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Die mit den Tieren spricht
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Die mit den Tieren spricht

Andrea Seeger
Ein Beitrag von Andrea Seeger, Evangelische Theologin
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Immer lächelt sie. Wenn ich ihr begegne, kommt mir das Wort beseelt in den Sinn. Die ältere Dame ist klein, rundlich, gemütlich. Sie wirkt innerlich erfüllt, wenn sie mit ihrer Katze spazieren geht. Stets nimmt sie nach einer Weile Platz auf einer Bank unter einem schattigen Baum. Sie schaut ihrer Katze zu, wie sie spielt. Sie lächelt dann noch mehr. Sie verfüttert Leckerlis an vorbeilaufende Hunde, selten hält sie ein Schwätzchen mit Frauchen oder Herrchen. Sie wirkt eher wie eine, die mit den Tieren spricht.

Ein Herz für Tiere

Sie wohnt nicht weit entfernt von dieser Bank, im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses. Vor ihrem Balkon steht ein Napf mit Wasser – für die gefiederten Freunde und alle, die es sonst noch brauchen. Für die Eichhörnchen hat sie in dem großen Baum vor ihrem Balkon ein Walnussdepot angelegt in einem Holzkasten.

Alleine in Deutschland

Eines Tages spreche ich sie an. Mein Hund mag ihre Leckerlis, sage ich ihr. Sie lächelt breit und antwortet: „Das freut mich.“ Sie spricht mit Akzent. Sie erzählt: Seit 50 Jahren lebt sie in Deutschland. Damals ist sie mit ihrem Mann aus Tschechien gekommen. Seit 20 Jahren schon ist er tot. Die Kinder, Enkel und Urenkel – sie alle leben in Tschechien, sind alle zurückgegangen, außer ihr.

"Ich habe ein schönes Leben"

Für mich eine entsetzliche Vorstellung, allein, die Familie weit entfernt. Ich erkläre, wie sehr ich sie bedaure. „Nein“, sagte sie, „ich bin sehr zufrieden. Ich wünsche mir, dass es allen Menschen so gut geht wie mir hier. Ich habe eine schöne kleine Wohnung, fließendes Wasser, muss weder frieren noch hungern. Ich habe ein schönes Leben“.

"Gott ist doch immer bei mir"

Bedröppelt stehe ich da. Was mir erstrebenswert erscheint, muss es für andere noch lange nicht sein. Aber ich kann es nicht lassen, versuche es noch einmal. Ob sie nicht ihre Kinder und Kindeskinder vermisse. „Nein“ entgegnet sie. „Ich habe doch die Tiere – und Gott. Und der“, sagt sie, „ist doch immer bei mir.“ Und wieder lächelt sie so herzlich, dass mir warm wird ums Herz.

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