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Irgendwie immer anders
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Irgendwie immer anders

Sebastian Pilz
Ein Beitrag von Sebastian Pilz, Katholischer Referatsleiter Diakonische Pastoral/Seelsorge in besonderen gesellschaftlichen Herausforderungen
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Die Bescherung an Heiligabend ist immer eine Überraschung. In meiner Familie ist der äußere Rahmen konstant gleich. Die Geschenke werden vorher hübsch verpackt und im Keller zwischengelagert. Am Heiligabend holen meine Frau und ich sie dann hoch ins Wohnzimmer und legen sie unter den Christbaum. Meine drei Kinder kommen dazu und wir machen das Licht aus. Dann wird der Raum nur noch von der Lichterkette am Christbaum erleuchtet. Bis hier hin ist es das gleiche Prozedere "alle Jahre wieder". Doch die im bekannten Weihnachtslied besungene Weisheit hinkt: Denn zumindest für meine Familie beginnt spätestens an dieser Stelle die kritische Phase. Fragen werden gestellt: Wer sitzt neben der Mama? Wer darf sich wie viele Lieder wünschen? Warum müssen wir ausgerechnet dieses Lied singen? Wann darf ich mein Geschenk auspacken? Das ist nur eine kleine Auswahl der möglichen Fragen, doch die Antworten darauf können - je nachdem - schnell die Gemüter des einen oder anderen erhitzen.

Blöder Bahnhof

Meine Frau und ich haben für diese Heiligabend-Situationen ein Codewort. Mit Verlaub, es lautet: "blöder Bahnhof2. Dieser Ausdruck stammt von einem Bekannten. Er hat im Alter von acht Jahren am Heiligen Abend sein Geschenk ausgepackt und bekam einen Playmobil Bahnhof. Doch den hatte er sich gar nicht gewünscht. Es ging dann drunter und drüber. Kurzum: Am Ende des Abends stand in großer Kinderhandschrift auf der Verpackung „blöder Bahnhof“. Den Karton gibt es noch heute und er zaubert beim Betrachten jedem ein Schmunzeln auf die Lippen.

Für meine Frau und mich ist dieses Codewort ein Entlastungssignal, ja eine Aufforderung, ruhig zu bleiben. Die Bescherung ist eben nicht wie jedes Jahr. Es ist eben nicht, wie wir es uns vorgestellt haben. Es ist eben immer irgendwie anders. Und doch ist es schön, denn es ist meine Familie und ich liebe sie.

Bescherung trotz Stress

Laut einer Umfrage der Universität der Bundeswehr in München sind die Menschen sich bewusst, dass Heiligabend für viele ein stressiger Tag ist. Und trotzdem verzichten 68 Prozent der Befragten nicht auf eine Bescherung, 42 Prozent singen Lieder und für genauso viele gehört das gemeinsame Abendessen zum festen Bestandteil. Was kann da alles schief gehen? Und doch halten die Menschen trotzdem an ihren Traditionen fest und das ist gut so. Es ist eben immer zweierlei: Es ist alles wie jedes Jahr und gleichzeitig auch immer irgendwie anders.

Musik

Mit Blick in die Weihnachtserzählung in der Bibel verhält sich das genauso. Da läuft für Maria und Josef auch nicht alles rund. Der Text aus dem Lukasevangelium (LK 2,1 – 20), der in der Nacht oder am heutigen Tag in den Weihnachtsgottesdiensten vorgetragen wird, hätte doch ganz anders lauten können: Was wäre, wenn Maria und Josef ihr Kind einfach in ihren eigenen vier Wänden in Nazareth bekommen hätten. Da wäre es sicher warm gewesen und alles von Kleidung bis Kinderwiege vorhanden.

Alles anders

Doch nein, es gibt ausgerechnet in diesem besagten Jahr eine Volkszählung auf Anordnung des Kaisers. Und so muss die junge Familie von Nazareth aus in Josefs Heimatstadt nach Bethlehem wandern. Auch bei der Ankunft ist alles anders, als sich Maria und Josef das vorgestellt haben. Von begrüßenden Verwandten vor Ort ist keine Rede, die Herbergen sind voll, niemand hat Platz. Am Ende ist es ein Stall, in dem Maria Jesus zur Welt bringt. Und dann kommen nicht etwa die Freunde zu Besuch. Nein, wildfremde Hirten stehen mit ihren Schafen vor dem ärmlichen Bretterverschlag und gratulieren zur Geburt ihres Kindes. Als dann wenig später noch drei Sterndeuter aus dem Osten auftauchen, ist die Verwunderung komplett. Auch die drei Gelehrten waren erst zum Palast in Jerusalem gezogen und mussten da enttäuscht feststellen: Der neugeborene König ist in einem unscheinbaren Städtchen zur Welt gekommen. Zugegeben: Verglichen mit diesem ersten Weihnachtsabend scheint das oft chaotische Weihnachtsfest meiner Familie doch noch sehr ruhig abzulaufen.

