein, mit Mose und Elija. Beide haben in ihrer Zeit auch Krisensituationen erlebt, beide haben auch manches erleiden und viel durchstehen müssen, weil sie sich selbst und ihrem Gott treu geblieben sind. Der Dialog mit ihnen gibt Jesus offensichtlich Kraft und Zuversicht, seinen Weg zu gehen.

Musik 2:Ensemble Colorito, Affetti Musicali, Antonio Vivaldi, Cello Concerto in c minor RV 401, Allegro ma non molto 3:10

Gewährsleute dafür, dass der Weg Jesu in Gottes Händen bleibt

Jesus redet mit Mose und Elija auf dem Berg über sein Leiden und Sterben in Jerusalem. Die Verklärung Jesu wird damit eng verknüpft an die Leidensankündigung Jesu. Ich sehe in dieser Verknüpfung den Sinn, dass der Leidensweg Jesu in ein göttliches Licht getaucht wird, damit ihm sein unsäglicher Schrecken genommen wird. Im jüdischen Volksglauben wurden Mose, der Überbringer der Tora, und Elija, einer der überragenden Prophetengestalten, bei ihrem Tod in den Himmel entrückt. Sie kommen in der Endzeit wieder als Vorläufer des Messias. Sie sind also die besten Gewährsleute dafür, dass der Weg Jesu gegen allem Augenschein nicht in die totale Katastrophe führt, sondern in den Händen des Vaters im Himmel bleibt.

Sie sahen Jesus und zwei Männer in strahlendem Licht

Nach dem Gespräch geschieht etwas Unbegreifliches. „Petrus und seine Begleiter aber waren eingeschlafen, wurden jedoch wach und sahen Jesus in strahlendem Licht und die zwei Männer, die bei ihm standen“, heißt es in der Bibel (Lukas-Evangelium 9,32)

Die Verklärung geschieht auf einem einsamen Berg

Eine traumhafte Erfahrung! Und ich glaube: Es ist kein Zufall, dass diese Erfahrung, diese Verklärung auf einem einsamen Berg geschieht – und nicht mitten in einer Menge, einem belebten Markplatz oder in Jerusalem. Die Abgeschiedenheit, die Stille und Klarheit der Berge scheint geradezu nötig zu sein, damit die drei überhaupt wahrnehmen können, dass da etwas Besonderes passiert. Ich stelle mir vor, die Verklärung Jesu hätte unter dem Flutlichtscheinwerfer eines Fußballstadions oder vor hell erleuchteten Schaufenstern stattgefunden, die drei Jünger hätten doch gar nicht bemerkt, was für ein Leuchten da in diesem Moment von Jesus ausging!

Es ist gut, dass wir hier sind

Solche wunderbaren, göttlichen Erlebnisse: Die möchte man am liebsten festhalten. So ging es auch den Jüngern in dem Moment: Festhalten wollen sie Jesus! Einer prescht voran, Petrus, der schon bekannt ist für sein vollmundiges Bekenntnis und seine direkte Art. Ganz pragmatisch packt er die Sache an. Natürlich ist auch ihm klar, dass er gerade etwas äußerst Ungewöhnliches miterlebt, und das möchte er bewahren. Ich finde es sehr verständlich, dass er sagt: „Meister, es ist gut, dass wir hier sind. Wir wollen drei Hütten bauen.“ (Lukas-Evangelium 9,33)

Garanten dafür, dass Gottes Zusage weiter gilt

Die Veränderung, die er in Jesus erlebt, fasziniert ihn so sehr, dass er die Situation festhalten will. Fast kommt es mir so vor, als wollte er sagen: „Augenblick, bleib doch, du bist so schön!“ Heute würde Petrus wahrscheinlich seine Digitalkamera zücken, damals wollte er eben drei Hütten bauen. Fast scheint es, als wollte er nie mehr zurückkehren ins „normale“ Leben. Für Petrus sind Mose und Elija die Verbindung zum Früher, Garanten dafür, dass Gottes Zusage sich durchhält, auch damals schon war. Petrus zielt auf End-Gültiges, will Halt bieten, Autorität, religiöse Heimat.

Musik 3: Ensemble Colorito, Affetti Musicali, Antonio Vivaldi, Cello Concerto in c minor RV 401, Adagio, 2:59

Aber Jesus muss runter vom Berg durch ein tiefes, leidvolles Tal

Nach der wunderbar göttlichen Erfahrung, der „Verklärung Jesu“ auf dem Berg, müssen Jesus und die Jünger wieder hinunter ins Tal. Und Jesus muss in ein ganz besonders tiefes, leidvolles Tal hinunter: Er wird gekreuzigt und getötet.

Jesu Gesicht war anzusehen, dass er seine Entscheidung getroffen hatte

Interessanterweise wird die Entscheidung Jesu, nach Jerusalem zu gehen, im neutestamentlichen Griechisch immer mit dem Gesicht Jesu in Verbindung gebracht. Wörtlich übersetzt heißt es: „Er machte sein Gesicht fest, nach Jerusalem zu gehen.“ (Lukas-Evangelium 9,51). Und wieder zwei Verse später wird es heißen, dass die Samariter ihn nicht aufnahmen, weil er auf dem Weg nach Jerusalem war. Wörtlich übersetzt: „ … weil er sein Gesicht nach Jerusalem gewendet hatte.“ Die Veränderung im Gesicht Jesu war offensichtlich nicht nur eine kurzfristige dort oben auf dem Berg. Man konnte es ihm auch in den Tagen und Wochen danach „vom Gesicht ablesen“, dass er seine Entscheidung getroffen, dass er im Gebet Klarheit gefunden hatte.

