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Bilder ohne Ende
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Bilder ohne Ende

Clemens Weißenberger
Ein Beitrag von Clemens Weißenberger, Katholischer Pastoralreferent, Frankfurt
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Vor Weihnachten habe ich mir als Zubehör für meine Digitalkamera einen Blitz gekauft. Und gleich ausprobiert. An Weihnachten und in den Weihnachtsferien sind mehr als hundert Bilder entstanden. Die habe ich fein säuberlich auf meiner Festplatte gespeichert – und da liegen sie und warten darauf, sortiert zu werden. Mir fiel auf: Ich fotografiere heute zehnmal mehr mit der Digitalkamera als damals, als ich eine Spiegelreflexkamera hatte, in die ich noch Filme einlegte. Da war irgendwann mal der Film voll, meist am Ende des Tages. 36 Bilder.

Wer sieht die vielen Fotos noch an?

Ich erinnere mich: Als Student habe ich in Frankfurt Japaner gesehen, die mit der Kamera in der Hand rumliefen und alles fotografierten. Und Amerikaner erkannte man an ihrer dicken Kamera vor dem Bauch. Heute sind es die Handys, die gezückt werden. Oft frage ich mich, wer die vielen Fotos noch ansieht? Im Urlaub habe ich jeden Tag Bilder gemacht: die Kinder beim Mittagessen, das leckere Eis, das sie sich bestellt haben, die Landschaft, der Sonnenuntergang … Es ist längst nicht das Besondere, das ich festhalte – es sind oft ganz alltägliche Momente. Ich glaube ja: Weil so vieles zu verarbeiten ist, versuchen wir den Moment mit einem Foto einzufangen und festzuhalten.

Der einzelne Moment, das Besondere können dadurch verloren gehen

Ich merke, dass es schwer ist, das hinzubekommen. Jeden Moment festzuhalten. Wenn ich mehr als hundert Bilder am Tag mache, da fehlt mir die Zeit, später alles anzusehen. Viel festhalten und viel erleben in kurzer Zeit: Das ist, glaub ich, auf Dauer auch nicht gut. Der einzelne Moment und das wirklich Besondere können dadurch verloren gehen.

Für die schönsten Bilder brauche ich keine Fotos  

Für mich ist es inzwischen wichtig, beim Fotografieren jeden Eindruck und jeden Moment besonders zu genießen. Letztes Jahr im Sommerurlaub hatte ich so einen besonderen Moment, ein Bild, an das ich mich noch immer erinnere: Nach einer langen Bergwanderung und einem Aufstieg stand ich mit meinen Kindern auf dem Gipfel. Wir mussten gar nichts sagen und haben nur ins Weite geschaut. Und gestaunt. Die Aussicht war einfach nur wunderschön. Und wir genossen die. Wir schauten ganz still, fast ehrfürchtig auf die Berge und Täler, die kleinen Orte und auch den steilen Weg, den wir grad hochgeklettert sind. Für dieses Bild habe ich kein Foto gebraucht, nur etwas Zeit. Und ich habe gespürt, wie dieser Moment meiner Seele guttut. Ich hab wieder mal gemerkt: Für die schönsten Bilder im Leben brauche ich keine Fotos, nur Zeit und etwas Ruhe.

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