Oberammergau – Tradition und Wandel
Der Friseur in Oberammergau hat gerade richtig viel zu tun. Die Dorfleute, die bei den Passionsspielen mitgespielt haben, können sich die Bärte und langen Haare wieder abschneiden lassen. Alle zehn Jahre finden in Oberammergau die Passionsspiele statt. Dabei führen über 1000 Leute aus dem Dorf gemeinsam die letzten Tage Jesu als Theaterstück auf. Das Ganze dauert 5 Stunden mit anspruchsvoller Musik, Chor, tiefgründigen Texten und sehr guten Inszenierungen. Diese Tradition geht auf ein Gelübde im Jahr 1633 zurück, das das Dorf damals abgelegt hat, als eine Epidemie umging. Eine lange Tradition.
Unendlich oft verändert
Ich habe es im Sommer vor Ort erlebt. Ich hatte keine große Erwartung, aber dieses Ereignis hat mich fasziniert. Vor allem die Frage nach Tradition und Wandel. Denn, so erzählte der charismatische Regisseur Christian Stückl: Obwohl seit Jahrhunderten dieselbe Geschichte aufgeführt wird - Leiden und Sterben und Auferstehen Jesu Christi auf Basis der Bibel - hat sich doch das Stück unendlich oft gewandelt. Das zeigt mir: Die Geschichte Jesu steht immer in Dialog und Resonanz mit der jeweiligen Zeit, Kultur und Denkweise. Mit dem, was Menschen wichtig ist, was Welt und Zeit gerade bewegt.
100 Jahre Stillstand
Und doch gab es in der Geschichte der Passionsspiele eine Zeit, in der 100 Jahre lang nichts am Text und an der Inszenierung verändert wurde, und zwar im 20. Jahrhundert wegen der Pauschalreiseunternehmen. Die sagten: Unsere Kunden suchen das Traditionelle. Das hat dann dazu geführt, dass in den achtziger Jahren nur noch Leute bei den Passionsspielen mitgespielt haben, die zwischen 60 und 80 Jahren alt waren. Die junge Generation hatte irgendwie den Anschluss verloren. Dann wurden die einige Leute im Dorf wach und haben gesagt: "Es kann doch so sein, wir müssen irgendwas ändern, wir verlieren den Anschluss an die Zeit." Schließlich ist es doch gelungen, Änderungen anzugehen, wenn auch durch harte Konflikte.
Neue Form und Tradition
Ich möchte aus Oberammergau eine Gelassenheit und eine Neugier auf die Zukunft mitnehmen. Die Haltung, das Gute mitzunehmen, aber auf eine bewegliche Weise. Wenn meine mir bekannte Welt ihre bisherige Form verliert, ist das, was die Welt trägt, immer noch da. Das wunderbar Lebendige von Gott kann auch heute neue Form gewinnen. Seine großartige Geschichte mit dem Menschen gewinnt immer wieder eine neue Form - auch für mich, auch heute.