Worte im Herzen bewahren

Was mag im Kopf von Maria und Josef vorgegangen sein? Ob die beiden sich in Bethlehem auch ein Codewort zugeflüstert haben, um bei all diesen Umständen ruhig zu bleiben? In der Bibel ist davon nichts überliefert. Lediglich der folgende Satz ist zu finden: "Maria aber bewahrte alle diese Worte [der Hirten] und erwog sie in ihrem Herzen." (LK 2,19) Dieser Satz klingt für mich so, als ob Maria nicht nur die Worte der Hirten im Herzen aufbewahrt, sondern die gesamte Situation: der Weg nach Bethlehem, die Herbergssuche, die Geburt im Stall, den Besuch der Hirten und später auch den der drei Könige. Scheinbar erkennt Maria in all dem Durcheinander eine Faszination, die sie sich nicht erklären kann. Sie will dieser Spur auf den Grund gehen, weiß aber, dass das nicht sofort geht, sondern Zeit und Abstand braucht. Etwas im Herzen aufzubewahren meint also: Da ist ein kostbarer Moment, doch den tatsächlichen Wert oder die Bedeutung für das Leben gilt es noch später zu bestimmen.

Über die Vorstellungskraft hinaus

In dieser Erkenntnis entdecke ich auch etwas für meinen Glauben an Gott. Der tanzt eben nicht nach meiner Pfeife, will heißen: Gott ist eben nicht nur da, wo ich mich besonders auf ihn einstelle oder ihn mir bewusst mache, wie zum Beispiel im Gebet oder bei einem Gottesdienst. Gott ist auch in jenen Momenten zu finden, die irgendwie anders sind und nicht in meinen Plan passen. Gott entspricht eben nicht nur meinen Vorstellungen, sondern er ist immer auch der Größere, jener, der über meine Vorstellungskraft hinaus geht.

Musik

Der Heilige Abend verläuft immer irgendwie anders und vielleicht macht ihn das so besonders. Es ist schon auffällig, dass die deutsche Sprache jenen Vorabend des ersten Weihnachtsfeiertages mit so einem hohen Attribut betitelt: "Heilig". Im Althochdeutschen kann das Wort sowohl "eigen" oder "Eigentum" heißen oder auch mit "Zauber, Glück, Heil" übersetzt werden. Irgendwie passen beide Bedeutungen für den gestrigen Abend: Es ist ein wirklich eigentümlicher Abend, der zumeist für jede Familie besonders und damit aus dieser Perspektive ihr besonderes Eigentum ist. Und zugleich liegt, vielleicht gerade auch deshalb, ein gewisser Zauber auf diesem Heiligen Abend.

Faszinierend heilig

Ich bin überzeugt, dass dieser Zauber mit dem Jesuskind in der Krippe zu tun hat. Schließlich ist der Heiland der Welt in Bethlehem ganz anders als gedacht zur Welt gekommen. Und trotz der so erschreckenden Umstände liegt bis heute etwas faszinierend Heiliges in dieser Geburt. Das bedeutet jetzt nicht, dass Gott ungute Umstände braucht, um sich zu zeigen. Not zu lindern und alles für ein gutes und friedliches Leben aller Menschen auf Erden zu tun, ist gewiss sein Wunsch. Aber Gott wartet eben nicht erst auf eine perfekte Welt. Ihn drängt es aus Liebe zu den Menschen ihnen heute, morgen, ja jeden Tag und das alle Jahre wieder nahe zu sein, so sie es wollen. Das ist für mich die frohe Botschaft von Weihnachten. 

Irgendwie-anders-Momente

Es kann damit also auch im Alltag Momente wie am Heiligen Abend geben, Situationen, die irgendwie anders ablaufen, als sie geplant sind. Und vielleicht ist es dann gut, wie Maria, diese Augenblicke im Herzen aufzubewahren. Erst im Rückblick nach einiger Zeit wird sich in einigen dieser "irgendwie-anders-Momente" zeigen, welch göttlicher Lichtblick in ihnen gesteckt hat.

Das ist letztlich auch in meiner Familie an Heiligabend so. Wenn meine Kinder darum streiten, wer neben meiner Frau sitzen darf oder welche Lieder sie singen wollen, dann zeigt das: Diese Dinge sind ihnen wichtig. Manchmal scrolle ich auf meinem Handy Tage nach dem Fest durch meine Fotos: Dann entdecke ich im Rückblick auf Heiligabend, mit wie viel Freude, Begeisterung und Leidenschaft sich meine Kinder an diesem Abend in den für sie und für uns so bedeutenden Familienmoment eingebracht haben. Das zu entdecken ist dann für mich so ein versteckter Lichtblick Gottes inmitten des weihnachtlichen "irgendwie-anders-Chaos". Und wenn Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, in diesen Tagen ähnliche "irgendwie-anders Momente" erleben, hoffe ich, dass Sie in manchen einen liebevoll-heiligen Lichtblick aus der Krippe entdecken. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen von Herzen ein gesegnetes Weihnachtsfest. 

 

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