Die Jünger finden sich in einer ganz anderen Welt wieder

Noch etwas anderes aus der Geschichte von der Verklärung Jesu auf dem Berg finde ich spannend: Da werden Petrus, Johannes und Jakobus aus dem Schlaf gerissen und finden sich in einer ganz anderen Welt wieder. Mose und Elija, die großen Gestalten der Bibel, sind plötzlich ganz real, während Jesus, ihr Meister, ihr Freund, der ihnen als Mensch so vertraut ist, ganz unreal erscheint in seinem überirdischen Glanz. Ergriffen und verwirrt stammelt Petrus etwas von drei Hütten, und nach dem kurzen Augenblick des Rausches, der Ekstase erstickt eine Wolke den Glanz. Die Jünger beginnen sich zu fürchten und eine Stimme ertönt: „Das ist mein auserwählter Sohn, auf ihn sollt ihr hören.“ (Lukas-Evangelium 9,35)

Und sie fürchteten sich sehr

Als die Jünger die Dunkelheit der Wolke spüren, fürchten sie sich sehr. Ist es nicht spannend, dass das ganze Spektakel davor, der leuchtende Jesus und Moses und Elias, den Jüngern keine Angst eingeflößt hat, aber nun dies? Vielleicht ist es auch nur ihre Vorahnung auf die Geschehnisse im Tal, die ihnen Angst machen: Bergab. Nach Jerusalem und zum Kreuz.

Musik 4: Albrecht Mayer, New Seasons, “Piagge serene”, Concerto for Oboe, Adagio, 1:45

Im Tal und im realen Leben wieder angekommen

Nach diesem besonderen, göttlichen Erlebnis kommen Jesus und die Jünger wieder hinunter ins Tal, wo das Leben mit all seinen Freuden und Leiden und nervigen Dingen stattfindet. Und sie sind kaum unten angekommen, als Jesus von der Realität wieder eingeholt wird. Ein Mann spricht ihn an und bittet ihn um Hilfe für seinen epileptischen Sohn. „Ich habe ihn zu deinen Jüngern gebracht und sie konnten ihm nicht helfen.“

Die Verschnaufpause auf dem Berggipfel ist vorbei

Und ich frage mich, ob Jesus es wohl bereute, nicht doch auf dem Berggipfel geblieben zu sein. Entnervt fährt er seine Jünger an: „O du ungläubige und unbelehrbare Generation! Wie lange muss ich noch bei euch sein und euch ertragen?” (Lukas-Evangelium 9,41) Und er heilt den Jungen selbst. Die Verschnaufpause und das erhebende Gefühl, was er auf dem Berg erlebte, ist vorbei. Das Gesicht Jesu wird in diesem Moment wohl alles andere als strahlend gewesen sein.

Höhen und Tiefen gehören zum Alltag

Jesus kommt im Tal an und wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Ich kenne dieses Gefühl sehr gut. Nach Gipfelerlebnissen im Alltag, wie zum Beispiel ein schöner Sommerabend mit Freunden oder die Erfahrung von Versöhnung nach einem Streit, folgt oftmals eine negative Phase im Leben. Höhen und Tiefen, sie gehören zu meinem Alltag.

Ich brauche etwas Himmel, um die Täler des Lebens auszuhalten

Im Moment begehen Christinnen und Christen die Fastenzeit. Die Fastenzeit dient der Vorbereitung auf Ostern. Sie birgt die Chance, mich den Höhen und Tiefen im Leben zu öffnen. Ich will die Höhen, die Gipfelerlebnisse, die Erfahrungen des Göttlichen im Leben genießen – und damit auch die Tiefen und die Täler besser aushalten. Ich brauche immer etwas Himmel, um auf dieser Erde zufrieden leben zu können. Und so gern ich dann diesen Moment des Glücks festhalten will, selbst die beste Digitalkamera wird kein Bild davon machen können.

Göttliche Fügungen passieren mitten im Alltag

Doch die Erzählung von der Verklärung Jesu zeigt mir: Es ist möglich, Gott mitten im Alltag zu begegnen und diese Begegnung im Herzen festzuhalten. Wenn ich zum Beispiel mit einem guten Freund Streit hatte und es keine Hoffnung auf Versöhnung gibt und dieser Freund plötzlich doch zur Versöhnung bereit ist und wir uns verzeihen, dann halte ich das in meinem Herzen fest und denke mir: Das war jetzt eine göttliche Fügung.

Ich hoffe, diese Begegnungen mit Gott verändern mein Gesicht

Ich hoffe: In dieser Begegnung mit Gott verändert sich mein Gesicht wenigstens ein bisschen und wirkt ein bisschen hoffnungsvoller, zuversichtlicher und getrösteter.

Musik 5: Albrecht Mayer, New Seasons, The Arrival of the Queen of Sheba, 2:53

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